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Titelgeschichte
den Landes. „Dieser Bewertungsprozess dau- Medizingeräteprodukte auf Benannte Stellen
ert erheblich länger“, stellt Beeres fest. im Vereinigten Königreich zurückgreifen.“
Die Zeit läuft. Obwohl die MDR 2017 in
Die EU-Kommission reagiert
Kraft getreten ist und bis 2020 alle bereits
zertifizierten Medizinprodukte in Europa Hoher Aufwand für klinische Bewertungen,
erneut „zugelassen“ sein müssen, ist bislang eine mögliche Zertifizierung des QM-Systems
noch keine einzige Benannte Stelle erneut und voraussichtlich längere Wartezeiten bei
benannt worden. „Die ersten Benennungen der Zertifizierung stellen gerade für junge Un-
wird es ab Frühjahr 2019 geben“, schätzt Bee- ternehmen mit innovativen Medizinprodukten
Abb.: iStock.com © elenabs beginnen. Noch ist ungewiss, welche der Be- fürchtet Nachteile für die Patienten und kriti-
res. Erst dann können die Re-Zertifizierungen eine große Hürde dar. Professor Johner be-
nannten Stellen überhaupt ihren Hut in den siert, dass die EU-Kommission einerseits von
Ring werfen. Denn die EU-Kommission hat für den Herstellern verlange, die Risiken und Nut-
die Benennung eine weitere Hürde aufgebaut. zen ihrer Medizinprodukte abzuwägen, ande-
Die Benannten Stellen benötigen künftig spe- rerseits aber selbst keine Folgenabschätzung
Auf dieses Konsultationsverfahren kann ziell ausgebildetes Fachpersonal, um die Zer- vorgenommen habe. „Sie haben nicht abgewo-
nur verzichtet werden, wenn das Medizinpro- tifizierung von Medizinprodukten vornehmen gen zwischen den wenigen Menschen, die in
dukt bereits in ähnlicher Form auf den Markt zu dürfen. Bisher waren dafür offenbar „ein- Europa jährlich durch schlechte Medizinpro-
kam und der Hersteller nachweisen kann, dass fache“ Ingenieure und Techniker ausreichend. dukte ums Leben kommen, wahrscheinlich
die vorgenommenen Änderungen das Nut- Aber Fachleute mit Medizinprodukte-Wissen eine zweistellige Zahl, und den vielen Men-
zen-Risiko-Verhältnis nicht beeinträchtigen. sind rar. Vielen Benannten Stellen bleibt schen, die sterben, weil ein Produkt zu spät
Das Konsultationsverfahren verzögert die Zu- nichts anderes übrig, als sie aus der Industrie oder überhaupt nicht auf den Markt kommt.“
lassung um viele weitere Tage. abzuwerben – und entsprechende Gehälter Johner verweist auf die USA, die zurzeit den
zu bezahlen. entgegengesetzten Weg einschlagen. Um die
Engpass bei der Zertifizierung Wettbewerbsfähigkeit ihrer Industrie zu för-
Den Medizinprodukte-Unternehmen droht dern, dereguliert die führende IT-Nation ihren
weiteres Ungemach. Der starke Anstieg von Auch die Benannten Digital-Health-Markt und nimmt unkritische
Medizinprodukten wie Software, die aus der Stellen müssen erneut Medizinprodukte zum Teil ganz aus der Über-
Risikoklasse I in eine höhere Klasse steigen, wachung.
benannt werden.
wird zwangsläufig zu sehr vielen Erst-Zertifi- Inzwischen hat bei der EU-Kommission ein
zierungen führen. Die EU-Kommission ver- Umdenken eingesetzt. „Hinter den Kulissen
schärft den zu erwartenden Engpass, indem bewegt sich etwas“, deutet Johner an. Brüssel
sie von den Benannten Stellen eine erneute Die meisten Experten erwarten daher einen arbeitet an einer Interpretation der Regel 11,
„Benennung“ verlangt. Die EU-Kommission hat weiteren Rückgang der Benannten Stellen in die deren Auswirkungen entschärfen soll. Eine
sich am unterschiedlichen Niveau der Benann- Europa. Bereits zwischen 2013 und 2018 ging Lösung wäre, Software wieder nach ihrem Ri-
ten Stellen in den einzelnen Mitgliedsstaaten die Zahl der Benannten Stellen von 75 auf 55 siko zu klassifizieren und nicht nach dem
gestört. Die Benennung liegt jetzt nicht mehr zurück. Der Brexit könnte die Lage zusätzlich größtmöglichen Schaden, den sie theoretisch
in der Kompetenz der Länder – in Deutschland verschärfen. Die BSI (British Standards anrichten könnte. Vorbild für diese Neurege-
war dafür die ZLG (Zentralstelle der Länder Institution), Europas größte Benannte Stelle, lung ist eine Klassifizierung des International
für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und weist auf ihrer Homepage auf die Bedeutung Medical Device Regulators Forum (IMDRF),
Medizinprodukten) zuständig, sondern erfolgt der Briten bei der Zertifizierung hin: „Daten der internationalen Vereinigung von Zulas-
künftig unter Einbeziehung der EU-Kommis- der Europäischen Kommission deuten an, dass sungsbehörden für Medizingeräte.
sion und EU-Staaten außerhalb des betreffen- beinahe die Hälfte aller in der EU zertifizierten
Fazit
Die EU-Kommission ist offenbar fest entschlos-
SO MACHT ES MEDATIXX Q sen, den Medizinprodukte-Markt mit eisernem
Besen zu kehren. Mit der EU-Medizinproduk-
te-Verordnung nimmt sie Hersteller und Be-
PRAXISSOFTWARE Wie im Artikel zur MDR ausgeführt ist, bringt diese perspektivisch wesentliche nannte Stellen gleichermaßen in die Pflicht.
Veränderungen für medizinische Software und deren Anwender mit sich. Im Rahmen der neuen Verschärfte Regeln sollen die Patientensicher-
EU-Medizinprodukte-Verordnung analysiert medatixx daher derzeit, inwiefern ihre Praxissoft- heit erhöhen und Betrugsversuche unterbin-
warelösungen davon betroffen sind und inwieweit dies die Entwicklung zukünftiger Erweiterun- den. Ob Hersteller und Benannte Stellen den
gen der Praxissoftware beeinflusst. medatixx wird auch zukünftig sicherstellen, dass Praxissoft- ambitionierten Zeitplan mit dem Stichtag 26.
ware von medatixx den gesetzlichen Vorgaben entspricht und deren Anwender rechtssicher han- Mai 2020 einhalten können, ist zum jetzigen
deln können.< Zeitpunkt kaum vorstellbar. Aber vielleicht
geschehen noch Wunder.< $ DR. MICHAEL LANG
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