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Titelgeschichte




        produkte sind. Zu diesen „Produkten ohne
        medizinische Zweckbestimmung“ zählen bei-
        spielsweise Geräte zur Tattoo- oder Haarent-
        fernung. Nach Artikel 2 MDR muss das Produkt
        nach wie vor einen spezifischen medizinischen
        Zweck erfüllen wie zum Beispiel Diagnose,
        Verhütung, Überwachung, Vorhersage, Prog-
        nose, Behandlung oder Linderung von Krank-
        heiten. Die Liste ist noch länger und umfasst
        zum Beispiel auch Zubehör und Sonderanfer-
        tigungen, aktive Produkte – dazu zählt Soft-
        ware – oder implantierbare Produkte.
        Verschärfte Regeln für Software

        Eine der gravierenden Änderungen betrifft   Abb.: iStock.com © z _ wei
        die Klassifizierung. Für viele Medizinproduk-
        te gilt jetzt eine höhere Risikoklasse. Vor allem
        davon betroffen ist die medizinische Soft-
                                               Viele Apps steigen jetzt
        ware. Regel 11 der MDR (siehe Kasten unten)                            forderungen erfüllt, unerwünschte Nebenwir-
        definiert die Klassifizierung für Stand- alone-  von Klasse I in       kungen ausschließt und die Vertretbarkeit des
        Software – Computerprogramme, die ohne                                 Nutzen-Risiko-Verhältnisses belegt. Die klini-
                                              eine höhere Risikoklasse.
        medizinische Hardware ausgeliefert werden.                             sche Bewertung erfolgt auf der Basis der wis-
        Bislang hatten es die Hersteller einfach: Sie                          senschaftlichen Fachliteratur, klinischer Da-
        konnten für die meistens als Klasse-I-Produkt                          ten, die der Hersteller mit klinischen Prüfun-
        eingestuften Programme selbst eine Konfor-  ist zum Beispiel die technische Dokumentati-  gen generiert, und aus Daten, die er aus der
        mitätsbewertung durchführen. Damit ist es  on, die Hersteller künftig noch detaillierter  Überwachung der vertriebenen Medizinpro-
        nun vorbei. Regel 11 bedeutet eine deutliche  abliefern müssen. Je nach Konformitätsbewer-  dukte („Post Market Surveillance“) erhält.
        Verschärfung der Klassifizierung. „Fast jede  tungsverfahren und Risikoklasse müssen Un-  Insgesamt müssen die Hersteller künftig er-
        Software, die für die Diagnose, Überwachung,  ternehmen das Qualitätsmanagementsystem,  heblich mehr klinische Daten erheben.
        Vorhersage, Behandlung oder Beratung ent-  mit dem sie die Qualitätsanforderungen über   Darüber hinaus hat die EU-Kommission
        wickelt wurde, stellt Informationen bereit,  den gesamten Produktionszyklus überwa-  festgelegt, dass für implantierbare Medizin-
        die für diagnostische oder therapeutische  chen, zertifizieren lassen. Zur technischen  produkte der Klasse III und aktive Produkte
        Zwecke verwendet werden. Diese Software  Dokumentation gehört auch die klinische Be-  der Klasse IIb, die „dazu bestimmt sind, ein
        fällt damit unter die Klasse IIa oder höher“,  wertung. Nach Artikel 61 MDR hat der Herstel-  Arzneimittel an den Körper abzugeben und/
        erläutert Johner.                   ler nachzuweisen, dass das Medizinprodukt  oder aus dem Körper zu entfernen“,  zusätzlich
           Einerseits erhöht Regel 11 die Patientensi-  bei bestimmungsgemäßem Gebrauch die  eine klinische Bewertung durch ein externes
        cherheit, weil hochkritische Apps, beispiels-  grundlegenden Sicherheits- und Leistungsan-  Expertengremium erforderlich ist.
        weise zur Auswahl und Dosisberechnung von
        Zytostatika, jetzt nicht mehr zur niedrigsten,
                                               INFO    SOFTWARE ALS MEDIZINPRODUKT
        sondern zur höchsten Klasse (III) zählen. An-
        dererseits rückt auch vergleichsweise unkri-
        tische Software eine oder mehr Risikoklassen
                                                 Regel 11 der EU-Medizinprodukte-Verordnung:
        nach oben. Eine Software, die auf der Grund-
                                                 Software, die dazu bestimmt ist, Informationen zu liefern, die zu Entscheidungen für diagnosti-
        lage von Laborwerten eine Diagnoseempfeh-  sche oder therapeutische Zwecke herangezogen werden, gehört zur Klasse IIa, es sei denn, diese
        lung gibt, wandert von Klasse I in die Klasse   Entscheidungen haben Auswirkungen, die Folgendes verursachen können:
        IIa oder höher. Auf die Klasse I entfallen prak-   den Tod oder eine irreversible Verschlechterung des Gesundheitszustands einer Person;
        tisch keine Apps mehr.                   in diesem Fall wird sie der Klasse III zugeordnet, oder
           Die Konsequenz: Auf die Softwarehersteller   eine schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustands einer Person oder einen
        kommen jetzt Anforderungen zu, die sie bis-  chirurgischen Eingriff; in diesem Fall wird sie der Klasse IIb zugeordnet.
        lang nicht erfüllen mussten, weil ihr Produkt   Software, die für die Kontrolle von physiologischen Prozessen bestimmt ist, gehört zur Klasse IIa,
        kein Konformitätsbewertungsverfahren bei   es sei denn, sie ist für die Kontrolle von vitalen physiologischen Parametern bestimmt, wobei die
        einer Benannten Stelle durchlaufen musste.   Art der Änderung dieser Parameter zu einer unmittelbaren Gefahr für den Patienten führen
        Und dies in verschärftem Maße, weil die   könnte; in diesem Fall wird sie der Klasse IIb zugeordnet. Sämtliche andere Software wird der
        EU-Kommission zwecks Verbesserung der Pa-  Klasse I zugeordnet.<
        tientensicherheit bei einer Reihe von Anforde-
        rungen noch eine Schippe draufgelegt hat. Da

                                                                                                             x.press 19.1   13
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