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Titelgeschichte
INTERVIEW „ZEITNAHER FLÄCHENDECKENDER EINSATZ BEI NEUEN ANWENDUNGEN“
Claudia Pintaric, verantwortlich für die Beratung der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten bei der
Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, benennt die Dinge, die bei der digitalen Transformation in den
Arztpraxen nicht rundgelaufen sind und sich ändern müssen.
CLAUDIA PINTARIC
Î ÎWas läuft aus Ihrer Sicht aktuell grundsätzlich gut bei der Einführung ausgedruckt werden. Das bedeutet doppelter Auf- Kassenärztliche Abb.: KV Nordrhein
der TI-Anwendungen in den Arztpraxen und was ist problematisch? wand. Was wir benötigen sind Anreize, Mehrwerte Vereinigung Nordrhein
Ein großes Problem ist, dass die Digitalisierung im deutschen Gesundheits- und eine Entlastung durch Digitalisierung. Ein anderer Punkt ist die Informa-
wesen sich seit etlichen Jahren hinzieht. Vieles wird zunächst mit Hürden tion der Patienten, die ja von den medizinischen Anwendungen ebenfalls di-
und Medienbrüchen eingeführt, sodass die Akzeptanz bei den Akteuren rekt betroffen sind. Versicherte müssen ebenfalls rechtzeitig über Sinn und
schnell sinkt. Der Basis-Roll-out der TI mit der ersten Anwendung VSDM ist Nutzen sowie die Abläufe der Anwendungen informiert werden. Hier gibt es
ein gutes Beispiel: Da dieser weder für die Patienten noch für die Praxen ei- Optimierungspotenzial. Wir sehen in erster Linie nicht die Praxen, sondern
nen Nutzen hatte, war es aus Akzeptanzsicht ein Fehler, damit zu starten. insbesondere auch die Krankenkassen in der Pflicht.
Positiv hervorzuheben ist jetzt, dass endlich die medizinischen TI-Anwen-
dungen an den Start gehen, die einen Mehrwert für die Gesundheitsversor- Î ÎWie sollte mit den digitalen Anwendungen verfahren werden,
gung mitbringen. Mit der Umsetzung von NFDM und eMP werden die damit die den Ärzten keinen unmittelbaren Mehrwert bringen?
einhergehenden Aufwände in den Praxen jetzt außerdem vergütet, was bis- Die digitalen TI-Anwendungen, die jetzt kommen, ob NFDM, eAU oder ePA,
her beim VSDM nicht der Fall war. Als problematisch hervorzuheben sind da- können einen unmittelbaren Mehrwert für das Gesundheitswesen und somit
rüber hinaus Störungen in der TI, welche die Praxisabläufe behindern. für Ärzte und Patienten bringen. Voraussetzung ist, dass sie „schnell flächen-
deckend“ verfügbar werden. Was nutzt es einem Patienten, wenn er sich von
Î ÎWo liegen die Gründe dafür? seinem Hausarzt einen Notfalldatensatz auf seiner Gesundheitskarte anlegen
Zum einen hat die zeitlich extrem versetzte Verfügbarkeit der unterschiedli- lässt, aber andere Ärzte diese wichtigen Daten für die (Weiter-)Behandlung
chen Konnektoren beim Basis-Roll-out dazu geführt, dass es sehr lange ge- wegen fehlender technischer Unterstützung noch nicht verwenden können?
dauert hat, bis alle Praxen sich an die TI anschließen konnten. Zum anderen Oder betrachten wir eine Notfallsituation, bei der für einen Rettungssanitä-
hat der Gesetzgeber den Niedergelassenen mit Sanktionen gedroht, wenn ter noch keine Möglichkeit besteht, den Notfalldatensatz der eGK auszulesen.
Fristen nicht eingehalten werden. Auch jetzt, wo es um die Einführung der So kann eine durchaus sinnvolle Anwendung schnell an Akzeptanz verlieren.
medizinischen Anwendungen wie NFDM und eMP geht, haben noch lange
nicht alle erforderlichen TI-Komponenten Zulassungen und Zertifizierungen Î ÎÄrzte beklagen auch, dass die Pauschalen für die Einführung einer
erhalten. Praxen können daher nur zeitversetzt in die neuen TI-Anwendungen TI-Anwendung oftmals nicht ausreichend sind. Wie lässt sich dieses
einsteigen. Daraus resultiert, dass eine flächendeckende Nutzung noch lange Problem beheben?
nicht möglich ist. Infolgedessen wird sich auch ein Mehrwert der medizini- Nicht alleine die Verhandlungsergebnisse mit den Krankenkassen sind Maß-
schen Anwendungen erst spät zeigen. Das Thema IT-Sicherheit belastet viele stab für eine ausreichende Kostendeckung, sondern insbesondere auch die
Praxen. Wenn es zu Problemen mit IT-Sicherheit kommt, zum Beispiel auf- Preisgestaltung der Dienstleister, wie PVS- und Konnektorhersteller. Hier gibt
grund von fehlerhaften Installationen durch Dienstleister, führt dies nicht nur es große Unterschiede. Leider rufen viele Dienstleister die gesamten Pau-
zu fehlender Akzeptanz in den Praxen, sondern auch zu berechtigten Sorgen schalen ab, sodass zusätzliche Aufwände in den Praxen nicht erstattet wer-
und Ängsten: Ärzte sind für die sensiblen Daten in ihren Praxen verantwort- den. Ein Beispiel hierfür ist die TI-Starterpauschale in Höhe von 900 Euro, die
lich, aber als Nicht-IT-Experten hängen sie am Fliegenfänger ihrer IT-Dienst- insbesondere Installation, Praxisausfälle und erhöhte Aufwände in den Pra-
leister. xen decken soll, aber in der Regel von den Dienstleistern komplett abgegrif-
fen wird. Manche Angebote liegen sogar deutlich über den Pauschalen, so-
Î ÎWas muss sich ändern, damit die geplanten Digitalisierungsprojekte dass Praxen nicht selten mehrere Hundert Euro draufzahlen müssen. Für eine
im Rahmen der TI auf eine höhere Akzeptanz bei den Ärzten stoßen? kleine Einzelpraxis bedeutet dies durchaus eine größere Investition.
Insbesondere muss ein zeitnaher flächendeckender Einsatz bei neuen An-
wendungen gewährleistet werden. Die digitalen Neuerungen dürfen nicht Î ÎWie lässt sich insgesamt eine positivere Stimmung bei der
erhöhte Aufwände in den Praxen erzeugen, sondern müssen für Entlastung Digitalisierung in den Arztpraxen erreichen?
sorgen. Ein Nutzen neuer Technologien sollte sich möglichst unmittelbar Zusammenfassend kann man sagen: Mit einer Technik, die stabil und zu-
einstellen. Daraus resultiert auch, dass neue Anwendungen möglichst durch- kunftssicher angelegt ist. Mit überschaubaren und nachvollziehbaren Auf-
gängig digital und nicht als Hybridlösungen eingeführt werden. Ein gutes wänden in den Praxen, die honoriert werden. Mit Anwendungen, die direkt
Beispiel dafür ist der eArztbrief: Solange eine Praxis bei jedem Versand von Beginn an einen erkennbaren Mehrwert für Ärzte, Psychotherapeuten
überlegen muss, an wen sie Arztbriefe digital versenden kann und an wen und Versicherte bieten und zuletzt mit einer flächendeckenden Verfügbar-
per Fax, wird ein Großteil der Praxen beim altbewährten Fax bleiben. Ein keit für alle Akteure. Außerdem ist die Androhung von Sanktionen bei Frist-
weiteres Beispiel ist die elektronische AU: Auch hier soll im ersten Schritt versäumnissen nicht zielführend, wenn Praxen wegen fehlender Verfügbar-
der Umsetzung die Übermittlung an die Krankenkassen digital laufen, für keit notwendiger Komponenten oder Ressourcen gesetzlich vorgegebene
den Patienten und den Arbeitgeber hingegen muss die AU aber nach wie vor Termine nicht einhalten können.<
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