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Titelgeschichte
noch keine Auswertung, Abb.: Fotolia.com © santiago silver Data“ heißt nicht ohne Grund „big“.
aber die Akzeptanz beim Der Arzt wird sich vielmehr bis
Pflegepersonal ist sehr hoch. Die Modelle zu einem gewissen Grad auf
Das Tool wird täglich viele werden eine die Modelle verlassen müs-
Hundert Mal genutzt. Blackbox bleiben. sen. Das sieht auch Graf so:
Auch in Deutschland be- „Die Modelle werden eine
schäftigen sich erste Pro- verläufe einen Algorithmus. Den müs- Blackbox bleiben. Deswe-
jekte jetzt systematischer sen wir dann in einer prospektiven gen müssen die Vorher-
mit der prädiktiven medi- Studie evaluieren, bevor daran zu den- sagen der Modelle auch
zinischen Analytik im kli- ken ist, ihn wirklich einzusetzen.“ richtig gut sein, wenn der
nischen Alltag. So startete Arzt seine Behandlung
an zwei deutschen Universi- Aber würden sich Ärzte wirklich von daran ausrichten soll.
tätskliniken unter Koordina- einem Modell oder Algorithmus eine Wenn es uns gelingt, über-
tion des Fraunhofer-Instituts Behandlung diktieren lassen? Zumin- zeugend zu belegen, dass
für Biomedizinische Technik dest die Akutalarme in der Ammerland der Patient daraus einen
kürzlich das XplOit-Projekt. Es hat Klinik Westerstede erfreuten sich guter Nutzen zieht, dann werden
sich zum Ziel gesetzt, Modelle bezie- Akzeptanz, betont Oberarzt Soika. „Die solche Modelle von den Kolle-
hungsweise eine modellgestützte IT- Kollegen fühlen sich durch die neuen gen auch angenommen werden,
Plattform zu entwickeln, die es erlaubt, Alarme nicht bevormundet. Eher das
Komplikationen bei Patienten, die eine Gegenteil ist der Fall: Gerade für An- davon bin ich überzeugt.“
Knochenmarkstransplantation (KMT) fänger ist das Gold wert, die profitieren Komplexe Onkologie ist das eine,
erhalten haben, besser vorherzusagen. enorm, und da hat auch keiner Angst aber wie sieht es in der breiteren ambu-
„Anhand einfach zu erhebender kli- davor, dass seine Kompetenz infrage lanten Versorgung aus? Haben Exper-
nischer Parameter lassen sich Kompli- gestellt wird. Das ist eher eine willkom- tensysteme auch dort oder vielleicht
kationen wie eine Graft-versus-Host-Re- mene Hilfe.“ sogar gerade dort eine Zukunft? Dr.
aktion leider nicht vorhersagen. Das sind Johannes Schenkel, Referent für Tele-
komplexe Mechanismen, die ineinander- Zwangsläufig übertragbar auf die medizin bei der Bundesärztekammer,
greifen“, erläutert Professor N orbert deutlich weitergehende prädiktive Ana- ist überzeugt: „Expertensysteme sind
Graf von der Klinik für P ädiatrische lytik sind diese Erfahrungen aber nicht. eine Möglichkeit, spezialisiertes Fach-
Onkologie und Hämatologie an der Uni- Denn bei Projekten wie dem XplOit-Pro- wissen in die Breite zu tragen. Sehr
versität des Saarlandes. Die Modelle, die jekt werden Modellierungen entwickelt, interessant ist zum Beispiel das Thema
jetzt für die KMT-Patienten entwickelt deren Vorhersagen der einzelne Arzt „Seltene Erkrankungen“. Hier könnten
werden sollen, berücksichtigen unter aufgrund ihrer Komplexität nicht mehr gut gemachte Expertensysteme die Zeit
anderem klinische Daten, Laborparame- ohne Weiteres anhand der Originalda- bis zur Diagnose stark verkürzen. So
ter, virale Befunde, den Status des Im- ten wird nachvollziehen können. „Big etwas im niedergelassenen Bereich als
munsystems und genetische Informati- eine Art Screening-Tool zu haben, wäre
onen und berechnen daraus individuel- sehr nützlich.“
le Risikovorhersagen, die sich im Verlauf Auch andere Expertensysteme kön-
der Behandlung auch ändern können. nen in einer Arztpraxis nützlich sein.
Graf leitet noch eine weitere europä- So gibt es bestimmte Indikatorerkran-
ische Studie, die vom Ansatz her ähnlich kungen, bei denen ein HIV-Test erwä-
ist. Dabei geht es um Patienten mit ei- genswert ist und bei denen es Sinn
nem Wilms-Tumor. Diese Patienten wer- machen könnte, daran automatisch zu
den vor der Operation mit einer adju- erinnern. Ähnliches gilt für die Diag-
vanten Chemotherapie behandelt. Al- nostik bei Virushepatitiden. Solche
lerdings sprechen nicht alle Patienten Warnsysteme ähneln jenen, die die
darauf an. Auch in diesem Projekt wer- Arzneimitteldatenbanken vieler Pra-
den auf Basis unterschiedlicher Daten xis-IT-Systeme bereits heute generie-
prädiktive Modelle entwickelt, die dabei ren, wenn beispielsweise Arzneimitte-
helfen sollen vorherzusagen, wann auf linteraktionen drohen. Die (nicht zu-
die Chemotherapie besser verzichtet letzt im E-Health- Gesetz angelegte)
und gleich operiert werden sollte. „Das zunehmende technische Standardisie-
Vorgehen ist in beiden Fällen ähnlich“, rung der Medikationspläne wird es
erläutert Graf. „Wir entwickeln retro künftig erlauben, die Medikationswar-
spektiv anhand bekannter Patienten- nungen auszubauen und stärker
als bisher auch Diagnosen und
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