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Kompakt

Gesundheits-Apps auf dem Prüfstand

Die Studie „CHARISMHA – Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps“ hat im                                                                                                                                    Wissenschaftsticker

Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums Apps wissenschaftlich untersucht.                                                                                                                                 +++ Nicht zufrieden mit der Performance WEB-
                                                                                                                                                                                                            BASIERTER INTERVENTIONEN FÜR DAS KAR-
Angesichts von über 100 000 zur Verfügung stehenden Gesundheits-Apps                                                                                                                                        DIOVASKULÄRE RISIKOFAKTOR-MANAGEMENT
      ist es für Ärzte und Patienten nicht einfach, zwischen guten und schlech-                                                                                                                             ist eine aktuelle Metaanalyse von Edo Richard
ten Angeboten zu unterscheiden. In der Studie „CHARISMHA – Chancen                                                                                                                                          von der Universität Amsterdam (J Med Internet
                                                                                                                                                                                                            Res 2016; 18(3):e55). Zwar fanden sich in der Ge-
und Risiken von Gesundheits-Apps“ hat das Peter L. Reichertz Institut für                                                                                                                                   samtschau von immerhin 57 Studien signifikante
                                                                                                                                                                                                            Verbesserungen diverser Risikofaktoren, doch
Medizinische Informatik in Hannover eine Bestandsaufnahme zu Gesund-                                                                                                                                        waren die Effekte nicht groß und hielten nicht
                                                                                                                                                                                                            besonders lange an. Belastbare Daten für eine
heits-Apps erarbeitet und Handlungsmöglichkeiten abgeleitet. Die Markt-                                                                                                                                     Verringerung kardiovaskulärer Ereignisse gebe
                                                                                                                                                                                                            es keine. + + + Etwas zufriedener sind australi-
analyse ergab, dass Gesundheits-Apps mit diagnostischem oder therapeuti-                                                                                                                                    sche Psychologen um ­Jeanette Milgrom, die
                                                                                                                                                                                                            eine INTERNETBASIERTE KOGNITIVE VERHAL-
schem Anspruch bisher eher selten sind. Medizinische Apps bieten zwar                                                                                                                                       TENSTHERAPIE mit dem bemerkenswerten Na-
                                                                                                                                                                                                            men MumMoodBooster in einer randomisierten
zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten, zum Beispiel für Selbstmanagement                                                                                                                                       Studie bei Frauen mit Wochenbettdepression
                                                                                                                                                                                                            evaluiert haben. Der Unterschied war gigantisch:
                                               oder Gesundheitsförderung. Umfassen-                                                                                                                         Nach zwölf Wochen erfüllten in der Internetgrup-
                                                                                                                                                                                                            pe 79 Prozent der Frauen nicht mehr die Diagno-
                                               de Belege für den Nutzen jedoch fehlen                                                                                                                       sekriterien, gegenüber nur 18 Prozent in der
                                                                                                                                                                                                            Kontrollgruppe (J Med Internet Res 2016;
                                               bisher. Die Autoren der Studie kritisie-                                                                                                                     18(3):e54). Kleiner Wermutstropfen: Mit 43 Teil-
                                                                                                                                                                                                            nehmerinnen war die Studie möglicherweise et-
                                               ren auch eine mangelnde Transparenz                                                                                                                          was unterpowert. + + + Eher durchwachsen wa-
Abb.: Fotolia.com © Syda Productions                                                                                                                                                                        ren die Erfahrungen niederländischer Reproduk-
                                                                                                                                                                              Abb.: Fotolia.com © kartoxjmbei der Datenschutzerklärung und dertionsmediziner um Angelique van Dongen, die
                                                                                                                                                                                                            in einer randomisierten Studie eine E-HEALTH-
                                               Einholung von Einwilligungen durch die                                                                                                                       INTERVENTION testeten, die die emotionale Be-
                                                                                                                                                                                                            lastung von Frauen verringern sollte, die sich ei-
                                               Nutzer. Außerdem gestaltet sich die                                                                                                                          ner künstlichen Befruchtung unterziehen (Hum
                                                                                                                                                                                                            Reprod 2016; doi: 10.1093/humrep/dew040).
                                               Frage, welche der Gesundheits-Apps                                                                                                                           Zwar konnte der Anteil der Frauen mit ängstli-
                                                                                                                                                                                                            chen oder depressiven Symptomen signifikant
                                               dem Medizinprodukterecht unterliegen,                                                                                                                        um ein Viertel gesenkt werden. Allerdings nahm
                                                                                                                                                                                                            nicht einmal jede zweite angefragte Frau daran
                                               in der Praxis noch als schwierig.                                                                                                                            teil, und 30 Prozent hörten vorzeitig auf. + + +
                                                                                                                                                                                                            Eine pulmonale Rehabilitation kann bei COPD die
Medizin-Apps: Transparenz wäre wünschenswert.  www.charismha.de                                                                                                                                             Prognose verbessern. Paolo Zanaboni vom Nor-
                                                                                                                                                                                                            wegian Centre for Integrated Care and Telemedi-
    Bewertungsportale in der Pflicht                                                                                                                                                                        cine berichtet von guten Erfahrungen mit einer
                                                                                                                                                                                                            zweijährigen TELEREHABILITATION BEI 10
      Der Bundesgerichtshof verlangt von den Betreibern der Arztbewertungsportale                                                                                                                           COPD-PATIENTEN (J Telemed Telecare 2016;
      im Netz, dass sie besser überprüfen, wer bei ihnen eine Bewertung abgibt.                                                                                                                             doi: 10.1177/1357633X15625545). Das Programm
                                                                                                                                                                                                            bestand aus einem Trainingsprogramm mit Tele-
 Bewertungsportale im Internet müssen                                                                                                                                                                       monitoring sowie einem Self-Management-Web-
             in Zukunft besser überprüfen, wer bei                                                                                                                                                          Tool und wöchentlichen Videokonferenzen. + + +
        ihnen Bewertungen ins Netz stellt. Und sie
        müssen gewisse Nachweis­pflichten erfüllen, Intransparent: Bewertungen im Internet
        wenn es zu Streitfällen kommt. Das ergibt
        sich aus einem wegweisenden Urteil (Az: VI ZR 34/15) des Bundesgerichtshofs
        (BGH), das auch für andere Branchen von Bedeutung sein wird. Geklagt
        hatte ein Zahnarzt, der von einem Patienten auf dem Bewertungsportal
        Jameda drei Mal die Note 6 erhielt. Der Zahnarzt wollte die Identität des
        Bewerters von Jameda erfahren, um zu überprüfen, ob er diesen Patienten
        überhaupt behandelt hatte. Da der Zahnarzt davon ausging, diesen Patienten
        niemals in seiner Praxis behandelt zu haben, forderte er Jameda außerdem
        auf, die Bewertung zu löschen. Die Sache ging vor Gericht und wurde letzt-
        endlich vom BGH entschieden. Die höchsten deutschen Richter vertreten die
        Auffassung, dass Jameda den bewertenden Patienten über die Beanstandung
        des Arztes hätte informieren müssen. Im Zweifel sei das Portal sogar dazu
        verpflichtet, Belege einzuholen, die beweisen, dass die Behandlung in der
        Zahnarztpraxis tatsächlich stattgefunden hat. Das Portal hätte beispielswei-
        se nach Bonusheften oder Rezepten fragen können, meinen die Richter. Das
        aktuelle BGH-Urteil ergänzt zwei BGH-Urteile aus dem Jahr 2014, die damals
        eher im Sinne der Portalbetreiber ausgefallen waren.

               http://juris.bundesgerichtshof.de

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