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Titelgeschichte




        INTERVIEW         WIR BRAUCHEN DRINGEND KOORDINATION

          Sebastian Zilch ist Geschäftsführer des Bundesverbands Gesundheits-IT – bvitg e. V., der die wichtigsten
          Hersteller von Praxis-IT- und Krankenhaus-IT-Lösungen vertritt.



          Î ÎDer bvitg hat im Vorfeld der Regierungsbildung in einem „Call for   Krankenhäuser, die sich vernetzen, aus der Medizin­  SEBASTIAN ZILCH     Abb.: bvitg e. V.
            Action“ nach einem E-Health-Zielbild gerufen. Die große Koalition will   informatikinitiative kommen Impulse, aus Fachge­  Geschäftsführer des
          jetzt einen konkreten Aktionsplan mit Meilensteinen. Zufrieden?  sellschaften auch. Es passiert wahnsinnig viel, aber   Bundesverbands
          Zunächst ist positiv, dass das Thema E­Health im Koalitionsvertrag steht. Es   das Wenigste ist miteinander abgestimmt und kom­  Gesundheits-IT –
          hat uns und die anderen Verbände, mit denen wir gemeinsam den Call for   patibel.      bvitg e. V.
          Action aufgelegt haben, auch gefreut, dass eine Roadmap und ein konkre­
          ter Aktionsplan unter Beteiligung aller Akteure entwickelt werden sollen.   Î ÎKönnte die gematik die koordinierende Rolle übernehmen?
          Das geht schon in die Richtung, die wir uns vorgestellt haben.  Nicht in der derzeitigen Konstellation. Die gematik hat für diese Richtlinien­
                                                             kompetenz keinen Auftrag. Entweder die Politik gesteht der gematik gewis­
          Î ÎAls Meilensteine werden im Vertrag digitale Impfpässe, Mutterpässe,   se Freiheitsgrade zu, oder die koordinierende Funktion muss an anderer
          U-Hefte, Zahnbonushefte und sogar E-Rezepte genannt. Braucht es so de-  Stelle angedockt werden. Ich bin gespannt, wie die neue Staatsministerin
          taillierte Vorgaben einzelner Anwendungen?         für Digitalisierung Dorothee Bär sich hier einbringt. Aber sie kann natürlich
          Wir haben tatsächlich die große Sorge, dass sich der Aktionsplan am Ende   nicht jedes Themenfeld in gleicher Tiefe bearbeiten. Unsere Position ist: Wir
          darin erschöpft, dass fünf Anwendungen für die Telematikinfrastruktur auf­  brauchen für die elektronische Patientenakte einen einheitlichen Kernda­
          geschrieben und mit Fristen sowie Sanktionen hinterlegt werden. Wenn   tensatz. Danach kann es Aktenvielfalt geben. Im Moment ist die elektroni­
          sich die Strategie darauf beschränkt, dann läge das weit unter dem, was   sche Patientenakte ein freiwilliges Add­on, das keinem wehtut und keine
          wir erwarten. Wir brauchen einen Dialog, bei dem am Ende eine gemeinsa­  bestehenden Prozesse ins digitale Zeitalter überführt. Wo ist hier der Anreiz
          me, leitende Vision steht und eben nicht ein Kleinklein, bei dem eine tech­  zur Nutzung? Natürlich brauchen wir technische Rahmenbedingungen von
          nische Lösung nach der anderen umgesetzt wird. Natürlich sind die ge­  der gematik – hoffentlich unter Nutzung internationaler Standards. Wir
          nannten Anwendungen längst überfällig, verbessern aber die medizinische   müssen aber auch Fragen beantworten wie: Werden Ärzte verpflichtet, eine
          Versorgung nur bedingt. Die Politik muss ressortübergreifend an der Digi­  ePA zu führen oder zu bedienen? Werden diese – und wie – dafür vergütet?
          talisierung des Gesundheitswesens arbeiten.        Welche Auswirkung hat eine Opt­in­Lösung aufseiten der Versicherten? Und
                                                             wie kommt die Akte eigentlich zu den Versicherten? Alles unklar und drin­
          Î ÎDas ganze deutsche E-Health-Drama kristallisiert sich in der elektroni-  gend zu Ende zu denken.
          schen Patientenakte, die jetzt bis Ende der Legislatur für alle eingeführt
          werden soll. Wer führt hier die Fäden zusammen?    Î ÎWo sehen Sie sonst noch Handlungsbedarf?
          Bisher niemand, und das ist eines der Probleme. Wir brauchen gerade bei   Essenziell ist für uns weiterhin die Frage der Finanzierung der digitalen
          diesem Thema ganz dringend Koordination und Gestaltungswillen. Ob das   Transformation. Wir brauchen gezielte Förderungen für digitale Lösungen.
          am Ende beim Bundesgesundheitsministerium, bei einer „gematik plus“   Es reicht nicht, einmal kurz ungesteuert den Geldhahn aufzudrehen, denn
          oder bei einer anderen Behörde angesiedelt ist, ist eine Frage der Organisa­  dann werden ein paar Dinge erworben, aber die Prozesse stehen nicht im
          tion. Die Diskussionen im „ePA­Forum“ der Gesundheitsministerkonferenz   Fokus. Da müssen wir aber hinkommen. Wünschen würden wir uns auch Fi­
          sind schon beeindruckend: Es gibt zwei prominente Krankenkassenansätze,   nanzierungsmodelle, die es attraktiver machen, die Grenzen zwischen am­
          die unterschiedlicher nicht sein können, es gibt Industrielösungen, es gibt   bulanter und stationärer Versorgung aufzulösen.<





        nicht zuletzt auf die sektorenübergreifende  als vielmehr der Ausbau der Telematikinfra-  führen können. Dennoch: Die EPA soll kom-
        und speziell die ambulante Versorgung aus-  struktur – und da vor allem jene Anwendung,  men, und auch die Pflege soll in dieser Legis-
        führlich ein. So soll eine Bund-Länder-Arbeits-  über die derzeit das ganze deutsche Gesund-  latur schon einmal in die TI einbezogen oder
        gruppe eingerichtet werden, die bis 2020 Vor-  heitswesen redet, ohne dass Einigkeit darüber  zumindest soll der Weg dorthin gebahnt wer-
        schläge für die Weiterentwicklung der sekto-  bestünde, was damit eigentlich gemeint ist:  den.
        renübergreifenden Versorgung macht, und  „Wir werden eine elektronische Patientenak-  Es gehört zum Ritual einer jeden Regie-
        zwar „unter Berücksichtigung der telemati-  te für alle Versicherten in dieser Legislatur-  rungsbildung, dass sich die vom Maßnahmen-
        schen Infrastruktur.“              periode einführen“, so die Großkoalitionäre.  feuerwerk des Koalitionsvertrags betroffenen
                                           Wobei daran zu erinnern wäre, dass die Legis-  Organisationen nach der Veröffentlichung
        Vorhaben elektronische Patientenakte  latur nach dem nicht unerheblichen Vorlauf in  flugs in Stellung bringen. Ärzteorganisationen
        Digitalisierung also auch hier. Im digitalen  drei Jahren schon wieder vorbei ist und dass  und die Verbände der Versicherungswirtschaft
        Vordergrund steht im gesundheitspolitischen  es noch ein bisschen dauern wird, bis über-  verstehen sich ohnehin als die intellektuelle
        Teil des Koalitionsvertrags allerdings nicht so  haupt erst einmal alle Arztpraxen ein Online-  Avantgarde des politischen Lobbyismus. Kein
        sehr die sektorenübergreifende Versorgung  update der Versichertenstammdaten durch-  Wunder also, dass nicht zuletzt Kassenärztli-

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