Page 12 - xpress_Ausgabe 24.3
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TITEL





         INTERVIEW         „Wir brauchen eine stabilere TI“


          KBV-Vorständin Dr. Sibylle Steiner äußert sich zur Kritik an der Software-Branche und zur
          Störanfälligkeit der Telematikinfrastruktur (TI). Eine Konsequenz aus der aktuellen Diskussion:
          KBV kommuniziert jetzt verstärkt mit den Praxissoftwareherstellern.

             Wie ist aktuell die Stimmung bei den nieder-  verschickt unter dem Titel „Praxissoftware darf
          gelassenen Ärztinnen und Ärzten in Sachen Digi-  kein Glücksspiel sein“. Was sind Ihre Kritikpunk-   DR. SIBYLLE STEINER
          talisierung? Ruckelt sich das eRezept langsam ein?  te an der Softwarebranche?
                                                                                     Ärztin und Gesundheitsökonomin,
           Licht und Schatten. Wenn wir mit dem Licht begin-  Was fehlt, ist Transparenz. Wie informiert sich ein   Mitglied im Vorstand der Kassenärztlichen
           nen: Auch wenn das erst mal überraschend klingt,   Arzt oder eine Ärztin bei einer Praxisgründung   Bundesvereinigung (KBV)
           aber wir bekommen beim eRezept in Umfragen im   über das Thema IT? Wie können die Systeme un-
           Prinzip positive Rückmeldungen. Schon im Febru-  tereinander verglichen werden? Was leisten die   einbarung an, in denen sie auch außerhalb der exis-
           ar haben immerhin sechzig Prozent gesagt, dass   unterschiedlichen Systeme? Was passt zu einer   tierenden Formate mit uns in Austausch kommen
           das gut läuft. Ich bin sicher, dass dieser Wert noch   speziellen Praxisgründung? Aus unserer Sicht fehlt   können. Ich bin eigentlich ganz optimistisch.
           steigt, auch weil jetzt die Patientinnen und Pati-  es da an Information. Das ist ein wichtiger Kritik-
           enten, die regelmäßig kommen, das eRezept lang-  punkt und das, was wir mit „Glücksspiel“ meinen.     Bei den IT-Pannen zeigt im Moment jeder
           sam alle kennen. Die Schattenseite ist aber, dass   Es ist der Punkt, den wir mit der neuen Rahmen-  auf jeden: Die gematik auf die Praxis-IT-Bran-
           wir immer noch und eigentlich ständig mit der   vereinbarung in erster Linie adressieren wollen:   che, die Praxis-IT-Branche auf die TI und die
           störanfälligen TI zu kämpfen haben. Wir haben                       KVen mal in die eine, mal in die andere, mal in
           jetzt Mitte April, bisher werden die Ausfälle nicht                 beide Richtungen. Wie kommen wir weg von
           weniger. Die Stabilität der TI ist nicht gut. Punkt.                diesem Fingerpointing?
                                                                                Der erste Schritt ist, dass wir eine stabilere TI brau-
             Wie sehen diese Störungen in den Praxen   Wir sollten auch         chen. Solange das nicht gewährleistet ist, wird sich
          konkret aus?                           von verpflichtenden            die Stimmung nicht verbessern. Wir sollten aus
           Das sieht so aus, dass zum Beispiel das Einlesen der                 unserer Sicht auch von verpflichtenden Stichtags-
           eGK nicht funktioniert. Dann können die Praxen   Stichtagsregelungen   regelungen wegkommen, insbesondere von Fris-
           kein eRezept ausstellen, gehen ins Ersatzverfahren   wegkommen.      ten, von denen jeder weiß, dass sie völlig unrealis-
           mit Muster 16 und nach zwei Stunden kommt dann                       tisch sind. Es kann nicht sein, dass am Ende die
           wieder der Startschuss für das digitale Arbeiten.                    Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen
           Das passiert mitunter mehrmals die Woche. Und                        und Psychotherapeuten in Form von Sanktionen
           wenn verpflichtende Anwendungen wie eRezept,                         die Zeche zahlen müssen, wenn die IT-Systeme die
           eAU und VSDM nicht funktionieren, führt das na-  Transparenz schaffen. Ein zweiter Punkt ist, dass   Anwendungen nicht vorhalten. Diese Sanktionen
           türlich zu Frust und Ärger in den Praxen.   es möglich sein muss, das PVS-System einfacher   und Bußgelder müssen ersatzlos gestrichen wer-
                                              zu wechseln, wenn man unzufrieden ist – und bes-  den. Wir werden auch schärfere Performance-Vor-
             Sie haben vor rund einem Jahr einen der   sere Informationen über das Angebot zu bekom-  gaben für die TI und die PVS fordern. Bisher fokus-
          drei Vorstandsposten bei der KBV übernommen   men. Wir wollen aber niemanden zu irgendetwas   siert die Gesetzgebung noch zu stark ausschließ-
          und sind für das Thema Digitalisierung zustän-  überreden, und wir wollen auch keine Werbung   lich auf Interoperabilität. Die ist wichtig, und dafür
          dig. Wie gehen Sie an dieses Thema ran?  für irgendwelche Systeme machen.   arbeiten wir ja auch viel. Aber Performance und
           Ich habe mich bewusst unter anderem für dieses                       Funktionsfähigkeit sind für den Alltag in den Pra-
           Thema entschieden. Es ist ein schwieriges Thema,     Insgesamt war das Verhältnis zwischen Ärz-  xen mindestens genauso wichtig.
           aber eben auch ein total wichtiges Zukunftsthe-  teschaft und IT-Industrie in den letzten Monaten
           ma. Aus ärztlicher Sicht meine ich, dass wir von   ja eher angespannt. Wie kann ein besseres Mit-    Stabile TI geht in Richtung gematik, Fristen und
           dieser reinen Technikdiskussion wegkommen   einander gelingen?      Sanktionen gehen in Richtung Gesetzgeber. Was
           müssen. Wir müssen mehr darüber nachdenken,   Ich glaube, dass der Prozess, den wir im Zusammen-  erwarten Sie von den Praxissoftwareherstellern?
           wie wir mit Digitalisierung medizinische Versor-  hang mit der Rahmenvereinbarung angestoßen ha-  Ansprechpartner, Reaktionszeiten und Usability
           gungsprozesse unterstützen können. Die Frage   ben, schon eine erste Antwort auf diese Frage ist.   sind hier die zentralen Themen. Das ist das, was
           sollte eigentlich nicht sein: Läuft die Patientenver-  Wir kommunizieren mehr, wir hatten einen sehr   wir immer wieder hören. Ärztinnen und Ärzte
           sorgung trotz Digitalisierung? Sondern: Wie unter-  intensiven Austausch mit den Herstellern, mit dem   müssen wissen, an wen sie sich wenden können.
           stützt Digitalisierung die Versorgungsprozesse?  Verband bvitg, und auf Ärzteseite haben sich nicht   Der Support muss schnell, die Preismodelle im
                                              nur wir bei der KBV, sondern auch die KVen sehr   Support-Bereich müssen akzeptabel sein, und die
             Praxissoftware ist quasi die Nutzerperspek-  intensiv eingebracht. Dieser Austausch geht auch   Basisfunktionen, besonders bei den verpflichten-
          tive der Praxen auf IT-Anwendungen aller Art.   weiter, der ist nicht vorbei. Wir bieten den Herstel-  den TI-Anwendungen wie zum Beispiel der ePA,
          Die KBV hat kürzlich eine Pressemeldung    lern zum Beispiel Sprechstunden zur Rahmenver-  müssen nutzerfreundlich sein.<




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