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Thema




       INTERVIEW         DIE EPA ALS DIALOGPARTNER DES ARZTES ODER DER ÄRZTIN

         Warum und unter welchen Voraussetzungen die Medizinischen Informationsobjekte (MIO) der elektronischen Patientenakte zum Fliegen verhelfen,
         erörtern die beiden Digitalisierungsexperten Bernd Greve und Dr. Dr. Hans-Jürgen Bickmann.



          Î 	Inwiefern werden die MIOs die Versorgung verbessern?  für müssen erst noch geschaffen werden. Wir bräuchten Datenleitungen, die
          Bernd Greve: Die MIOs dokumentieren Daten nach einem festgelegten For-  Praxen und Krankenhäuser miteinander verbinden – inklusive eines Teilneh-
          mat. Auf diese Weise sind sie eine der Voraussetzungen für lückenlose Kom-  merverzeichnisses, damit die Informationen gezielt übermittelt werden kön-
          munikation im Gesundheitswesen. Alle Leistungserbringer können in diesem   nen. Wenn alle Praxen, Krankenhäuser und sonstigen Leistungserbringer in
          Format Informationen lesen, bearbeiten und austauschen; letztendlich wer-  der Lage wären, die MIOs zu befüllen und zu verarbeiten, dann hätten wir in-
          den so die Sektorengrenzen überwunden. Einige MIOs sind sogar für den   nerhalb kürzester Zeit eine Plattform, die von allen gemeinsam genutzt wer-
          grenzüberschreitenden Gebrauch vorgesehen, etwa die Patientenkurzakte.  den kann.
          Dr. Dr. Hans-Jürgen Bickmann: Die MIOs sorgen für lückenlose Information   Greve: Die MIOs funktionieren nun einmal nicht losgelöst von der Telema-
          und verbessern so die Versorgung. Nehmen wir den elektronischen Impf-  tikinfrastruktur. Anders als ursprünglich geplant warten wir derzeit noch
          pass: Der impfende Arzt trägt in den Impfpass einer Patientin ein, welche   auf die neue Produktversion der Konnektoren. Auch die Primärsysteme
          Schutzimpfung er vorgenommen hat, welches Mittel er verimpft hat, welche   brauchen ein MIO-Update – das haben viele Hersteller bislang noch nicht
          Charge – alles, was dazugehört. Ein Frauenarzt sieht sofort, ob eine Schwan-  umgesetzt.
          gere bereits gegen Keuchhusten geimpft ist oder ob er das noch tun muss.
          Auch wenn ein Arzt wissen will, ob ein Kind nach einer Verletzung eine Auf-  Î 	Müssten die Primäreinträge besser vergütet werden?
          frischungsimpfung gegen Tetanus benötigt, reicht ein kurzer Blick. Genau   Bickmann: Für den Ersteintrag gibt es zehn Euro, das klingt erst einmal we-
          darin sehe ich das große Potenzial der MIOs: Uns steht damit erstmals in der   nig. Andererseits wird nicht viel verlangt: Man muss nur den aktuellen Be-
          Medizin eine einheitliche Sprache zur Verfügung, die eine sektoren- und   handlungskontext darstellen, nicht die gesamte Krankheitsgeschichte. Das
          fachübergreifende Kommunikation ermöglicht. Endlich kann ein Patient von   heißt: Alles, was in der Vergangenheit liegt, bleibt analog; alles, was neu hin-
          einer Institution zur nächsten wechseln – ohne Risiko, dass wesentliche Infor-  zukommt, wird digital. Für eine gewisse Zeit muss man beides miteinander
          mationen dabei verloren gehen.                       stemmen. Ganz unabhängig von der Vergütung ist die Kostenfrage noch
                                                               nicht vollständig gelöst. Die Krankenkassen zahlen zwar eine Pauschale für
          Î 	Funktioniert das in der Praxis schon?             die Anbindung an die Telematikinfrastruktur (TI), aber mit der Installation al-
          Bickmann: Nein. Es gibt keine Praxen, die Primäreinträge in der ePA vorneh-  lein ist es nicht getan. Ein System muss auch gewartet werden. Mit jeder
          men. Das liegt nicht am Unwillen oder an mangelnder Einsicht der Ärzte, es   neuen Anwendung, die dazukommt, steigt der Wartungsaufwand. Das heißt,
          liegt an den mangelnden Möglichkeiten. Die elektronische Patientenakte   eine Praxis muss in Know-how investieren, ob das nun eigene Mitarbeiter
          macht nur Sinn, wenn alle sie befüllen und nutzen. Die Voraussetzungen da-  oder externe Dienstleister sind.




                                               Auch der Impfpass muss
        an, zumindest einen elektronischen Gesund-                             zifikation  wurde  mittlerweile  angepasst.
        heitspass in ihrem System implementiert zu                             Auch der Impfpass muss überarbeitet werden,
        haben. Das Portal stellt dar, welche Software-  überarbeitet werden,    da er die  Covid-Schutzimpfung bislang nicht
        anbieter schon „TI-ready“ sind.        da er die Covid-Schutz-         abbilden kann. Susanne Koch weist außerdem
          Parallel zur Einführung der MIOs soll sich                           darauf hin, dass Mutter- und Impfpass noch
        in diesem Jahr der Nutzerkreis der ePA vergrö-  impfung bislang nicht    nicht miteinander verknüpft sind – „auch das
        ßern – Pflegekräfte, Hebammen und Physio-                              ist versorgungsrelevant und muss noch pas-
        therapeuten sollen ebenfalls angebunden wer-  abbilden kann.           sieren“.
        den. „Auch deren Softwaresysteme müssen                                  Diese Herangehensweise ruft Kritiker auf
        entsprechend angepasst werden“, sagt Greve.                            den Plan. Der Vorwurf lautet vielfach, die MIOs
        „Noch ist beispielsweise nicht klar, wie Heb-  MIOs kommen ohne Big Bang ins Feld“, sagt  seien nichts anderes als digitale Abbilder der
        ammen auf den Mutterpass zugreifen sollen.“  Greve, „wir entwickeln sie und passen sie dann  Papierdokumente. „Leider wurde nicht in di-
        Auf die Hersteller kommen damit noch einmal  an neue Anforderungen an.“ Beispiel eMutter-  gitalen Prozessen gedacht“, bemängelt Mark
        völlig neue Herausforderungen zu: Besagte  pass: Die erste Version hat ein Papierdoku-  Langguth, der Unternehmen und Organisati-
        Gruppen arbeiten oft mobil, brauchen also ent-  ment ersetzt, das es in dieser Form mittler-  onen in E-Health-Fragen berät. Zwölf Jahre
        sprechend neue Lösungen. „Diese werden erst  weile gar nicht mehr gibt. So konnte darin  lang war er für die gematik tätig, unter ande-
        nach und nach entwickelt werden.“   nicht dokumentiert werden, wenn eine  rem als Gesamt-Fachverantwortlicher für die
                                           Schwangere gegen Keuchhusten geimpft wird,  ePA. Bernd Greve beruft sich darauf, dass die
        Vom Papier zum elektronischen Dokument  wie es die neue Mutterschafts-Richtlinie des  KBV den Auftrag habe, die Papierdokumente

        Nach  und  nach  –  dieses  Prinzip  zieht  sich  Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) seit  zu digitalisieren, nicht die Prozesse neu auf-
        durch die gesamte Historie der ePA. „Auch die  Herbst vergangenen Jahres vorsieht. Die Spe-  zusetzen. Das möge so sein, räumt Langguth

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