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Thema




        INTERVIEW         „MIT DER VIDEOSPRECHSTUNDE LÄSST SICH WUNDERBAR STEUERN“

          Stefan Spieren MBA gehört zu den ersten Medizinern in Deutschland, die ihren Patienten eine Videosprechstunde
          anbieten. Im Interview berichtet er über seine Erfahrungen, was er im Laufe der Zeit geändert hat und welche Vor-
          teile ihm die Videosprechstunde bringt.

                                                                                                STEFAN SPIEREN MBA
          Î ÎWie häufig führen Sie Videosprechstunden durch?  von Laborwerten oder von Medikationsumstellun-  ist Facharzt für Allgemeinme-  Abb. Stefan Spieren MBA
          Wir haben das zuletzt etwa zehn bis fünfzehn Mal pro Monat gemacht,   gen per Video zu machen. Das sind aus meiner   dizin und Allgemeinchirurgie
                                                                                                in Wenden-Hünsborn im
          aber wir bauen das aus. Die Patienten konnten bei uns eine Zeit lang Vi-  Sicht klassische Einsatzgebiete, bei denen sich mit   KV-Bezirk Westfalen-Lippe.
          deosprechstunden über die Homepage buchen. Das haben wir Ende 2017   der Videosprechstunde wunderbar steuern ließe.
          eingestellt, weil es zu viel wurde. Ab dem kommenden Quartal bieten wir   Auch in diesen Szenarien hätte ich mit der Videosprechstunde weniger Ar-
          die Onlinebuchung der Videosprechstunde aber wieder an, bei etwas    beit als ohne. Wenn wir von einem künftigen telemedizinischen Erstkon-
          geändertem Konzept: Wir legen definierte Slots für die Videosprechstun-  takt reden, der den Patientenbesuch in der Praxis ersetzt, dann muss natür-
          den fest, zum Beispiel 13 bis 14 Uhr. Da schaffe ich dann bis zu zehn    lich anders vergütet werden. Da müssen aber erst mal die Berufsordnungen
          Videosprechstunden, und die Patienten können diese Slots buchen.  der Landesärztekammern geändert werden. Der Ärztetagsbeschluss alleine
                                                             reicht da nicht.
          Î ÎLohnt sich das, so wie die EBM-Ziffern dotiert sind?
          Wenn Sie so fragen, werden Sie immer hören, dass mehr bezahlt werden   Î ÎSie wären für eine weitergehende Freigabe der Videosprechstunden?
          muss. Das muss man aber differenziert sehen. Nehmen Sie mal die Wund-  Auf jeden Fall. Die Sorge dabei ist ja immer, dass irgendwo Callcenter mit
          kontrollen, daran lässt sich das gut illustrieren. Die Patienten belegen nicht   Honorarärzten entstehen, die im Keller sitzen und nur noch Videosprech-
          mein Wartezimmer. Sie beanspruchen nicht mein Behandlungsteam. Ich   stunden machen. Da wäre ich auch kein Fan von. Aber ich denke, das lässt
          muss die Liege nachher nicht desinfizieren. Ich muss kein Pflaster kaufen   sich verhindern, wenn man das vernünftig reguliert.
          und aufkleben. Ich habe also weniger Ressourcenaufwand, und es geht
          schneller. Da zu argumentieren, dass wesentlich mehr Honorar gezahlt    Î ÎWie laufen die Videosprechstunden konkret in Ihrer Praxis ab?
          werden muss, finde ich schwierig.                  Bereiten Ihre MFA das vor?
                                                             Nein, die haben damit wenig zu tun. Der Computer steht in meinem
          Î ÎWas ist bei Patienten, die Sie in dem Quartal noch nicht gesehen    Sprechzimmer, die Webcam ist am Monitor befestigt, die Bedienung mache
          haben?                                             ich komplett selbst. Während der Zeit, in der ich Videosprechstunden ma-
          Deswegen sage ich, man muss differenzieren. Im Moment ist die Video-  che, stört mich keiner, außer wenn mal ein Rezept unterschrieben werden
          sprechstunde, was die zugelassenen Indikationen angeht, ja extrem be-  muss. Das funktioniert wunderbar, und es schont Ressourcen inklusive der
          schränkt. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, viel mehr Besprechungen    Zeit meiner MFA.<





        bei den Rezepten. Fernbehandlungsvorreiter  DrEd und auch der zweite in London ansässige  haltend agierende Apothekerschaft eine Kehrt-
        Baden-Württemberg hat in seinem  Projekt  Telemedizinanbieter, das Unternehmen  wende vollzogen hat. Im Laufe des Herbstes
          „docdirekt“ festgelegt, dass nur die „leibhafti-    Fernarzt.com, nutzen niederländische Ver-  2018 will der Apotheker-Spitzenverband ABDA
        gen“ PEP-Ärzte Rezepte ausstellen dürfen. Hin-  sandapotheken, um ihre Kunden mit den re-  ein eigenes Konzept für ein elektronisches Re-
        tergrund ist unter anderem, dass das Arznei-  zeptierten Medikamenten zu versorgen. Das  zept vorlegen, um es allen Apotheken in
        mittelgesetz und die Apothekenbetriebsord-  ließe sich allenfalls durch ein Versandverbot  Deutschland zu ermöglichen, „am Verkehr mit
        nung es deutschen Apotheken untersagen,  für rezeptpflichtige Arzneimittel unterbinden,  E-Rezepten teilzunehmen“.
        Rezepte zu bedienen, die offensichtlich ohne  ein politisch sehr heißes Eisen.   Spannend in diesem Zusammenhang ist,
        persönlichen Arztkontakt ausgestellt wurden.   Der für die Digitalisierung im Bundesge-  dass für jenes Unternehmen, das der Lex DrEd
        Diese sogenannte „Lex DrEd“ geht auf den ehe-  sundheitsministerium zuständige Abteilungs-  ihren Namen gab, im Juni 2018 ebenfalls ein
        maligen Bundesgesundheitsminister Hermann  leiter Gottfried Ludewig zumindest sagt aus-  Modellprojekt in Baden-Württemberg geneh-
        Gröhe zurück, der damit konservative Teile der  drücklich, dass sich Minister Jens Spahn der  migt wurde. Bisher agiert DrEd von London
        Ärztelobby bediente, aber ansonsten bundes-  Fernrezeptierung annehmen wolle: „Wir kön-  aus, von wo aus seit 2011 rund zwei Millionen
        weites Kopfschütteln geerntet hatte.   nen da noch jahrelang Abwehrkämpfe führen,  Menschen aus sechs Ländern versorgt wurden,
          Ziel des Gesetzes war es, telemedizinische  und am Ende wird es uns von außen ins System  rund 400 000 aus Deutschland: „Unsere häu-
        Service-Center-Modelle wie jenes des Anbie-  gedrängt. Besser ist es aus meiner Sicht, die  figsten Anfragen betreffen Folgerezepte etwa
        ters DrEd zu unterbinden, bei denen aus dem  Rahmenbedingungen selbst so zu gestalten,  bei Asthma, bei Hypertonie oder in der oralen
        europäischen Ausland deutsche Patienten ver-  dass unserem Anspruch an Qualität Genüge  Kontrazeption. Ebenfalls sehr gefragt sind
        sorgt werden, die ihre Rezepte in deutschen  getan wird.“ Äußerungen wie diese haben of-  Themen aus den Bereichen Männer- und Frau-
        Apotheken einlösen. Die Maßnahme hat freilich  fensichtlich auch dazu geführt, dass sogar die  engesundheit sowie Beratungen bei Erkran-
        vor allem den deutschen Apotheken geschadet:  in Sachen digitales Gesundheitswesen zurück-  kungen wie dem Heuschnupfen oder im Bereich

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