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Kunden ärgerlich sein. Und es ist übrigens auch nicht schön für temen differenziert, und einige schneiden hinsichtlich Störungen
unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“ besser ab als andere. Die Schneise verläuft dabei einerseits, das
kann gar nicht anders sein, zwischen älteren und neueren Syste-
Ist die Praxis-IT-Branche schuld? men. Viel breiter ist der Graben aber zwischen Systemen für
In der durch die vielen Störungen emotional aufgeladenen At- Ärztinnen und Ärzte einerseits und für Psychotherapeutinnen
mosphäre wird dann oft und gerne mit dem Finger auf andere und Psychotherapeuten andererseits.
gezeigt. Am Ende zeigt jeder auf jeden, aber die Praxis-IT-Bran- Warum ist das so? Praxissoftwarelösungen für die psychothe-
che bekam in den letzten Monaten besonders viel ab. „Die kön- rapeutische Berufsgruppe sind weniger komplex, und vor allem
nen es nicht“, war immer wieder zu hören. Und es wird fleißig nutzen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten bisher
gedroht, die Daumenschrauben anzuziehen. Aufseiten des Bun- sehr viel weniger TI-Anwendungen. Die Zi-Umfrage könnte hier
desrats hat beispielsweise die Gesundheitsministerkonferenz En- deutlicher nicht sein: Während nur rund 10 Prozent der Ärztin-
de Januar das BMG aufgefordert, den Praxis-IT-Herstellern stär- nen und Ärzte angeben, einen elektronischen Heilberufsausweis
kere Auflagen im Hinblick auf die TI-Anwendungen zu machen. (eHBA) entweder gar nicht zu besitzen oder nicht zu nutzen, liegt
Ähnliche Vorschläge kamen in den vergangenen Monaten von diese Quote auf psychotherapeutischer Seite bei rund 80 Prozent.
einigen Ärztekammern und KVen. Im BMG werden diese Bälle Dazu passt auch die Frage, in welchen Situationen überhaupt Pro-
gerne aufgenommen: In kommenden Gesetzen würden einmal bleme auftreten. Auf Platz eins und zwei landet dabei die TI mit
mehr die Primärsysteme in Sachen Funktion, Umfang und Ver- dem Auslesen der eGK (76 Prozent) und der Nutzung von TI-An-
lässlichkeit in den Blick genommen, ließ sich ein BMG-Mitarbei- wendungen (72 Prozent). Erst auf Platz drei kommen Probleme
ter im Ärztlichen Nachrichtendienst zitieren. mit Updates der Praxis-IT.
Selbst der Digitalchef einer großen Krankenkasse gerierte sich
kürzlich als gut informierter Arztpraxisdigitalisierungsberater Industrie-Bashing als Wegbereiter für mehr Regulierung
und empfahl den Ärztinnen und Ärzten, Druck auf ihre IT-Herstel- Viele in der Praxis-IT-Branche ärgern sich über die Pauschalität und
ler auszuüben – man sei ja schließlich Kunde und müsse techni- zumindest teilweise Vehemenz der Vorwürfe gegen die Praxissoft-
sche Probleme und eine unkomfortable Bedienung im Zusam- Es wird warehersteller, auch weil sie auf dem Weg über eine ständige Wie-
menhang mit der elektronischen Patientenakte, der ePA, nicht derholung in die Politik einsickern. Dieses Industrie- Bashing fin-
hinnehmen. Das Beispiel ist deswegen besonders pikant, weil vie- fleißig det sich sogar in Äußerungen von Bundestagsabgeordneten wie-
le Krankenkassen bisher nicht gerade durch nutzerfreundliche Di- gedroht, die der, die noch nie eine Praxissoftwarelösung mit eigenen Augen
gitalangebote für ihre Versicherten aufgefallen sind. Besonders gesehen haben: „Es entsteht ein Narrativ, wonach Praxissoftware-
die ePA der Krankenkassen ist in ihrer derzeitigen Version für die Daumen- lösungen allesamt veraltet seien und deren Hersteller nur Geld
reale Versorgung bekanntlich weitgehend dysfunktional. verdienen wollten, ohne sich für sonst irgendwas zu interessie-
schrauben ren“, so Naumann. „Das wird dann als Begründung genommen,
Zi-Umfrage ergibt differenziertes Bild anzuziehen. um einen Markt, der ohnehin enorm reguliert ist, noch stärker
Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte versuchten zuletzt, zu regulieren.“
auf Basis von mehreren Befragungen ein besseres Gefühl für Wer sich diese Denke zu eigen macht, der will in letzter Kon-
die Probleme mit digitalen Anwendungen in der Versorgung zu sequenz in der Regel durch staatliche Eingriffe für mehr Wettbe-
bekommen. Eine solche Umfrage fand auf Initiative des Ärzte- werb im Praxis-IT-Markt sorgen. Als jemand, der zu DDR-Zeiten
netzwerks Berlin statt und wurde vom Zentralinstitut für die kas- in Sachsen aufgewachsen ist und die Misserfolge einer maximal
senärztliche Versorgung (Zi) durchgeführt. Die Ergebnispräsen- durchregulierten Wirtschaft noch aus nächster Nähe kennenler-
tation fand Ende 2023 mit anschließender Diskussion statt – ei- nen durfte, kann Naumann diesem Konzept wenig abgewinnen.
ne Veranstaltung, die auch online übertragen wurde und auf Er sieht es eher als Teil eines breiteren und in seinen Augen zu-
YouTube einsehbar ist. tiefst kontraproduktiven Trends dahingehend, die strukturellen
An der Befragung selbst nahmen 385 Ärztinnen und Ärzte teil. Herausforderungen moderner Gesundheitssysteme durch immer
Die Umfrage gibt die Stimmung realistisch wieder, macht aber mehr Staat zu lösen.
auch die Stolpersteine deutlich, die es bei der Diskussion über
IT-Störungen in der ambulanten Versorgung gibt. Rund 44 Prozent Am eRezept orientieren
der Befragten berichteten über IT-Probleme mehrmals im Monat. Naumann und vielen anderen in der Praxis-IT-Branche schwebt et-
Die Fragestellung suggerierte dabei bereits, dass die Praxis-IT das was anderes vor: „Die Stärke des deutschen Praxis-IT-Markts ist
Hindernis sei: „Wie häufig funktionieren Prozesse in Ihrem PVS seine Vielfalt. Mangelnder Wettbewerb ist nicht das Problem. Wir
nicht?“ So wurde die Umfrage dann auch in der Online-Veranstal- müssen das Know-how einer sehr agilen und sehr motivierten Bran-
tung des Zi diskutiert. Der Zi-Geschäftsführer verkündete, dass ein che besser nutzen, um hohen Nutzerkomfort und eine bestmögli-
Großteil der Praxissoftwarelösungen schlicht zu alt sei, und sei- che Umsetzung von TI-Anwendungen zu erreichen.“ Die Tatsache,
tens der gematik wurde in dasselbe Horn geblasen. dass es in dem im internationalen Vergleich ausgesprochen bunten,
Tatsächlich wird die Umfrage der Vielfalt des Praxis-IT-Markts deutschen Praxis-IT-Markt eine große Zahl von IT-Entwicklerinnen
durchaus gerecht und zeichnet ein sehr differenziertes Bild, das und IT-Entwicklern gibt, die sehr nah an der Versorgung, an den
bei ehrlicher Auswertung keinem Beteiligten besonders schmei- Praxen und damit an den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten
cheln kann. So wird beispielsweise nach unterschiedlichen IT-Sys- dran sind, sei ein Pfund, mit dem viel zu wenig gewuchert werde.
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