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Thema




        INTERVIEW         ICH HABE DIE ARBEIT ALS LANDÄRZTIN LIEBEN GELERNT

          Dr. Ulrike Koock hat in Frankfurt studiert und lange in der stationären Versorgung gearbeitet. Als sie eine Familie gründete,
          hat sie sich dazu entschlossen, sich in einer Landarztpraxis in der Kleinstadt Altenstadt anstellen zu lassen. Sie hat ihre
          Entscheidung nie bereut.



          Î 	Warum haben Sie sich entschlossen, auf dem Land als Hausärztin zu   dass ich nicht allein in der Praxis bin. Derzeit bin ich   DR. ULRIKE KOOCK   Abb.: Franziska Finger
                                                                                                 Landärztin
          arbeiten?                                          noch angestellt, aber nächstes Jahr steige ich in die
          Ursprünglich hatte es familiäre Gründe. Als ich schwanger wurde, entschie-  Praxis ein und dann sind wir zu dritt. So kann man sich mal gegenseitig
          den mein damaliger Mann und ich, nicht in der Stadt wohnen zu bleiben. Da-  vertreten oder sich anderweitig unterstützen. Als Einzelkämpferin in der
          raufhin habe ich in der Inneren einer kleinen Klinik auf dem Land gearbeitet.   Landarztpraxis ist es meiner Meinung nach nicht zu schaffen.
          Ich mochte immer, dass es dort privater und familiärer zuging. Um Familie
          und Beruf besser miteinander vereinbaren zu können, habe ich mir dann eine  Î 	Die Digitalisierung hat das Potenzial, die Therapie zu unterstützen.
          Stelle in einer Praxis gesucht. Ich habe die Arbeit als Landärztin lieben ge-  In welchen Bereichen wäre das aus Ihrer Sicht sinnvoll?
          lernt, weil es ein sehr bewusstes Arbeiten ist. Außerdem muss man sehr viel   In dem psychotherapeutischen Bereich kann ich mir das gut vorstellen.
          selbst machen. Das liegt daran, dass wir Landärztinnen und Landärzte Versor-  Ich denke, das würde auch gut angenommen. Für viele Patientinnen und
          gungslücken schließen müssen. Darin liegt auch der Reiz des Berufs: Ich muss  Patienten sind die Hürden, sich Hilfe zu holen, sehr hoch. Eine Online-
          mich nicht auf einen Fachbereich festlegen – von der Inneren Medizin über   Therapie wäre da sicher gut. Es gibt Internetseiten, die so etwas anbieten.
          HNO, Orthopädie, Augen bis hin zu Psyche mache ich einfach alles.  Außerdem kann man DiGA verschreiben. Solche Angebote sollten ausge-
                                                             baut werden.
          Î 	Stichwort Versorgungslücken – wie beurteilen Sie die aktuelle
          Versorgungssituation auf dem Land?                 Î 	Was ist mit Dingen wie eRezept, eAU oder die elektronische
          Es gibt massive Versorgungslücken. Wir Hausärztinnen und Hausärzte versu-  Patientenakte (ePA), wie stehen Sie dazu?
          chen, das irgendwie zu kompensieren, aber das geht nur bedingt. Ich empfin-  Diese digitalen Lösungen sind sinnvoll. Es ist nicht die eine Lösung, die etwas
          de die Situation als katastrophal und die Probleme betreffen ganz viele Fach-  bringt, sondern deren Summe – allerdings müssen sie auch eingeführt sein
          bereiche. Für viele Untersuchungen können wir unsere Patientinnen und Pa-  und funktionieren, und das ist ja derzeit nicht der Fall. Ich würde in meiner
          tienten nicht zu Spezialistinnen und Spezialisten schicken, weil es keine Ter-  zukünftigen Praxis auch gerne eine Art Online-Sprechstunde einführen, da-
          mine gibt. Ganz massiv sind die Engpässe bei Psychotherapieplätzen. Da ha-  mit ich nachmittags oder am Abend, wenn die Kinder schlafen, noch einmal
          ben wir Wartezeiten von bis zu einem Jahr – und da ist man noch froh, dass   eine Sprechstunde anbieten kann. Das ist allerdings mit Organisationsauf-
          es wenigstens die Aussicht auf einen Platz gibt. Wir versuchen es dann über   wand verbunden. Grundsätzlich finde ich, dass die Digitalisierung viele Chan-
          die Dringlichkeitsüberweisung und rufen bei der ärztlichen Terminservice-  cen für eine bessere Versorgung bietet. Diese Chancen werden bei uns in
          stelle an. Das hat aber auch nicht immer Erfolg. Die Folge ist, dass wir die Be-  Deutschland aber noch viel zu wenig ergriffen. Im Ausland ist man da oft
          handlung selbst machen und uns die Patienten wortwörtlich die Bude einren-  schon weiter. Davon können wir noch etwas lernen.
          nen. Es gibt Tage, da schaut man aus dem Fenster und die Leute stehen bis
          auf die Straße raus.                               Î 	Was denken Sie, wie wird sich die medizinische Versorgung auf dem
                                                             Land weiterentwickeln?
          Î 	Das klingt frustrierend. Wie gehen Sie damit um?  Ich glaube, es wird erst einmal schlimmer werden, bevor es besser wird. Der
          Man kann nicht mehr tun als arbeiten. Lange Wartezeiten für Patientinnen   Leidensdruck muss wohl noch steigen, bis sich alle Beteiligten zusammentun
          und Patienten sind ebenso normal wie lange Arbeitszeiten für uns Ärztinnen   und gemeinsam an einem Strang ziehen. In Bezug auf die Digitalisierung
          und Ärzte. Manche Patientinnen und Patienten fahren 45 Minuten mit dem   müssen Lösungen in die Regelversorgung, die einen echten Nutzen für Pati-
          Auto, um zu uns in die Praxis zu kommen. Ich würde keinen anderen Job ma-  entinnen und Patienten und Ärztinnen und Ärzte bringen. Dann werden
          chen wollen, aber die Arbeitsbedingungen sind hart. Ich habe den Vorteil,   diese Lösungen auch gerne angenommen und sich durchsetzen.<





        ärztliche Konsultationen einholen. Außerdem  hen, das wissen wir leider noch nicht“, heißt es  dem entgegenzuwirken, setzen die Kassen-
        haben sie die Möglichkeit, eine digitalisierte  auf Nachfrage aus dem Büro der Grünen-Bun-  ärztlichen Vereinigungen (KVen) seit einigen
        Gesundheitsversorgung zur (Weiter-)Entwick-  destagsabgeordneten Kordula Schulz-Asche.  Jahren auf KV-geführte Praxen. In Sachsen-
        lung von Public-Health-Konzepten, zielgrup-                            Anhalt etwa gibt es derzeit 23 davon. Das Kon-
                                           KV-geführte Praxen
        penspezifischen Beratungsangeboten, Schu-                              zept: Die KV übernimmt Praxen oder gründet
        lungen und zum Aufbau der Pflegeinfrastruk-  Diese Ansätze sind hilfreich, doch den großen  sie, wenn die Versorgung vor Ort nicht anders
        tur in der Region zu nutzen. Die Eckpunkte zur  Umschwung in Richtung Sicherung der medi-  sicherzustellen und eine A� rztin oder ein Arzt
        Einführung des Community Health Nursing  zinischen Versorgung in der Peripherie wer- bereit ist, dort mitzuarbeiten. Die Idee ist kei-
        sollen im Herbst vom Bundesgesundheitsmi-  den sie schwerlich bringen. Ein brennendes  neswegs neu. „Die Kassenärztliche Vereini-
        nisterium vorgelegt werden. „Wie diese ausse-  Problem ist und bleibt der A� rztemangel. Um  gung Sachsen-Anhalt hat schon im Jahr 2002

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