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Titelgeschichte
aten aus der medizinischen Versorgung zur Digitalisierung des Gesundheitswesens
– dazu gehören Laborwerte ebenso wie nicht weniger als einen Mentalitätswechsel:
DRoutine- oder Bilddaten – können die Der Rat möchte die informationelle Selbstbe-
medizinische Forschung beflügeln. Die Kom- stimmung neu verstanden wissen, heißt es in
bination aus großen Datenmengen und ma- dem Text. Nicht mehr länger als Abwehrrecht
schinellen Lernverfahren stößt die Tür zu der Bürgerinnen und Bürger gegenüber dem
ganz neuen Forschungsansätzen auf. So kön- Staat, sondern auch als Recht auf die Verar-
nen Wissenschaftler mithilfe von künstlicher beitung medizinischer Daten, sowohl der ei-
Intelligenz herausfinden, warum die eine genen als auch der Daten anderer Menschen,
Brustkrebspatientin einen Rückfall erleidet, um eine bessere Gesundheitsversorgung zu
die andere jedoch nicht. Welche Biomarker auf erreichen. „Kluges Misstrauen sollte zu geeig-
bestimmte Risiken hinweisen. Oder welche neten Schutzmaßnahmen führen – nicht Hilfe
unterstützenden Therapien den Patienten verhindern, denn Daten teilen heißt besser
helfen und welche nicht. heilen“, betonte der SVR-Vorsitzende Profes-
Medizinische Daten sind also ein hohes Gut sor Ferdinand Gerlach bei der Vorstellung des
– dessen Potenzial in Deutschland bisher ver- Gutachtens letzten März.
pufft. Nicht, dass es keine Daten gäbe: Sie la- Der Gesetzgeber versucht sich an einer di-
gern in jeder Arztpraxis, jedem Krankenhaus, gitalen Aufholjagd und hat nun die „Daten-
auf jedem Smartphone. Es kommt allerdings spende für die medizinische Forschung“ ge-
DATENSPENDE
Den Schatz heben
Im Patientendaten- niemand an sie heran. Als Corona über die setzlich verankert. Im Patientendaten-Schutz-
Schutzgesetz ist die Bundesrepublik hereinbrach, mussten die Ge- gesetz (PDSG) definiert er dafür zwei Wege:
„Datenspende für sundheitsämter die Infektionszahlen per Fax die mittelbare und die unmittelbare Daten-
die medizinische For- melden. Testergebnisse wurden per Hand no- freigabe. Die mittelbare Datenfreigabe soll ab
schung“ verankert. tiert. Politiker mussten weitreichende Ent- dem Jahr 2023 möglich sein. Alle Patienten
Doch bis Versor- scheidungen treffen, ohne dabei auf eine soli- sollen dann – freiwillig, versteht sich – die
gungsdaten tatsäch- de Datenbasis zurückgreifen zu können. Daten auf ihrer elektronischen Patientenakte
In einer internationalen Vergleichsstudie (ePA) an ein Forschungsdatenzentrum (FDZ)
lich routinemäßig in der Bertelsmann Stiftung zum Stand der Di- spenden können, das beim Bundesinstitut für
Forschungsprojekte gitalisierung des Gesundheitswesens im Jahr Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
einfließen können, 2018 landet die Bundesrepublik auf Rang 16 eingerichtet wird. Der zweite Weg der unmit-
ist es noch ein von 17 untersuchten Ländern. Experten ma- telbaren Datenfreigabe ist schon heute gang-
langer Weg. chen dafür die jahrelange und oft sehr zähe bar: Demnach können Patienten ihre Daten
Datenschutzdebatte verantwortlich. Dabei ist für die Forschung freigeben, wenn sie eine
unbestritten, dass Datenschutz wichtig ist: entsprechende Einwilligung abgeben. Die
Gesundheitsdaten gehören zur Gruppe der gematik arbeitet zurzeit an den technischen
sensiblen Daten und bedürfen eines besonde- Voraussetzungen für die mittelbare Datenfrei-
ren Schutzes. Ob eine Frau einen Schwanger- gabe über die ePA. „Zunächst sollen standar-
schaftsabbruch hinter sich hat, jemand an disierte und strukturierte Daten, sogenannte
Depressionen oder einer Angststörung leidet, medizinische Informationsobjekte (MIOs), an
geht nur die Betroffenen etwas an. Gelangen das Forschungsdatenzentrum übermittelt
solche Informationen in die falschen Hände, werden“, erläutert Lena Dimde, Strategische
können sie Karrieren vernichten, soziale Äch- Produktmanagerin ePA bei der gematik.
tung oder eine teurere Versicherung nach sich Seit Januar 2021 bieten die Krankenkas-
ziehen. Doch das Prinzip der Datensparsam- sen ihren Versicherten eine ePA-App an,
keit, das im Bundesdatenschutzgesetz veran- gleichzeitig startete eine Test- und Einfüh-
kert ist, läuft in einer digitalisierten Welt ins rungsphase mit ausgewählten Arztpraxen.
Leere. Zuletzt forderte der Sachverständigen- Mittlerweile müssen alle Vertragsärzte über
rat (SVR) für Gesundheit in seinem Gutachten die notwendige Ausstattung verfügen, um
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