Page 20 - xpress_Ausgabe 21.4
P. 20

Thema












        BUNDESTAGSWAHL
        Was kommt da auf uns zu?






        Wer prägt die Gesundheitspolitik in den nächsten Jahren? Bekommen wir „mehr Staat“? Oder doch
        „mehr Wettbewerb“? Klar ist: Die E-Health-Agenda der neuen Bundesregierung trifft auf schwierige
        finanzielle Rahmenbedingungen.



                                           Das Geld wird knapper
               enn Sie diesen Artikel lesen, liegt die                         Olaf Scholz vereinbarten deswegen Ende Mai
               Bundestagswahl hinter uns, aber es  Jubeln wird ein neuer Finanzminister ange-  2021, den Bundeszuschuss zum Gesundheits-
        W wird noch kein neuer Gesundheits-  sichts der Finanzlage der GKV jedenfalls nicht.  fonds – derzeit 19,5 Milliarden Euro – deutlich
        minister in Amt und Würden sein. Ein Inter-  Die Politik von Jens Spahn und die Corona-Kri-  auf 27 Milliarden Euro zu erhöhen.
        regnum ist die Zeit der Auguren: Wie könnte  se haben dazu geführt, dass das bequeme Fi-  Das werde nicht reichen, ließ die AOK da-
        es weitergehen mit der Gesundheitspolitik –  nanzpolster von Krankenkassen beziehungs-  raufhin prompt durchblicken. Ein Änstieg des
        und vor allem natürlich der E-Health-Politik?  weise Gesundheitsfonds praktisch vollständig  Zusatzbeitrags um 0,8 Prozent sei unvermeid-
        Erste Anlaufstelle bei solchen Fragen sind die  abgeschmolzen ist. Das GKV-Budget, in Summe  bar, sofern der Zuschuss nicht – wie von Spahn
        Wahlprogramme der Parteien. Es interessiert  rund 260 Milliarden Euro, wies im Jahr 2020  initial angekündigt – um weitere 5,5 Milliarden
        aber auch die „politische Großwetterlage“, die  zum ersten Mal seit 2016 wieder ein Defizit auf,  Euro angehoben werde. Diese „Zahlenspiele“
        Rahmenbedingungen, mit denen sich ausein-  nämlich rund 3,5 Milliarden Euro. Das ist das  zeigen zweierlei: Die finanziellen Spielräume
        andersetzen muss, wer auch immer in der Ver-  größte Minus seit 2012. Und es ist erst der An-  im Gesundheitswesen sind in der kommenden
        antwortung stehen wird. In der Gesundheits-  fang: Für 2022 erwartet die GKV ein Defizit  Legislatur deutlich geringer. Und der Anteil des
        politik sind diese Rahmenbedingungen beson-  von 19 Milliarden Euro.   Staats an der Finanzierung der GKV steigt durch
        ders wichtig. Denn sie ist ein träger Tanker,                          die Erhöhung des Bundeszuschusses weiter an.
                                                „Die EU und Deutsch-
        kein wendiges Schnellboot.                                             Finanziell stehen die Zeichen in der Gesund-
          Die großen Themenkomplexe, die die Ge-  land müssen bei hoheit-      heitspolitik vorerst klar auf „mehr Staat“.
        sundheitspolitik der nächsten Jahre nach Mei-
        nung von Beobachtern neben der Digitalisie-  lichen digitalen Identitä-               Bündnis 90/Die Grünen:
        rung prägen werden, sind die GKV-Finanzen                                            Trend zu Privatisierung
        und die Frage der Versorgungsorganisation –   ten Vorreiter sein und                 umkehren
                                               Vertrauen durch Souve-
        konkret: Regionalisierung versus Zentralisie-
        rung. Eng mit beidem zusammen hängt die                                              Doch gilt das auch für die
        gesundheitspolitische Gretchenfrage des deut-  ränität schaffen.“                    Programmatik? Beginnen
        schen Gesundheitswesens schlechthin: Brau-                             wir mit Bündnis 90/Die Grünen. Prinzipiell
                                                  Wahlprogramm Bündnis 90/Die Grünen
        chen wir mehr Wettbewerb? Oder mehr Staat?                             will die Partei die Gemeinwohlorientierung
                                                      zur Bundestagswahl 2021
          Was den letzten Punkt angeht, liefern die                            stärken und den „Trend hin zu Privatisierung“
        Wahlprogramme der Parteien Anhaltspunkte.  Ausgeglichen werden könnte es durch eine Er-  umkehren. Im Detail wird für eine Stärkung
        Doch blicken wir zunächst auf die GKV-Finan-  höhung des  Zusatzbeitrags,  der  derzeit  im  der Hausärzte und weiterer Gesundheitsberu-
        zen, die am Ende der Realitätstest für alle  Durchschnitt bei 1,3 Prozent liegt. (Die Kran-  fe plädiert, um einen besseren Zugang zur Ver-
        Programmatik sein werden. Was ist finanziell  kenkassenbeiträge insgesamt betragen im  sorgung zu erreichen. Stationäre und ambu-
        in den nächsten Jahren zu erwarten – unab-  Durchschnitt 15,7 Prozent.) Würden 19 Milli-  lante Angebote sollen „übergreifend geplant“
        hängig davon, ob wir von einer schwarz-grü-  arden Euro allein über den Zusatzbeitrag fi-  und regionale Versorgungsverbünde „mit en-
        nen Regierung, einer schwarz-rot-gelben  nanziert, müsste dieser mehr als verdoppelt  ger Anbindung an die Kommunen“ gefördert
        „Deutschland-Koalition“, einer Ampelkoaliti-  werden – und die Entscheidung darüber fiele  werden. Ein konkretes Vorhaben sind gemein-   Abb.: iStockphoto.com © shutter_m
        on, einer schwarz-gelb-grünen „Kenia-Ampel“  im ungünstigen Fall noch während der Koali-  wohlorientierte, regionale Gesundheitszen-
        oder einer rot-rot-grünen Linkskoalition re- tionsverhandlungen. Die Politik  wollte ein  tren. Nichtärztliche Gesundheitsberufe sollen
        giert werden?                      solches Szenario vermeiden: Jens Spahn und  eigenverantwortlicher arbeiten.

    20   x.press 21.4
   15   16   17   18   19   20   21   22   23   24   25