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Titelgeschichte




        INTERVIEW         „GEMATIK SOLLTE KEINE SOFTWARE ENTWICKELN“

          Melanie Wendling, Geschäftsführerin des Bundesverband Gesundheits-IT – bvitg, äußert sich zur Digitalstrategie der Bundesregierung
          und zur künftigen Rolle der gematik. Sie fordert, dass neue Anwendungen vor dem Rollout ausreichend getestet werden sollten.


          Î 	Die Digitalstrategie für das Gesundheitswesen ist da – und auch gleich   plementierungen daran orientieren, wie der Landes-
          zwei Gesetzesvorhaben, die darauf aufsetzen. Was halten Sie davon?  datenschützer drauf ist. Es kann auch nicht sein, dass   MELANIE WENDLING  Abb.: bvitg
          Wir sind positiv gestimmt. Die Strategie ist ehrgeiziger, als wir erwartet hät-  es 16 verschiedene Regelungen zur Ausschüttung von   Geschäftsführerin
          ten. Viele der vorgeschlagenen Veränderungen, insbesondere bei den The-  KHZG-Geldern und zu KHZG-Fristen (Anm.: KHZG, Kran-  Bundesverband Gesund-
                                                                                                 heits-IT – bvitg e.V.
          men Governance und Forschung, gehen in die richtige Richtung. Allerdings   kenhauszukunftsgesetz) gibt. Das ist nicht zielführend,
          werden einige weitere wichtige Punkte aus unserer Sicht nicht ausreichend   für niemanden. Und eine Sache noch: Wir würden es
          prominent angesprochen.                            begrüßen, wenn die Umwandlung der gematik in eine Bundesagentur dazu
                                                             führt, dass die Zuständigkeiten dieser Institution sich nicht mehr ganz so sehr
          Î 	Was erwarten Sie, was erwartet die Industrie sich von der neuen    in Legislaturperioden berechnen.
          gematik, der „Bundesagentur“?
          Das Entscheidende aus Industriesicht ist, dass mehr und transparenter kom-  Î 	Kommen wir denn mit dieser Strategie einem datengenerierenden
          muniziert wird, dass der Verband früher eingebunden wird, dass vor Rollouts  und datennutzenden Gesundheitswesen in Deutschland näher?
          ausreichend Testmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden und dass sich   Das wird stark davon abhängen, was im Digitalgesetz und im Gesundheitsda-
          nicht ständig irgendwelche Spezifikationen kurz vor knapp wieder ändern.   tennutzungsgesetz am Ende konkret drinsteht. Die Strategie gibt das her. Die
          Die gematik sollte auch keine eigenen Softwarelösungen entwickeln. Die Un-  Passagen zum Forschungspseudonym, zur Zusammenführung von Forschungs-
          ternehmen können das besser, die wollen das auch, aber dazu braucht es ein   daten und zum Zugriff auch für die kommerzielle Forschung gefallen uns gut –
          paar Rahmenbedingungen. Die waren zuletzt nicht konsequent erfüllt, um es  wie übrigens auch die Passagen zur Telemedizin. Vieles davon haben wir und
          mal so zu formulieren. Was wir uns noch erwarten, weniger von der Agentur   andere Branchenverbände immer wieder gefordert. Wenn wir es jetzt noch
          als von der Politik insgesamt, und da greift uns die Strategie etwas kurz: we-  auf gesellschaftlicher Ebene schaffen, das Thema Gesundheitsdaten ein wenig
          niger Föderalismus. Es kann nicht sein, dass sich Unternehmen bei ihren Im-  zu entstigmatisieren, dann kommen wir einen großen Schritt weiter.<




          Um das GDNG zu verstehen, muss man die  sogenanntes Forschungspseudonym etabliert  und pseudonymisiert werden. Wer kein Front-
        derzeitige Versorgungsforschungslandschaft  werden, das wohl auf Basis der Krankenversi-  end nutzt, bei dem greift automatisch das Opt-
        kennen. Die ist heterogen. Es gibt eine ganze  chertennummer erstellt und dann für alle Ver-  out“, erläutert Ozegowski. Hintergrund ist,
        Reihe von Registern, in die Ärztinnen und Ärz-  sorgungsdaten genutzt wird, unabhängig da-  dass das FDZ bei der derzeitigen ePA-Architek-
        te mit unterschiedlich viel, oft sehr viel, Auf-  von, wo sie lagern. So wird eine datenquellen-  tur sonst Zugriff auf sämtliche ePAs hätte ha-
        wand reale Versorgungsdaten einpflegen.  übergreifende Forschung möglich. Dabei geht  ben müssen, was man vermeiden wollte. „Das
        Krebsregister und Implantateregister sind am  es nicht um zentrale Datenhaltung: Die Daten  ist zwar noch nicht die Optimallösung, aber ein
        bekanntesten, aber auch die Rheumatologie  bleiben dezentral. Wer forschen möchte, stellt  guter erster Schritt, um zeitnah strukturierte
        hat mit dem Biologika-Register einen Leucht-  einen Antrag beim FDZ und kann dann in die-  Daten aus der ePA für die Forschung zugänglich
        turm. Unabhängig davon gibt es die Forschung  sem eng definierten Kontext mit den jeweils  machen zu können“, so Ozegowski.
        mit Abrechnungsdaten, lange Zeit eine Domä-  individuell zusammengeführten, pseudonymi-
                                                                               Fazit
        ne der KVen und Krankenkassen. Seit einigen  sierten Daten forschen.
        Jahren wird eine zunehmende Zahl an Abrech-  In Zukunft wird dies auch mit ePA-Daten  Es kommt einmal mehr Bewegung in die Digi-
        nungsdaten beim Forschungsdatenzentrum  funktionieren. Allerdings soll das – anders als  talisierung des deutschen Gesundheitswesens.
        (FDZ) des BfArM zusammengeführt – und zwar  bei Abrechnungsdaten – freiwillig sein. Vorge-  Die Zeit der analogen Rezepte dürfte relativ
        so, dass es möglich wird, longitudinale Verläu-  sehen ist hier ebenfalls ein Opt-out: Wer nicht  zügig ablaufen. Die telemedizinische Versor-
        fe zu analysieren. Das geschieht mit Hilfe einer  will, dass mit seinen ePA-Daten geforscht wird,  gung wird der „normalen“ Versorgung zuneh-
        Vertrauensinfrastruktur, bei der das Robert  kann das ablehnen. Auch wer einmal zuge-  mend gleichgestellt, was es Arztinnen und
                                                                                                      �
        Koch-Institut eine tragende Rolle spielt. Nicht  stimmt hatte und es sich später aber anders  A� rzten ermöglicht, die jeweils beste Versor-
        möglich ist es bisher, Abrechnungs- und Regis-  überlegt, kann einen Opt-out vornehmen. In  gungsoption für ihre Patientinnen und Patien-
        terdaten zusammenzuführen. Auch hat die  diesem Fall stehen dann die alten Daten nicht  ten zu nutzen. Kooperationsszenarien zwi-
        privatindustrielle Forschung keinen Zugang  mehr zur Verfügung. Ganz so einfach ist es al-  schen unterschiedlichen Leistungserbringern
        zum FDZ. Und künftig kommen mit den ePA-Da-  lerdings dann doch nicht: „Es können nur dann  gewinnen insbesondere bei der Telemedizin
        ten ganz neue Daten ins Spiel, die natürlich  ePA-Daten ans FDZ fließen, wenn der oder die  deutlich an Bedeutung. Und die elektronische
        auch von Forschungsinteresse sind.      Versicherte ein Frontend, also eine ePA-App,  Patientenakte verliert ihren elitären Status
          Das GDNG will all diese Forschungswelten  nutzt. Die Daten müssen vor einer Datenfrei-  und soll jetzt wirklich zu einem universellen
        mittelfristig zusammenführen. Dazu soll ein  gabe nämlich zunächst im Frontend geöffnet  Versorgungstool werden.<     $ PHILIPP GRÄTZEL

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