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Abb.: © Juristische Fakultät der Universität AugsburgKompakt Mündiger Patient
Abb.: Fotolia.com © Syda Productions
Interview E-Health-Recht Wenn Patienten Zugang zu ihren Daten haben,
verbessert sich die Arzt-Patienten-Beziehung.
Prof. Dr. Ulrich M. Gassner
Patienten sollen an ihrer Genesung mit-
Prof. Dr. Ulrich M. Gassner leitet die neu gegründete wirken. Doch dazu müssen sie sich als
Forschungsstelle für E-Health-Recht an der Juristischen aktiven Teil ihrer Behandlung verstehen.
Fakultät der Universität Augsburg. Dies setzt ein Wissen voraus, das Patienten
nicht immer haben. Im Jahr 2011 hat des-
Welche Aufgabe hat die Forschungsstelle für E-Health-Recht, abgekürzt FEHR? halb die Harvard Medical School das
Wir möchten mit der FEHR die rechtswissenschaftliche Forschung in diesem „OpenNotes“-Projekt gestartet, in dem Pa-
Rechtsgebiet vertiefen. E-Health-Recht wird bisher noch gar nicht als eigenständige tienten über ein gesichertes Online-Portal
Rechtsmaterie wahrgenommen. Wenn Sie heute den Begriff „E-Health-Recht“ in eine alle Informationen zu ihrer Erkrankung
Suchmaschine eingeben, erhalten Sie nur wenige Treffer. E-Health-Recht ist eine einschließlich der Notizen des behandeln-
Querschnittsmaterie mit gemeinsamen Strukturmerkmalen, bei der alle möglichen den Arztes einsehen können. Und dies in-
Fragestellungen eine Rolle spielen, vom Datenschutz über die Datensicherheit und nerhalb von 24 Stunden nach dem Arztbe-
Patientenautonomie bis hin zum Krankenversicherungsrecht. Wichtig ist uns auch die such. Mit dem Projekt wollte Prof. Dr.
Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie die Weiterbildung. T obias Esch, der jetzt an der Universität
Witten/Herdecke lehrt, herausfinden, wie
Wie kam es zur Gründung dieser Forschungsstelle? sich die Arzt-Patienten-Beziehung verän-
Ich habe mich in letzter Zeit verstärkt mit der Frage beschäftigt, ob man eine Ge-
sundheits-App als Medizinprodukt betrachten muss oder nicht. Beim Schreiben eines Transparent: Die Arzt-Patienten-Kommunikation in OpenNotes
Aufsatzes mit dem Titel „Medtech meets mHealth“ habe ich mir auch das Grünbuch
der EU-Kommission über mobile Gesundheitsdienste angeschaut und dabei Defizite dert, wenn die Arzt-Patienten-Kommuni-
hinsichtlich der rechtswissenschaftlichen Aufarbeitung festgestellt. Diese Forschungs- kation vollständig transparent wird. „Nach
lücken will ich mit der FEHR schließen. Vorbild für die FEHR ist die Forschungsstelle für Studienlage versteht etwa die Hälfte der
Medizinprodukterecht (FMPR), die ich 2005 ins Leben gerufen hatte und die inzwi- Patienten, die zum Arzt gehen, nicht genau,
schen eine deutschlandweit anerkannte Institution ist. was gerade besprochen wurde“, erläutert
er. „Durch das OpenNotes-Projekt hat sich
Mit welchen Fragestellungen beschäftigt sich die FEHR schwerpunktmäßig? das Verständnis für das Besprochene radi-
Ausgangspunkt waren die Gesundheits-Apps im Rahmen des Projekts CHARISMHA. kal verbessert.“ In der Studie gaben mehr
Auch bin ich immer noch am Projekt OR.NET beteiligt, in dem es um die IT-Vernetzung als 77 Prozent der Patienten an, durch
von Operationssälen geht. Hier leisten wir Begleitforschung bei der regulatorischen O penNotes mehr Kontrolle über ihre Be-
Frage, unter welchen Voraussetzungen Software rechtlich gesehen ein Medizinprodukt handlung zu haben als zuvor. Mehr als 60
ist. Wir beschäftigen uns auch mit der Verarbeitung von Gesundheitsdaten in den USA Prozent konnten durch das Programm ih-
und mit klassischen Telemedizinanwendungen, etwa bei Hautkrankheiten. Hier prüfen re Medikation korrekt oder besser dosie-
wir, ob die Übermittlung der Daten ohne den körperlich anwesenden Arzt darstellbar ren. Und fast alle Befragten fanden mindes-
ist. Und in einem Seminar zu Fragen des E-Health-Rechts versuchen wir gerade, sämtli- tens einmal einen Irrtum in den Unterla-
che Elemente von Digital Health unter rechtswissenschaftlichem Fokus aufzuarbeiten. gen, den sie schnell korrigieren lassen
konnten. Und auch viele der anfangs skep-
Was gibt es am E-Health-Gesetz zu beanstanden? tischen Ärzte waren am Ende der Studie
Das E-Health-Gesetz ist natürlich geltendes Recht. Aber man kann trotzdem die von der neuen Transparenz überzeugt.
Frage stellen, ob dieses Gesetz in allen Punkten mit dem Verfassungsrecht und dem
Europarecht vereinbar ist. Nehmen Sie zum Beispiel die Kostentragungspflichten. Sol- www.opennotes.org
len die Kassenärztlichen Vereinigungen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen tat-
sächlich wirtschaftliche Einbußen erleiden, weil andere nicht so schnell sind, wie es
der Gesetzgeber vorgesehen hat? Probleme sehe ich im Übrigen auch in dem geplan-
ten Verbot des Online-Rezepts, das ich als eine Rolle rückwärts betrachte. Einerseits
will man E-Health vorantreiben, andererseits die Patienten bevormunden.
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