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Thema
öffentlich auf den drohenden A� rztemangel
hingewiesen. Dieser konkretisierte sich immer
mehr, sodass es 2010 zur Gründung der ersten
Praxen kam“, erklärt Heike Liensdorf, Abtei-
lungsleiterin O� ffentlichkeitsarbeit bei der Kas-
senärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt. Landarztpraxis in Betracht zu ziehen. Dabei
Damals lag der Fokus noch allein auf der wird der Beruf völlig zu Unrecht als weniger
hausärztlichen Versorgung im ländlichen anspruchsvoll angesehen, findet Dr. Ulrike
Raum – speziell im Norden Sachsen-Anhalts. Koock, Landärztin in Altenstadt (siehe Inter-
„Nach der Etablierung der ersten Praxen und view auf Seite 22). „Ich war früher in der Not-
auch teilweise schon bei deren Übernahme aufnahme und in der Inneren eines Kranken-
durch neu hinzutretende oder schon beteiligte hauses tätig, aber ich würde behaupten, dass Schritte in die richtige
Ärztinnen und Ärzte haben wir die Idee wei- ich eigentlich erst jetzt, nach meiner jahrelan- Richtung sind schon
tergeführt und unter Nutzung der rechtlichen gen Tätigkeit als Hausärztin, viel besser bereit gemacht. Etwa durch
Regelung des § 105 Abs. 1 SGB V ausgebaut. bin, in einer Notaufnahme zu arbeiten.“ die Anpassung des
Inzwischen sind in unseren Arztpraxen ver- Dass früh angesetzt werden muss, um jun- Fernbehandlungsver-
schiedene Fachgruppen vertreten und die Pra- ge Medizinerinnen und Mediziner für die Ar- bots, wodurch auch Abb.: istockphoto [M]
xen deutlich weiter über Sachsen-Anhalt ver- beit zu gewinnen, ist auch in den Regionen eine ausschließliche Fern-
teilt“, berichtet Liensdorf. Falls Ärztinnen und selbst angekommen. Viele haben entsprechen- behandlung möglich wird. Um
Ärzte das wünschen, haben sie die Möglichkeit, de Projekte und Initiativen gestartet. In diese zu nutzen, müssen allerdings
KV-geführte Praxen selbst zu übernehmen. Bayern wurde beispielsweise Anfang 2020 die die Ärztinnen und Ärzte geschult werden. Au-
Liensdorf betont, dass die KV die Praxen Landarztquote eingeführt. Dadurch werden ßerdem ist es wichtig, die Fernbehandlung
nicht aus Selbstzweck betreibt, sondern allein ganzheitlich durchführen zu können – also
zur Sicherstellung der medizinischen Versor- auch mit der Ausstellung elektronischer Ar-
„Falls Ärztinnen und
gung. Um diese auch für die Zukunft zu sichern, beitsunfähigkeitsbescheinigungen und elek-
brauche es mehr Medizinstudierende. „Wir tronischer Rezepte. Auch hier sind die Weichen
haben an die Gesundheitspolitik die Erwar- Ärzte das wünschen, bereits gestellt. Ein weiterer Meilenstein dürf-
tung, dass sich der Gedanke durchsetzt, dass haben sie die Möglich- te die Einführung der elektronischen Patien-
wir zur Bekämpfung des Mangels an Ärztinnen tenakte sein (ePA). Auch hier hakt es noch an
keit, KV-geführte Praxen
und Ärzten in der kurativen Tätigkeit mehr einigen Stellen. So fehlt es bei vielen Ärztinnen
Medizinstudienplätze benötigen“, sagt sie. Das selbst zu übernehmen.“ und Ärzten an der technischen Ausstattung,
würde zwar erst in etwa zwölf Jahren Abhilfe um diese nutzen zu können. Darüber hinaus
bringen – gesetzt den Fall, dass sie schnell und sind die Vorzüge der ePA bei den Patientinnen
im ausreichenden Maße umgesetzt würde –, und Patienten noch nicht ausreichend bekannt.
aber immerhin gäbe es dann eine klare Per- nun bis zu 5,8 Prozent aller Medizinstudien- Außerdem soll die Telematikinfrastruktur (TI)
spektive. plätze im Freistaat für Studentinnen und Stu- endlich ins Laufen kommen. Durch die TI und
denten vorgehalten, die ein besonderes Inte- die damit verbundene Anbindung der Leis-
Angestaubtes Image aufpolieren resse an der hausärztlichen Tätigkeit im länd- tungserbringer ist eine viel stärkere Vernet-
Sind erst einmal mehr Medizinstudierende lichen Raum haben. Im Gegenzug verpflichten zung der an der medizinischen Versorgung
gewonnen, gilt es, diese für die Arbeit auf dem sich diese, nach Abschluss ihres Studiums beteiligten Akteure möglich. Der Datenaus-
Land zu begeistern. Hier besteht Handlungs- sowie ihrer Weiterbildung zum Facharzt für tausch wird sicher und schnell.
bedarf, denn die Allgemeinmedizin ist in vielen Allgemeinmedizin oder zum Facharzt für In- Sind die noch bestehenden Hürden erst ein-
Universitäten unterrepräsentiert. Hinzu nere Medizin, mindestens zehn Jahre in einer mal genommen, wird die Digitalisierung zu
kommt, dass nur wenige Landärztinnen und Region zu arbeiten, die unterversorgt oder einem essenziellen Bestand der Gesundheits-
Landärzte an den Hochschulen unterrichten. von Unterversorgung bedroht ist. In anderen versorgung, und das überall. Die Trennung der
Meist sind es Klinikerinnen und Kliniker, die Landkreisen wird mit finanzieller Unterstüt- Sektoren ist in diesem Kontext nicht mehr
als Dozentinnen und Dozenten arbeiten – und zung gelockt. So vergibt der Landkreis Stade vertretbar. Es braucht regionale Versorgungs-
nicht selten wird die Arbeit der Kolleginnen Stipendien von monatlich bis zu 1 000 Euro an modelle, die passgenau die jeweiligen Proble-
und Kollegen auf dem Land belächelt. Nach Studierende der Humanmedizin sowie Ärztin- me adressieren, flexibel einsetzbar sind, die
dem Motto: Hausärztinnen und Hausärzte stel- nen und Ärzte in der Weiterbildung, wenn sie Chancen der Digitalisierung nutzen und die vor
len in der Hauptsache Rezepte und Krank- bereit sind, für zwei bis fünf Jahre im Land- Ort existierende Versorgung sinnvoll ergän-
schreibungen aus und tätscheln Oma Erna kreis in einer Praxis oder einem Krankenhaus zen. Und schließlich muss dafür gesorgt wer-
gelegentlich die Hand. ärztlich tätig zu sein. den, dass im Studium und in der Weiterbildung
Diese Einstellung hat Folgen. Es mangelt an Die Beispiele zeigen, dass es eine Fülle an bereits die Weichen gestellt werden, um in
positiven Vorbildern, die junge Studentinnen Maßnahmen braucht, um die medizinische Zukunft die Arbeit als Landärztinnen und -ärz-
und Studenten motivieren, die Arbeit in einer Versorgung auf dem Land zu sichern. Viele te attraktiver zu machen.< $ MIRIAM MIRZA
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