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Titelgeschichte
eine mit Wahrscheinlichkeiten versehene Liste bekannte Größe. Amazon hat mit Lex, das auch projekte geöffnet. Das erste derartige Projekt
möglicher Diagnosen ausgespuckt. hinter Alexa steckt, seine eigene Chatbot-Platt- im GKV-Umfeld läuft auf Initiative der KV
Technisch sind Chatbots in der Medizin heu- form für externe Entwickler geöffnet. Bei Baden-Württemberg im April 2018 an.
te in der Regel Zwitterwesen. Sie setzen einer- Facebook heißt das Äquivalent Wit.ai, bei Die Idee bei derartigen Projekten ist immer
seits auf maschinelles Lernen, nutzen aber auch Google heißt es Dialogflow und bei Microsoft ähnlich: Das telemedizinische Servicecenter
regelbasierte Systeme oder „Entscheidungs- LUIS. Immerhin: Konzernunabhängige Open soll eine erste Anlaufstelle für Patienten sein,
bäume“, wie sie in klassischer Entscheidungs- Source-Anbieter gibt es auch, etwa Rasa. die mit banalen Erkrankungen vielleicht gar
unterstützungssoftware seit Jahren zum Ein- Chatbot-basierte Symptom-Checker wie nicht persönlich zum Arzt müssen. Einem sol-
satz kommen. Durch die Deep Learning-Kom- Ada können Patienten über die gängigen chen telefonischen (oder videobasierten) Ser-
ponente und das dabei oft eingesetzte Natural App-Stores oft kostenfrei herunterladen. Das vicecenter könnte künftig in Zeiten der künst-
Language Processing (NLP, nicht zu verwech- Geschäftsmodell der Anbieter ist aber ein an- lichen Intelligenz ein Chatbot vorgeschaltet
seln mit der neurolinguistischen Programmie- deres. Sie wollen Teil der regulären medizini- werden, der mitentscheidet, ob die Patienten
rung) werden die Entscheidungsbäume weni- schen Versorgung werden und sich als erste einen persönlichen Ansprechpartner brauchen
ger „starr“ und sind weniger darauf angewie- Anlaufstelle oder als Teil davon für Patienten und wenn ja welchen. Dass das nicht völlig aus
sen, dass genau das eingegeben wird, was der der Luft gegriffen ist, zeigt der britische NHS,
KI-gestützte
Algorithmus vorsieht. der seit einiger Zeit den Einsatz eines Chatbots
Zu den Nachteilen des Einsatzes von NLP im Kontext seiner Notrufnummer evaluiert. Es
Triage-Konzepte
gehört die starke Abhängigkeit von US-Kon- gibt auch britische Krankenversicherungen,
zernen. Wer Chatbots programmieren will, könnten Notfall- die Chatbots nutzen, etwa Now Health
kommt daran bisher kaum vorbei. Watson von International, die sich an Briten richtet, die im
ambulanzen entlasten.
IBM ist im Gesundheitswesen mittlerweile eine Ausland leben.
Solche Szenarien ließen sich auf Deutsch-
land übertragen. So planen die KVen perspek-
Abb.: iStockphoto.com © PhonlamaiPhoto tergrund – Triage-Funktionen übernehmen. sich gut vorstellen, dass eine solche App, wenn
positionieren, als Systeme, die – zum Beispiel tivisch den Aufbau einer KV-Notdienst-App.
mit telemedizinischem Service-Center im Hin-
KBV-Vorstand Thomas Kriedel zumindest kann
Hier wird es gesundheitspolitisch schon sie mit KI hinterlegt und mit ambulanten tele-
recht spannend, auch in Deutschland, wo die medizinischen Servicecentern verknüpft wür-
de, als eine Art erste Anlaufstelle fungieren
Ärztekammern den telemedizinischen Erst-
kontakt mittlerweile nicht mehr in Bausch und und die Patienten mit einigen einfachen Fragen
Bogen ablehnen. So will die Bundesärztekam-
zu unterschiedlichen Angeboten triagieren
mer beim Deutschen Ärztetag im Mai in Erfurt könnte, von der Notfallnummer 112 über „drin-
einen entsprechenden Antrag zur Änderung gende Arztkonsultationen am selben Tag“ bis
der Musterberufsordnung zur Abstimmung hin zu Terminvereinbarungen in der Zukunft.
stellen. In Baden-Württemberg wurde die Be-
KI wird den Arzt nicht ersetzen
rufsordnung schon vor zwei Jahren für Modell-
„Das wird noch ein paar Jahre dauern, und die
KVen werden das unterschiedlich organisie-
ren. Aber ich denke schon, dass es in diese
Richtung gehen sollte“, so Kriedel. Auch da
hängt natürlich wieder einiges an Politik dran.
Die KVen fordern schon länger vom Gesetzge-
ber, künftig 24 Stunden am Tag, 7 Tage die
Woche einen Notdienst organisieren zu dürfen.
Erst dann können KI-gestützte Triage-Kon-
zepte wirklich sinnvoll umgesetzt werden.
„Das würde auch dazu führen, dass die Pati-
entenströme etwas intelligenter geleitet wer-
den als heute, wo massenhaft Patienten stun-
denlang in Notfallambulanzen von Kranken-
häusern sitzen, obwohl sie da gar nicht hin
müssten“, so Kriedel. Fazit: Künstliche Intel-
ligenz könnte die Medizin künftig an unter-
schiedlichen Stellen sinnvoll ergänzen. Den
Arzt ersetzen wird sie nicht. Und die Gesund-
heitspolitik auch nicht.< $ PHILIPP GRÄTZEL VON GRÄTZ
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