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Titelgeschichte
Umstellung analoger Praxisprozesse (80 Pro- statt Dosieraerosole. Dosieraerosole enthalten produkte erfolgt oder nicht. Zur Wahrheit ge-
zent), das Entsorgungsmanagement (78 Pro- zwar keine Fluorchlorkohlenwasserstoffe hört aber auch: Immer mehr hygienisch unkri-
zent) und einen ressourcenschonenden Ener- mehr, aber auch die mittlerweile genutzten tische und semikritische Instrumente werden
gieverbrauch (76 Prozent). teilhalogenierten Fluorkohlenwasserstoffe als Einmalware verwendet (und gekauft). Das
Das Problem ist: Der reale Effekt vieler der sind klimaschädlich. Zur Inhalatortherapie gibt sind Verbandscheren, Nagelscheren, Pinzetten
genannten Maßnahmen ist schwer zu messen. es harte Daten, unter anderem in der Salford für die Entfernung von Fäden und einiges mehr,
Das gilt im Klinikumfeld genauso wie in der Lung Study aus Großbritannien. In der hier Instrumente also, bei denen eine eher unauf-
Arztpraxis. Dr. Andreas Lipécz ist hausärztli- relevanten Subgruppe der Studie wurden 1 081 wendige Desinfektion reichen würde.
cher Internist und seit vielen Jahren im Vor- Probanden von „bisheriger Therapie“ umge- Bequemlichkeit ist beim Einsatz von Ein-
stand des QuE Gesundheitsnetzes Nürnberg. stellt auf einen Pulverinhalator, der ein Korti- malprodukten ein Thema, aber nicht nur: „Ab-
Das QuE Netzbüro will bis Ende 2022 klima- kosteroid und einen lang wirksamen fall hat viel mit der Umsetzung von Hygiene-
neutral sein und wird das auch schaffen. Aber Beta-2-Agonisten enthielt. Für die Berechnung vorschriften zu tun, die Abfall nach sich zie-
die eigentliche Herausforderung im QuE-Kli- des CO 2 -Effekts wurde dann sowohl die Erhal- hen“, sagt Lipécz. „Wir plädieren stark dafür,
maprojekt ist die Klimaneutralität der Arzt- tungstherapie als auch die Bedarfstherapie einige Hygienevorschriften zurückzuführen
praxen im Netz. Und da macht schon die Er- berücksichtigt. Wissen muss man dazu, dass oder zumindest auf Sinnhaftigkeit hin zu über-
mittlung der CO 2 -Bilanz echte Probleme: „Es prüfen.“ Die Nürnberger haben damit unmit-
„Medizinische Abfälle
gibt eigentlich keinen CO 2 -Rechner, der sich für telbare Erfahrungen gemacht: Es gibt im QuE-
Arztpraxen eignet“, so Lipécz. Netz eine Praxis, die eine eigenständige Steril-
sind ein großes gutaufbereitung hat. „Aber wenn diese an-
Pulverinhalatoren statt Dosieraerosole fängt, andere Praxen zu beliefern, um die
Nachhaltigkeitsthema.“
Eines der Hauptprobleme dabei: Medikamente. Quote an Einmalbestecken zu reduzieren, dann
Der britische National Health Service will bis haften die dafür. Das Risiko will keiner tragen
2045 klimaneutral sein. Berechnungen zeig- in Großbritannien noch recht viele Dosieraero- mit der Konsequenz, dass selbst Pinzetten weg-
ten, dass fast zwei Drittel des kompletten sole eingesetzt werden. Im Endeffekt konnten geschmissen werden.“
CO 2 -Fußabdrucks des Gesundheitswesens auf die Autorinnen und Autoren der Studie zeigen, Die Nürnberger sammeln in ihrem Ärzte-
globale Lieferketten, und das heißt im Wesent- dass sich durch den Umstieg von Dosieraerosol netz aktuell anschauliche Beispiele dafür, wie
lichen auf die Lieferketten im Arzneimittelsek- auf Pulverinhalator der CO 2 -Abdruck pro Pa- Hygienevorschriften Nachhaltigkeit ausbrem-
tor, entfallen. In Arztpraxen dürfte dieser An- tient unter den britischen Verordnungsbedin- sen. Mit der Liste wollen sie irgendwann beim
teil eher noch höher liegen (siehe Interview). gungen in etwa halbieren ließ. Gesundheitsministerium vorstellig werden:
Was aber kann der einzelne Arzt, die einzelne „Besonders anschaulich finde ich die Mund-
Hygienevorschriften überprüfen
A� rztin, auf Arzneimittelseite tun? Gibt es dort spatel aus Metall, die zum Beispiel bei
überhaupt Ansatzpunkte? Jenseits der Medikamente sind die medizini- HNO-Ärzten genutzt werden, um die Zunge
Es gibt sie, allerdings noch nicht sehr viele, schen Abfälle ein ganz großes Nachhaltigkeits- fünf Sekunden lang nach unten zu drücken.
und noch nicht systematisch zusammengestellt thema. Einmalinstrumente aus Kunststoff, Die werden sterilisiert, wenn sie nicht ohne-
als praktische Liste, an der man sich orientieren nicht selten auch aus Metall, greifen immer hin weggeworfen werden, und beides ist teu-
könnte. Die zwei „klassischen“ Beispiele sind mehr um sich. Sie werden von Herstellern und er und ungut fürs Klima. Wenn man bedenkt,
Narkosegase sowie Inhalatoren für die Asthma- Händlern oft für ihre angebliche Nachhaltig- dass in Restaurants Suppenlöffel deutlich
und COPD-Therapie. In Sachen Narkosegase keit gelobt. Tatsächlich sind die Berechnungen länger im Mund verweilen, erkennt man da
haben die Kliniken des Landkreises Karlsruhe zur Nachhaltigkeit bei hygienekritischen, chi- eine gewisse Diskrepanz.
gezeigt, was möglich ist. Das lässt sich auf am- rurgischen Instrumenten, die sonst ressour-
Papiereinsparung durch Digitalisierung
bulante Kontexte, in denen operiert wird, über- cenaufwendig sterilisiert werden müssten, gar
tragen. Narkosegase sind starke Treibhausgase, nicht so trivial – und es hängt viel davon ab, ob Und die Digitalisierung? Kann sie zur Nachhal-
aber sie sind nicht alle gleich schädlich. Desflu- am Ende ein gezieltes Recycling der Einmal- tigkeit beitragen? Kann sie einer Arztpraxis,
ran übertrifft die Treibhauswirkung von CO 2
um das 2 540-Fache, Sevofluran hingegen „nur“ INFO
um das 130-Fache. Die Kliniken im Landkreis KLIMA RETTEN MIT DEM eREZEPT
Karlsruhe haben 2018 angefangen, die Verwen-
CO 2 -ERSPARNIS. Die Digitalisierung kann zur Klimaneutralität beitragen, das ist unstrittig. Das gilt
dung von Desfluran einzuschränken – mit deut-
allerdings nicht für alle Arten von Digitalisierung gleichermaßen. Wenn digitale Prozesse eingeführt
lichem Klimaeffekt: Die Gesamtemission der
werden, die weiterhin Ausdrucke benötigen, dann verkehrt sich der Nutzen schnell ins Gegenteil.
Kliniken sank durch diese eine Maßnahme von
The Medical Network, eine Marketing-Agentur für digitale Gesundheitsunternehmen, hat kürzlich
399,7 Tonnen CO 2 -Äquivalent um 68 Prozent
berechnet, was mit einer wirklich konsequenten Digitalisierung des Rezepts erreicht werden könn-
auf 126,4 Tonnen CO 2 -Äquivalent (!).
te. Sie kam auf eine Verringerung des Stromverbrauchs um 90 Prozent, wenn Rezepte nicht mehr
Etwas näher am Hausarzt sind die Inhala-
gedruckt werden. Auch die Feinstaubpartikel schlagen ordentlich zu Buche. In Summe bringe das
toren für Asthma und COPD. Hier geht es kli-
eRezept 610 Tonnen CO 2 -Ersparnis. Darin noch nicht enthalten sind 560 Tonnen weniger Papier.<
matechnisch um die Einsparung von CO 2 -Emis-
sionen durch Nutzung von Pulverinhalatoren
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