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Titelgeschichte
o viel Aufbruchstimmung war nie. Zwar tronische Akten patientenzentriert und pa-
ist das Konzept der elektronischen Pati- tientengesteuert sein müssen.
Sentenakte schon Teil der politischen Dis- Der zweite Grund, warum elektronische
kussion, seit es den Begriff der elektronischen Patientenakten plötzlich in aller Munde sind:
Gesundheitskarte gibt, also weit über zehn Mehrere innovative Krankenkassen und Kran-
Jahre. Doch außer ein paar zaghaften Versu- kenversicherungen entwickeln seit etwa an-
chen mit internetbasierten Akten wie Life- derthalb Jahren moderne, auf Mobilgeräten
Sensor, Google Health oder vita-X wurde der nutzbare elektronische Akten. Diese Projekte
Begriff zumindest in Deutschland nie wirklich sind mittlerweile so weit fortgeschritten, dass
mit Leben erfüllt. Keines der genannten Pro- die „Smartphone-Akten“ teilweise unmittel-
dukte existiert heute noch. bar vor Einführung stehen. So testet die
Was es in Deutschland gab, waren theorie- Techniker Krankenkasse eine in ihre Versi-
lastige Diskussionen um Begrifflichkeiten, die cherten-App integrierte elektronische Akte
auch die letzte Bundesregierung mit ihrem namens TK-Safe, die von IBM entwickelt wird
E-Health-Gesetz nicht beenden konnte. So (siehe Interview auf Seite 14). Die DAK Ge-
wurde unterschieden zwischen elektroni- sundheit und zahlreiche BKKen setzen auf eine
schen Gesundheitsakten, elektronischen Pa- Smartphone-Akte des Berliner Start-ups Vivy,
tientenakten, elektronischen Patientenfä- die ab Herbst 2018 vielen Versicherten zu-
chern und elektronischen Fallakten mit je- gänglich gemacht werden soll (siehe Interview
weils unterschiedlichen Eigenschaften, Zu- auf Seite 12). Und die AOKen sowie eine Reihe
griffsmodalitäten und Rechtsgrundlagen. Es von privaten Krankenversicherungen haben
PATIENTENAKTEN
Jetzt gehts los!
Auf breiter Front gibt die Telematikinfrastruktur, die mit all ebenfalls Aktenprojekte am Start, die teils
führen die Kranken- dem irgendwie interagieren sollte, aber letzt- schon laufen, teils demnächst in Pilotprojek-
kassen derzeit elek- lich war alles Stückwerk und hat eher Verwir- ten getestet werden (siehe Kasten Seite 13).
tronische Akten ein, rung gestiftet. Viele gesundheitspolitische Bei all diesen Akten handelt es sich – und
die den Weg zu einer Akteure waren dadurch dermaßen abge- da gibt es immer noch Missverständnisse,
digital gestützten schreckt, dass sie sich mit der Aktenthematik gerade bei Ärzten – um „sekundäre“ Daten-
erst gar nicht beschäftigten.
sammlungen in Patientenhand. Es sind elek-
Versorgung ebnen Doch die Zeiten haben sich geändert, und tronische Werkzeuge, mit denen der Patient
sollen. Von der Po- das hat mehrere Gründe. Zum einen: Die Zeit Arztbriefe, Laborwerte, Röntgenbilder, Medi-
litik kommt mit dem ist reif. Anders als früher wird mittlerweile kationslisten, Notfalldaten, Impfungen, eigene
Terminservice- und von niemandem mehr ernsthaft angezweifelt, Daten aus Messgeräten aller Art und andere
Versorgungsgesetz dass der Bürger bzw. Patient in übergreifen- gesundheitsrelevante Daten zusammenträgt
(TSVG) Rückenwind. den elektronischen Akten, die ihn sein Leben und verwaltet.
Die „Handy-Akte“ lang begleiten, der Herr über seine Daten sein Wo die Daten gespeichert werden, ist der-
in der Regie des muss. Die europäische Datenschutz-Grund- zeit unterschiedlich. Vivy und TK nutzen
verordnung (DSGVO) lässt zudem überhaupt Rechenzentren in Frankfurt am Main. Die AOK
Versicherten dürfte keine andere Möglichkeit, als bei Patienten- setzt auf dezentrale Server, beispielsweise
bald Wirklichkeit daten, die digital hin und her wandern sollen, einer, der bei der KV Mecklenburg- Vor-
werden, und die dem Versicherten die Datenhoheit zu geben. pommern steht. In jedem Fall ist die elektro-
Praxis-IT-Hersteller Und für die in diesem Punkt lange Zeit eher nische Datensammlung in Patientenhand, aber
ziehen mit. skeptischen Ärzte vollzog der für IT zustän- unabhängig von den „primären“ Datensamm-
dige KBV-Vorstand Dr. Thomas Kriedel im lungen in den IT-Systemen der Praxen und
Sommer 2017 die Kehrtwende. Seither tritt Krankenhäuser. Die Primärdokumentation
die Kassenärztliche Bundesvereinigung klipp bleibt in der Hoheit der jeweiligen Einrichtung
und klar und öffentlich dafür ein, dass elek- und wird es auch bleiben. Hier haben der
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