Page 12 - xpress_Ausgabe 19.4
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Titelgeschichte




        INTERVIEW         „WEARABLES KÖNNEN DIE LEBENSQUALITÄT MASSIV STEIGERN.“

          Woran liegt es, dass intelligente Diabetespflaster zurzeit nur von Großkonzernen angeboten werden, und warum
          sind viele medizinische Wearables in Deutschland nicht erhältlich? Christian Stammel, der mit seinem Unterneh-
          men WT | Wearable Technologies zu den Pionieren dieser Branche zählt, kennt die Antworten.

                                                                                             CHRISTIAN STAMMEL
          Î ÎWelchen Vorteil bieten medizinische Wearables?   Î ÎEs fällt auf, dass viele medizinische Wea-  Gründer und CEO von
          Medizinische Wearables können die Lebensqualität massiv steigern. Beim   rables in den USA oder in China, nicht aber   WT | Wearable Technologies   Abb.: WT | Wearable Technologies
          Kleinkind eines Freundes zum Beispiel trat plötzlich genetisch bedingt   bei uns erhältlich sind. Woran liegt das?
            Diabetes Typ 1 auf. Um den kleinen Patienten einzustellen, mussten die    Das hat mehrere Ursachen. Diese Länder sind für die Hersteller attraktiver,
          Eltern den Blutzuckerspiegel anfangs sogar fünf bis sechs Mal in der Nacht   weil sie nur eine Zulassung benötigen, um einen riesigen Markt zu bedie-
          messen. Dazu haben sie das Kind jedes Mal aufgeweckt. Jetzt verwenden   nen. In Europa müssen sie nach der Zulassung noch Anpassungen an die
          sie ein intelligentes Pflaster, das den Blutzucker automatisch misst und die   Besonderheiten der einzelnen Länder vornehmen, beispielsweise an die
          Daten an ein Auswertegerät überträgt. Das Kind muss nicht mehr geweckt   unterschiedlichen Gesundheitssysteme. Hinzu kommen bürokratische Hin-
          werden und die besorgten Eltern können jederzeit den aktuellen Wert auf   dernisse, die eine Zulassung kompliziert machen, wie zum Beispiel das
          dem Gerät ablesen.                                 Batterierückführungsgesetz, das in jedem EU-Land anders geregelt ist.
                                                             Eine weitere Hürde stellt die EU-Medizinprodukte-Verordnung dar. Viele
          Î ÎGroße Pharmakonzerne sind mit Diabetespflastern bereits am Markt,   Wearables, die bislang zur Risikoklasse I zählten, müssen in Zukunft ein
          während sich kleinere Anbieter schwertun. Woran liegt das?  Zertifizierungsverfahren durchlaufen, weil sie unter die Risikoklasse IIa
          Die Anwendungen für Diabetiker sind sehr kritisch, weshalb die Zulassung   oder sogar III fallen.
          als Medizinprodukt sehr lange dauert und kostenintensiv ist. Viele Inves-
          toren bringen nicht diese Geduld auf. Sie drängen die Start-ups dazu, zu-  Î ÎWo kann sich ein Arzt über medizinische Wearables informieren,
          nächst frei verkäufliche Produkte anzubieten. Großkonzerne haben es ein-  die für seine Patienten infrage kommen?
          facher, weil sie über die finanziellen Mittel verfügen, um ein Wearable in   Mir ist leider keine Stelle bekannt, die alle Wearables auflistet, die in
          wenigen Jahren zur Marktreife zu entwickeln und als Medizinprodukt zu-  Deutschland als Medizinprodukt zertifiziert sind. Vielleicht gibt es bei den
          zulassen. Es gibt aber noch einen anderen Punkt. Die großen Anbieter ver-  Zertifizierungsstellen ein Register, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass
          wenden minimalinvasive Technologien, die am Markt bereits verfügbar   ein niedergelassener Arzt dort nachschaut. Angesichts der zunehmenden
          sind, während die Start-ups an nichtinvasiven Messverfahren arbeiten. In   Nachfrage wäre eine zentrale Informationsquelle sicherlich wünschens-
          anderen Bereichen haben Start-ups bereits erfolgreiche Zulassungen am   wert. Wer sich generell über Wearables informieren möchte, auch über
          Markt, beispielsweise bei der Messung von Herzfrequenz, Lungenkapazi-  solche, die noch nicht in Deutschland zugelassen sind, kann unsere Home-
          tät, Körpertemperatur oder Hautfeuchtigkeit.       page (Anm. d. Redaktion: C  WEARABLE-TECHNOLOGIES.COM) besuchen.<





        wird über diesem Implantat angebracht und  die lästige Verkabelung aus. Eher wie ein Pflas-  einen bevorstehenden Anfall, beginnt das  Wea-
        liest die Blutzuckerwerte ebenfalls kontinu-  ter im herkömmlichen Sinn sieht dagegen der  rable zu vibrieren. Die Daten lassen sich auf
        ierlich aus. Dieses Verfahren soll (weil implan-  EKG-Sensor eines Chipherstellers aus dem  das Smartphone oder in eine Cloud hochladen.
        tiert) genauere Messwerte liefern. Völlig ohne   Silicon Valley aus, der ein 2- und 3-Kanal-EKG  Zurzeit laufen mehrere Studien mit ADAMM,
        die Haut zu verletzen arbeitet noch keine Blut-  aufzeichnet und sowohl für den Heimbereich  unter anderem an der Yale School of Medicine.
        zuckermessung. „Ich habe in den vergangenen  als auch für den klinischen Einsatz entwickelt
                                                                               Intelligente Accessoires
        zwölf Jahren rund 20 Start-ups kennengelernt,  wurde. Nachdem der Sensor im vergangenen
        die Konzepte für eine nichtinvasive Blutzu-  Jahr eine Zulassung in den USA erhalten hat,  Es muss nicht immer ein Pflaster sein. Auch
        ckermessung vorgelegt haben“, sagt Stammel.  sollen ihn jetzt Drittanbieter in ihre Weara-  Armbanduhren, Brillen, Ohrhörer oder T-Shirts
        „Aber diese verschiedenen technischen Kon-  bles-Anwendungen einbauen.   können zum Wearable „aufgebohrt“ werden.
        zepte brauchen noch ein paar Jahre bis zur   Das intelligente Asthmapflaster ADAMM  Die Apple Watch, einst als Lifestyle-Produkt
        Marktreife.“                       des Unternehmens Health Care Originals wird  gestartet, hat inzwischen das Potenzial, Pati-
          Herz-Kreislauf-Patienten profitieren eben-  ebenfalls auf die Haut geklebt und hört die Lun-  enten vor Vorhofflimmern zu warnen. In einer
        falls von intelligenten Pflastern. Bereits in  ge wie eine Art drahtloses Stethoskop ab, um  Megastudie der medizinischen Fakultät der
        Deutschland erhältlich ist das Qardiocore des  das Atemmuster und die Hustenrate zu messen.  Universität Stanford mit über 400 000 Proban-
        US-Herstellers Qardio. Es ist kein Pflaster im  Sensoren erfassen außerdem weitere Parame-  den hat der optische Pulssensor der Uhr kon-
        herkömmlichen Sinn, sondern ein vergleichs-  ter wie etwa Herzschlag oder Körpertempera-  tinuierlich die Blutmenge erfasst, die durch das
        weise dickes Kunststoffteil, das etwas fester  tur. Die Auswertung dieser Daten durch einen  Handgelenk fließt. Auf diese Weise konnte die
        aufgeklebt wird und fortlaufend ein 1-Ka-  Algorithmus erfolgt direkt im Wearable, damit  Smartwatch zu jedem gemessenen Zeitpunkt
        nal-EKG aufzeichnet. Es eignet sich für die  der Patient nicht auf ein weiteres Gerät ange-  Puls und Herzrhythmus berechnen und die
        Messung von Langzeit-EKGs, kommt aber ohne  wiesen ist. Erkennt die künstliche Intelligenz  Probanden bei auftretenden Herzrhythmusstö-

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