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Titelgeschichte




        INTERVIEW         GANZ OHNE KOMPENSATION GEHT ES NICHT

          Dr. Andreas Lipécz ist hausärztlicher Internist in eigener Praxis und seit vielen Jahren im Vorstand des Nürnberger
          Gesundheitsnetzes Qualität und Effizienz QuE.



          Î 	Wann kamen Sie, wann kam das Gesundheitsnetz QuE auf den    einen aber in Summe weit bringen. Es wird am Ende
          Gedanken, klimaneutral zu werden?                  allerdings nicht ganz ohne Kompensationszahlung   DR. ANDREAS LIPÉCZ
                                                                                                 Hausärztlicher Internist
          Das kam so ein bisschen aus meiner persönlichen Lebenswelt. Ich habe mir   gehen.      Nürnberg         Abb.: QuE Netzwerk Nürnberg
          vor drei Jahren ein E-Auto gekauft. Das war der Punkt, an dem mir klar wur-
          de: Klimawandel betrifft jeden Einzelnen, und er wird auch etwas kosten. Aus  Î 	Wie sieht es in den Arztpraxen aus?
          dieser Sicht heraus habe ich das dann in unser Praxisnetz eingebracht und of-  Da ist es deutlich herausfordernder. Wir haben einige Modellpraxen, anhand
          fene Türen eingerannt. Auf Ebene von Vorstand und QuE-Netzbüro waren al-  derer wir erst einmal untersucht haben, welcher CO 2 -Rechner sich für Arzt-
          le sofort dabei, im Netz ist es ein Großteil der Praxen.  praxen eignet. Die Antwort: Es gibt eigentlich keinen. Ein Hauptproblem ist,
                                                             dass 80 Prozent aller Klimakosten einer durchschnittlichen Arztpraxis von
          Î 	Wie sind Sie vorgegangen?                       den Medikamenten kommen, die wir verordnen. Darüber hinaus gibt es na-
          Wir haben die niedrighängenden Früchte zuerst geerntet und im Netzbüro   türlich Ansatzpunkte wie Ökostrom, Solaranlagen und Wärmepumpen. Aber
          begonnen. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben den Auftrag be-  ob die umsetzbar sind, hängt stark vom Einzelfall ab. Es zeichnet sich ab, dass
          kommen, zu recherchieren. So sind wir auf die Deutsche Allianz Klimawandel  zum Beispiel eine kleine hausärztliche Netzpraxis, die klimaneutral sein will,
          und Gesundheit KLUG und auf die KlimaDocs gestoßen, mit denen wir mitt-  pro Jahr circa 1 500 Euro Kompensation wird zahlen müssen. Und da sind die
          lerweile eng zusammenarbeiten. Diese Phase der Information und Kontakt-  Medikamente nicht dabei, sonst wären es je nach Verordnungsverhalten
          aufnahme hat gut anderthalb Jahre gedauert. Begleitend dazu haben wir ei-  mehrere 10 000 Euro.
          ne Klimastrategie für unser Gesundheitsnetz entwickelt.
                                                             Î 	Wie sieht es mit Digitalisierung aus? Papier einsparen hilft dem Klima.
          Î 	Welche Maßnahmen haben Sie dann konkret unternommen?  Ja. Allerdings muss die Digitalisierung dann auch vernünftig umgesetzt wer-
          Es wurde schnell klar, dass es relativ einfach ist, das Netzbüro klimaneutral   den. Wenn wir eRezept oder eAU einführen und am Ende drucken wir mehr
          zu bekommen – und relativ herausfordernd, dasselbe bei einer Arztpraxis   und größere Blätter aus als vorher, dann ist das Argument von der klimaspa-
          zu erreichen. Auf Ebene des Netzbüros werden wir den Umbau im Laufe des  renden Digitalisierung schwierig. Im Moment hilft uns das beim Klimaschutz
          Jahres abschließen. Konkret haben wir uns einen CO 2 -Rechner besorgt und   noch nicht weiter, weil es nicht konsequent umgesetzt wird und weil vieles
          die einzelnen Punkte abgearbeitet. Wir nutzen Ökostrom, Mitarbeiter er-  nicht zuverlässig und einfach funktioniert.
          halten Zuschüsse für den ÖPNV und die Nutzung von Dienstfahrrädern. Alle
          Druckmaterialien wie zum Beispiel unsere Patientenzeitschrift werden kli-  Î 	Klimabewusstes Handeln ist kein Einmalthema, sondern ein Langzeit-
          maneutral gedruckt. Wir hatten einen Umzug des Büros, der ohnehin an-  projekt. Wie motivieren Sie sich, um dabeizubleiben?
          stand, und dabei haben wir uns für das Haus entschieden, das Photovoltaik   Als Ärztinnen und Ärzte geht es uns letztlich um die Patientinnen und Patien-
          ermöglichte. Wir haben überall modernste LED-Beleuchtung installiert, ha-  ten. Es gibt da dieses Schlagwort: Klimaschutz ist Patientenschutz. Und da ist
          ben bei den Geräten die Abschaltzeiten optimiert und ein Heizkonzept ent-  schon was dran. Wenn wir Maßnahmen umsetzen, die dem Klimaschutz dien-
          wickelt. Zudem beteiligen sich unsere Mitarbeiter an der Initiative Klimaret-  lich sind, dann sorgen wir am Ende für weniger hitzebedingte Todesfälle, für
          ter-Lebensretter und erfahren hier spielerisch, wie sie im (Arbeits-)Alltag   weniger Krankenhausaufnahmen, für weniger Erkrankungen in Folge von
          CO 2  einsparen können. Das sind im Einzelnen alles kleine Maßnahmen, die   Dehydratation. Das müsste eigentlich Motivation genug sein.<





        eingespart wurden. Da gab es die Digitalisie-  führt. Und natürlich gab es ein breites Spek-     Energieaufwand in der täglichen
        rung der Roten Liste: Die Brockhaus-Enzyklo-  trum an technischen Modifikationen, die in der   Verpflegung verringern
        pädie im Bücherregal ist schon längst Geschich-  Gesamtschau ebenfalls relevant zu Buche   Wie sieht es in den Praxen niedergelassener
        te, der „Arzneimittel-Brockhaus“ aus Papier  schlagen: Umstieg auf LED-Beleuchtungen,  Ärztinnen und Ärzte aus? Prinzipiell ist das
        zählt aber immer noch zur Standardausstat-  Schulungen für energieeffizientes Lüften,  Thema Klima dort angekommen, wie eine Um-
        tung von Arztzimmern überall in der Republik.  Stromsparmaßnahmen durch Optimierung der  frage der apoBank zeigte, an der im Jahr 2021
        Warum eigentlich? In Bad Abbach ist damit  Stand-by-Zeiten. Die größten Hebel, die im Rah-  insgesamt 500 Ärztinnen und Ärzte sowie
        jetzt Schluss: So werden 110 000 Blatt Papier  men des dreijährigen Projekts „KLIK green“  Apothekerinnen und Apotheker teilnahmen.
        pro Jahr eingespart. Auch an anderen Stellen  identifiziert wurden, waren:  28 Prozent der Befragten sagten, Nachhaltig-
        wurde digitalisiert: Die interne Kommunika-  Beleuchtung und Belüftung optimieren  keit habe eine sehr hohe Relevanz für sie. Im
        tion per digitalem Fax wurde flächendeckend     Umstieg auf O� kostrom und Effizienzmaß-  Schnitt bewerteten die Teilnehmerinnen und
        implementiert. Das sparte 16 000 Seiten Papier   nahmen auf Ebene der Wärmeversorgung  Teilnehmer die Nachhaltigkeit ihrer eigenen
        jährlich. Es wurden, auch dank Pandemie, di-    Reduktion von klimaschädlichen    Praxis oder Apotheke mit 6,2 auf einer Skala
        gitale Abteilungsleiterbesprechungen einge-  Narkosegasen              von 1 bis 10. Vor allem wird geachtet auf eine

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