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Titelgeschichte
INTERVIEW FÜNF FRAGEN AN EINEN PATIENTENAKTENPIONIER
Christian Rebernik ist Gründer und Geschäftsführer der in Berlin ansässigen Vivy GmbH, die in Kooperation mit
gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen eine Smartphone-basierte elektronische Patientenakte entwickelt.
Î ÎWas können elektronische Akten für die medizinische Versorgung Zum einen kann der Nutzer selbst beliebige Do- CHRISTIAN REBERNIK Abb.: Vivy
leisten? kumente und Bilder, die er elektronisch besitzt, Gründer und Geschäfts-
Unser Anspruch ist, dass wir sowohl Menschen, die gesund sind, als auch in seine Akte einstellen. Aufseiten der Ärzte ist führer Vivy GmbH
Menschen, die krank sind, begleiten wollen. Wenn ich gesund bin, werde es unsere Strategie, dass jeder Arzt in ganz
ich eher Funktionen wie die Notfalldaten, den hinterlegten Impfpass oder Deutschland unabhängig von der Einrichtung und unabhängig von der
die Termin- und Erinnerungsfunktionen nutzen. Wenn ich eine Grippe genutzten Software Dokumente zur Verfügung stellen kann. Dies ge-
habe, lasse ich mich an meine Medikamente erinnern oder möchte etwas schieht entweder per Fax oder per Web-Upload. Darüber hinaus wird es
über Wechselwirkungen wissen. Steht eine Knie-OP an, hätte ich viel- mittelfristig tiefere und damit komfortablere Integrationen in die
leicht gerne eine Zweitmeinung. Oder ich möchte einfach meine Unterla- IT-Systeme von Praxen und Kliniken geben. Wir kooperieren zum Bei-
gen vom Arzt, wenn ich eine Untersuchung oder einen Gesundheits- spiel mit den Sana Kliniken und mit dem Krankenhaus-IT-Dienstleister
Check-up hatte. Das sind nur einige Szenarien. Da ist noch viel Musik drin. März AG. Vivy ist grundsätzlich ein offenes System, das es jedem er-
laubt, mit der Akte zu interagieren.
Î ÎWelche Funktionen bietet die Vivy-Akte, und ab wann ist sie
verfügbar? Î ÎEin Ausblick zum Schluss: Wo entwickeln sich elektronische
Wir haben schon jetzt ein breites Funktionsspektrum, sowohl bei der Patientenakten auf Dauer hin?
Dokumentation als auch bei den Assistenzfunktionen. Es gibt Notfallda- Interessant wird es bei der Telemedizin. Unsere Vision wäre, dass elek-
ten, Medikationsplan und Impfverzeichnis. Ärzte können Labordaten, tronische Akten auch zur Kommunikation genutzt werden, zum Beispiel
Ultraschallbilder und Röntgenbilder zur Verfügung stellen. Es gibt Erin- bei einer Videosprechstunde oder zur Übermittlung von Rezepten. Der
nerungsfunktionen für Medikamente und Vorsorgeuntersuchungen. Patient könnte dem Arzt auch Zugriff auf seine Puls- oder Blutdruck-
Wir haben außerdem eine Art Gesundheits-Check, der Ernährung, Akti- messung geben. Der Charme der mobilen Plattform ist, dass Zustim-
vität und geistige Leistungsfähigkeit einbezieht. Es wird Prozessfunkti- mungsszenarien sehr viel besser umgesetzt werden können als mit
onen wie das Einreichen von AU-Bescheinigungen, die medizinische Desktop-Systemen. Der Patient könnte zum Beispiel einfach per
Historie und vieles mehr geben. Aktueller Stand ist, dass wir mit priva- Push-Benachrichtigung aufs Handy gefragt werden, ob er einem Kran-
ten und via IT-Dienstleister BITMARCK mit 90 gesetzlichen Krankenver- kenhaus Zugriff auf seine Akte gewährt. Oder: Wenn sich ein Arzt mit
sicherungen kooperieren, die ab Herbst in die Kommunikation gehen einem anderen Arzt über mich austauschen will, dann ist das bisher re-
und die Vivy-Akte ihren Versicherten zur Verfügung stellen wollen. Im lativ schwer umzusetzen, weil erst einmal mein Einverständnis nötig
Moment ist die Akte in einem Pilottest. ist. Auch hier könnte eine Push-Benachrichtigung helfen. Das ist un-
kompliziert, unbürokratisch und trotzdem sicher und rechtskonform.
Î ÎElektronische Akten in Patientenhand sind in der Vergangenheit unter Das wäre zumindest meine Vorstellung, wo sich elektronische Akten
anderem daran gescheitert, dass es keine praktikable Verbindung zu den hinbewegen könnten. Und ich habe den Eindruck, dass der Gesetzgeber
Praxis- und Kliniksystemen gab. Wie machen Sie das? das auch in diese Richtung treibt.<
niedergelassene Arzt oder das Krankenhaus > hängt es allein vom Patienten ab, wem er Im Juli hat Spahns Ministerium den Entwurf
den Hut auf. Bei elektronischen Akten in Pa- welche Dokumente zugänglich macht. des Terminservice- und Versorgungsgesetzes
tientenhand dagegen (TSVG) vorgelegt. Der Entwurf wurde in der
> kann sich der Patient bzw. der Versicherte Wie gesagt, so richtig neu sind diese Ideen Ärzteschaft vor allem im Hinblick auf Sprech-
oder Nutzer frei entscheiden, eine solche elek- eigentlich nicht. Dass im Moment jeder darüber stundenzeiten sowie im Hinblick auf die Pflege
tronische Akte anzulegen, und er hat auch das redet und dass jetzt erstmals reale Chancen diskutiert. Das TSVG enthält aber auch wichti-
Recht, sie wieder zu löschen; bestehen, dass solche Akten auch wirklich auf ge Weichenstellungen für elektronische Akten.
> kann ohne Einverständnis des Nutzers breiter Front Einzug in die Versorgung halten, Der Gesetzentwurf stellt vor allem klar, dass
niemand außer dem Nutzer selbst in die Daten liegt einerseits an dem schon erwähnten Druck die Krankenkassen ihren Versicherten künftig
Einblick nehmen. Weder die anbietende Kran- der Krankenkassen. Andererseits liegt es da- elektronische Akten anbieten müssen, und
kenkasse beziehungsweise Krankenversiche- ran, dass das Bundesgesundheitsministerium zwar spätestens ab Anfang des Jahres 2021.
rung noch der involvierte IT-Dienstleister kann unter dem neuen Gesundheitsminister Jens Diese Akten, und auch das ist neu, sollen nicht
die Daten sehen. Denn die liegen verschlüsselt Spahn den klaren Willen zu haben scheint, jene irgendwelche (Gesundheits-)Akten sein, bei
in Rechenzentren, und der einzige, der den Hürden aus dem Weg zu räumen, die es elek- denen jeder Hersteller machen kann, was er
Schlüssel zum Entschlüsseln besitzt, ist der tronischen Akten im deutschen Gesundheits- will. Es sollen vielmehr standardisierte elekt-
Nutzer; wesen bisher schwer gemacht haben. ronische Patientenakten nach § 291a SGB V sein.
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