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Titelgeschichte
m 26. September 2017 veröffentlichten wertung von Herzrhythmusstörungen. Er war
die National Institutes of Health (NIH) dabei in einer klinischen Vergleichsstudie
Ain den USA einen Datensatz, der aus durchweg besser als Kardiologen in Ausbildung
112 120 Röntgenthoraxaufnahmen bestand, und mindestens genauso gut wie erfahrene
die zuvor im Hinblick auf 14 häufige Patholo- Kardiologen, in Einzelfällen sogar besser.
gien der Lunge beziehungsweise der thoraka- Auch aus Japan, Deutschland und Großbri-
len Organe von radiologischen Experten an- tannien kommen Studien, die zeigen, was Al-
notiert worden waren. Dieser Datensatz – ano- gorithmen in der Medizin leisten können. So
nymisiert natürlich – wurde US-amerikani- haben japanische Gastroenterologen der
schen Start-ups und Wissenschaftlern zur Showa-Universität in Yokohama bei der
Verfügung gestellt, die sich mit künstlicher UEG-Woche (United European Gastroentero-
Intelligenz (KI) und Maschinenlernen beschäf- logy) im Herbst 2017 in Barcelona über ein
tigen. Der Aufruf lautete, einen Algorithmus Projekt berichtet, bei dem sie Maschinenlernen
zu entwickeln, der die 14 Erkrankungen er- auf endoskopische Videosequenzen der Darm-
kennt und das möglichst zuverlässiger tut als spiegelung angewandt haben. Ergebnis: Ge-
bisher bekannte Algorithmen mit ähnlicher messen am Goldstandard Pathologie konnten
Zielrichtung. bösartige Polypen anhand von rund 300 Ein-
Eine KI-Arbeitsgruppe der Universität zelparametern mit einer Sensitivität von 94
Stanford ließ sich nicht lange bitten: Innerhalb Prozent erkannt werden – in Echtzeit wohlge-
von nur einer Woche wurde ein Algorithmus merkt, nicht nach stundenlanger Rechnerei in
namens CheXNet mithilfe des qualitätsgesi- Großrechenzentren.
Dr. Algorithmus
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ
Es vergeht kaum eine cherten Datensatzes der NIH so weiterentwi- In Deutschland haben Forscher der Uni-
Woche, in der nicht ckelt und trainiert, dass die Treffsicherheit bei versität Regensburg Ende 2017 berichtet,
neue Algorithmen 10 der 14 Erkrankungen höher war als bei dass sie ein künstliches neuronales Netzwerk
ärztliche Kompeten- allen bisherigen Algorithmen. Innerhalb von dahingehend trainiert haben, dass es OCT-
zen imitieren und oft vier Wochen war das bei allen 14 Erkrankun- Scans der Netzhaut auswertet, und zwar im
genug übertreffen. gen der Fall. Und speziell bei der Lungenent- Hinblick auf die Frage, ob eine Behandlung
zündung schlug der Algorithmus auch gleich mit einem Anti-VEGF-Präparat erfolgen soll-
Ist die künstliche vier gestandene Radiologen der Universität. te oder nicht. Auch hier wurde das System mit
Intelligenz nur ein Es dauerte insgesamt keine sechs Wochen, bis über 150 000 von Ophthalmologen annotier-
Hype, oder ist sie die die erste Version einer wissenschaftlichen ten OCT-Scans gefüttert. Danach wurde es
Zukunft der Medizin? Publikation über diese Arbeit auf arXiv – einer dann auf 17 000 unbekannte Scans losgelas-
Plattform für Vorveröffentlichungen im Netz sen. Die Empfehlung bezüglich der An-
– zu lesen war. In dieser Zeitspanne wäre in ti-VEGF-Therapie deckte sich zu 96 Prozent
Deutschland nicht einmal ein Ethikrat zusam- mit der der Ophthalmologen.
mengetreten. So beeindruckend diese Daten sind: Die
meisten Experten sprechen dabei nur ungern
Besser, als der Kardiologe erlaubt von „künstlicher Intelligenz“. Was all den ak-
Es war nicht das erste Mal, dass die Stanforder tuellen Studien zugrunde liegt, ist eine Metho-
KI-Experten Schlagzeilen machten. Einige Mo- de, die mit künstlichen neuronalen Netzen
nate zuvor hatten sie einen neuen Algorithmus arbeitet und die international „Deep Learning“
zur Auswertung von 12-Kanal-EKGs vorge- genannt wird. „Dabei handelt es sich um eine
stellt. Der konnte nicht nur Herzfrequenz, Vor- Spielart des maschinellen Lernens, bei der aus
hofflimmern und ST-Streckenanalysen erken- Beispielen Muster und Gesetzmäßigkeiten
nen, sondern beherrschte auch die sehr viel abgeleitet werden“, sagt Dr. Daniel Sonntag,
schwieriger zu automatisierende Detailaus- der sich am Deutschen Forschungszentrum
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