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Thema
INTERVIEW DIE EPA ALS DIALOGPARTNER DES ARZTES ODER DER ÄRZTIN
Warum und unter welchen Voraussetzungen die Medizinischen Informationsobjekte (MIO) der elektronischen Patientenakte zum Fliegen verhelfen,
erörtern die beiden Digitalisierungsexperten Bernd Greve und Dr. Dr. Hans-Jürgen Bickmann.
Î In vielen Primärsystemen sind die MIOs noch nicht implementiert.
Herr Greve, gibt es Unterstützung für die Hersteller, um diesen Prozess zu BERND GREVE DR. DR. HANS-JÜRGEN BICKMANN
beschleunigen? Geschäftsführer der mio42 und Dezernent Vorsitzender des Ärztlichen Beirats
Digitalisierung NRW-Westfalen-Lippe
Digitalisierung und IT bei der KBV
Greve: Wir bieten alle 14 Tage Help Sessions per Video-Konferenz an, bei de- Abb.: KBV (links), Dr. Dr. Bickmann (rechts)
nen unsere Programmierer Fragen aus den Unternehmen beantworten. Da-
neben veranstalten wir Connectathons, bei denen die Teilnehmer ausprobie- druck aus der Sache rauszunehmen und uns die Möglichkeit zu geben, die
ren können, wie ihre programmierten Lösungen im Zusammenspiel mit Lö- ePA sukzessive umzusetzen, ohne dass der Praxisbetrieb darunter leidet. Es
sungen anderer Hersteller funktionieren. Im Zuge zunehmender Standardi- muss spürbar werden, dass die MIOs die Versorgung verbessern und den
sierung und Interoperabilität muss bei allen Beteiligten die Erkenntnis reifen, Ärzten auch Zeit sparen. Wobei das nicht dazu führen darf, dass sie dafür
dass sie als Community miteinander arbeiten müssen, anders bekommt man gleich wieder die nächste Aufgabe bekommen.
es nicht mehr hin. Die Beteiligung an den Connectathons könnte allerdings
besser sein. Î Hätten von vornherein die Termine anders gesetzt werden müssen?
Greve: Prinzipiell ist es sinnvoll, Termine zu setzen, wenn man Innovatio-
Î Brauchen wir ein Moratorium? nen durchsetzen will. Wer allerdings erwartet, dass zu einem bestimmten
Greve: Diese Frage muss ich als KBV-Dezernent beantworten, nicht als Stichtag alle den Schalter umlegen, der wird an der Realität scheitern.
Geschäftsführer der mio42. Ja, es würde uns guttun, innezuhalten und eine Bickmann: Nun, Herr Spahn war mit seinen Verordnungen, Terminen und
Bestandsaufnahme zu machen, was funktioniert und was nicht. Die MIOs Sanktionen ja nicht ganz erfolglos. Trotzdem sind Sanktionen nur be-
sind meist noch nicht programmiert, die Ärzte können sie noch nicht befül- grenzt wirksam. Man kann durch Druck nicht erreichen, was kreativ vor
len, die Hebammen sollen an die ePA angebunden werden – vor diesem Ort gestaltet werden muss. Die Mediziner müssen den digitalen Wandel
Hintergrund ist es eine berechtigte Frage, ob man sich nicht erst einmal auf mit ihrem Praxisalltag vereinbaren können. Das ist noch nicht ausreichend
das konzentrieren sollte, was schon da ist, statt bereits weitere Neuerungen der Fall. Die MIOs müssen so funktionieren, dass sie den Praxen einen
anzustreben. Die Hersteller können schließlich nicht alles auf einmal pro- echten Mehrwert bringen. Dazu gehört, dass die Praxen dafür nicht drauf-
grammieren. zahlen müssen und vor allem, dass die MIOs die ePA so mit Leben füllen,
Bickmann: Ärzte – ich bin ja selbst einer – betrachten Moratorien immer als dass sie zu einem echten Dialogpartner des Arztes wird. Wenn das gelingt,
Gelegenheit, sich wegzuducken. Das bedeutet letztendlich Stillstand. Des- werden die Ärzte sie auf jeden Fall benutzen und nicht mehr auf sie ver-
halb würde ich eher dafür plädieren, statt eines Moratoriums den Termin- zichten wollen.<
„Wer sektorenübergrei-
ein. Doch nehme es absurde Züge an, etwa, Sektorfürsten überwinden können“, sagt der
wenn in der Digitalvariante sämtliche Erläu- fende Prozesse aufsetzen E-Health-Experte und plädiert für eine ver-
terungstexte der Papierfassung wie „Liebe antwortliche Stelle, die den Gesamtprozess
will, muss Befindlichkei-
Eltern, herzlichen Glückwunsch zur Geburt verantwortet. „Was wir brauchen, ist eine
Ihres Babys! Gerade in den ersten Lebensjah- echte Digitalagentur mit Koordinationsge-
ren...“ oder „Zutreffendes bitte ankreuzen!“ ten von Sektorfürsten schick und Weisungsbefugnis.“
überwinden können.“
abgespeichert werden. Zudem fehlt es an Prüf- Susanne Koch sieht diese Aufgabe durchaus
vorgaben, welche Werte in welcher Kombina- bei der gematik: „Wir wollen alle eine Digitali-
tion im MIO der ePA gespeichert werden dür- sierung, die Mehrwert stiftet. Dafür brauchen
fen. Während im Vorsorgeuntersuchungsheft te kontinuierlich die schlimmsten Fehler be- wir eine koordinierende Stelle, die genaue Vor-
das Geschlecht des Kindes angekreuzt werden seitigt“. Eine Doppeldokumentation hat der gaben macht. Allerdings kann diese Stelle nicht
soll, erlaube die Überführung ins MIO, dass G-BA im September in seiner Kinder-Richtlinie die neuen digitalen Versorgungsprozesse ent-
ein Kind in der Digitalvariante gleichzeitig allerdings ausgeschlossen. „Die MIOs 1.0 wer- wickeln, hierfür bedarf es der Expertise der
dreimal „männlich“, fünfmal „weiblich“ und den mit der ePA 2.0 krachend scheitern“, ist unterschiedlichen Interessenvertretungen.“
17-mal „divers“ ist. Unter diesen Vorausset- Langguth überzeugt. Die MIOs 2.0 bräuchten Ob die ePA und die MIOs den Ärztinnen und
zungen werde kein Elternteil auf das her- einen Neustart, für den Prozesse idealerwei- Ärzten tatsächlich Zeit sparen, die sie dann in
kömmliche U-Heft verzichten wollen, vermu- se digital gedacht werden müssten. Daten die Behandlung investieren können, wird sich
tet Langguth. Man bräuchte eine Übergangs- müssten dann entlang dieser Prozesse erho- noch zeigen müssen. Greve ist sich sicher, dass
phase, in der beide Versionen – das Heft aus ben und gespeichert werden, nicht davon los- dies der Fall sein wird: „Aber ob sich Prozesse
Papier und sein digitales Abbild – gepflegt gelöst. „Wer sektorenübergreifende Prozesse ändern und welche das sein werden – das wer-
würden, „während man in der Digitalvarian- aufsetzen will, muss Befindlichkeiten von den wir sehen.“< $ JANA EHRHARDT-JOSWIG
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