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Titelgeschichte




        Maschinenlernen nicht oder kaum abgebildet  diologen als bisher benötigt werden. In den  Marketingaufwand in die Wohnzimmer ge-
        werden können. Viele sprechen bei Deep  USA hat sich kürzlich Geoffrey Hinton von der  drückte Alexa.
          Learning auch von einem Hype: „Deep Learning  Universität Toronto, einer der Erfinder des   Im medizinischen Bereich hat in Sachen
        mit neuronalen Netzwerken gibt es schon seit  Deep  Learnings, in einem Beitrag für eine gro-  Chatbots zuletzt das in Berlin und London an-
        über zwanzig Jahren. Geändert hat sich, dass  ße medizinische Fachzeitschrift dahingehend  sässige und bisher vor allem in Großbritannien
        die Grafikkarten mittlerweile so billig und so  geäußert, dass es Sinn machen könnte, künftig  agierende Unternehmen Ada Health auf sich
        leistungsstark sind, dass es möglich wurde,  etwas weniger (diagnostische) Radiologen als  aufmerksam gemacht. Es hat sich eine neue Fi-
        neue, sehr viel größere Netzwerke zu bauen“,  bisher auszubilden.      nanzierungsrunde in Höhe von 40 Millionen
        so Sonntag.                           In Fächern mit direktem Patientenkontakt  Euro gesichert, für ein medizinisches Start-up
           Das ist nicht nichts. Der oben erwähnte  dürfte das Zusammenspiel von klassischer  eine erhebliche Summe. Die App Ada ist ein so-
          CheXNet-Algorithmus beispielsweise nutzt ein  ärztlicher Tätigkeit und KI anders aussehen.  genannter „Symptom Checker“. Bei dieser Art
        neuronales Netzwerk mit vor Kurzem zumin-  Die Experten vom DFKI haben hierzu Szena-  KI-Tools gibt der Patient seine Beschwerden ein,
        dest für einen alltagstauglichen Einsatz noch  rien entwickelt, die sie „klinische Datenintel-  und die künstliche Intelligenz nimmt eine ers-
        undenkbaren 121 Schichten. Auch Sonntag will  ligenz“ nennen. Bei einem dieser Beispiele  te Bewertung vor. Je nach Tool, Symptomen und
        das Deep Learning nicht kleinreden: „Ich glau-  dokumentiert der Arzt Anamnese und Befun-  Einsatzszenario wird danach zum Beispiel ein    Abb.: iStockphoto.com © PhonlamaiPhoto
        be, dass Deep Learning die Medizin auf länge-                          Arzttermin koordiniert, eine Empfehlung zum
        re Sicht stark beeinflussen wird. Was ich nicht                        Selbstmanagement gegeben oder einfach
                                                    Deep Learning
        glaube ist, dass wir irgendwann in den nächs-
        ten dreißig Jahren den Arzt in der Mehrheit der   wird die Medizin
        Diagnosesituationen sinnvoll ersetzen kön-
        nen.“ Was Deep Learning leisten könne, sei eine   auf längere Sicht
        selektive Unterstützung des Arztes durch ge-
        schickte Vorverarbeitung von Informationen   stark beeinflussen.
        aus Bildern oder Textdokumenten. Es könne
        auch dazu beitragen, dass Ärzte Dinge schnell
        erkennen, die ihnen nicht ohne Weiteres sofort  de eines Krebspatienten mit einem Stift auf
        selbst aufgefallen wären. „Dabei bleibt der Arzt  einem Mobilgerät. Die Dokumentation wird
        aber derjenige, der die Fäden in der Hand hält,  im Augenblick der Unterschrift unter Nutzung
        und er dürfte auch derjenige bleiben, der den  medizinischer Ontologien automatisch digi-
        holistischen Überblick über den Patienten hat.“  talisiert  und steht  dann  für  ein Virtual
                                              Reality-Szenario zur Verfügung, bei dem sich
        Radiologie wieder an vorderster Front  der Arzt einerseits beliebige Daten anzeigen
        Die Frage ist, wie dieser holistische, also ganz-  oder ansagen lassen kann, andererseits für
        heitliche, Überblick künftig praktisch umge-  Therapieempfehlungen gezielt Deep
        setzt wird. Wie kann konkret gewährleistet   Learning-Systeme aktiviert, die auf externen
        werden, dass der Arzt die „Informationsfäden“  Servern laufen und auch Patientendaten aus
        wirklich in Händen hält und sich die Enden  anderen Einrichtungen nutzen, um individu-
        nicht mühsam jedes Mal selbst zusammensu-  elle Vorhersagen über unterschiedliche The-
        chen muss? Eine pauschale Antwort darauf gibt  rapien zu machen.
        es nicht, stattdessen dürfte die Umsetzung des
                                            Auch in Deutschland auf dem Vormarsch
        Zusammenspiels zwischen ärztlicher und
        künstlicher Intelligenz stark vom jeweiligen  Noch mal etwas anders könnten menschliche
        Einsatzszenario abhängen – in den bildgeben-  und künstliche Intelligenzen in der Notfallver-
        den Fächern anders als in der Primärversor-  sorgung beziehungsweise im Notdienst inei-
        gung, im Notdienst anders als in der normalen  nandergreifen. Hier sehen zumindest einige
        Patientenbetreuung.                 Visionäre eine gewichtige Rolle für Chat-
           In der Radiologie halten viele ein Zusam-  bots. Das sind artifizielle Kommunikati-
        menwachsen der Modalitäten mit KI-Tools für  onspartner am Monitor oder am Smart-
        das wahrscheinlichste Szenario. Der Radiolo-  phone, salopp gesagt „Plauderrobo-
        ge oder auch der Gastroenterologe bedienen  ter“, wobei sowohl verbal als auch
        sich in der Diagnostik oder bei einer Kolosko-  über Messenger-Funktionen
        pie automatischer Auswertewerkzeuge, um  schriftlich „geplaudert“ werden
        Normalbefunde rascher abarbeiten zu können  kann. Das derzeit bekann-
        oder um adenomverdächtige Polypen besser  teste Beispiel für einen
        zu erkennen. Im Fall der Radiologie könnte  verbalen Chatbot ist die
        dieser Trend dazu führen, dass weniger Ra-  von Amazon mit viel

                                                                                                             x.press 18.2   13
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