Page 13 - xpress_Ausgabe 22.3
P. 13

Titelgeschichte




        Die Kassen schreiten voran          auf die jetzt aktuelle Version 2.0 der ePA hat   Vielleicht gibt es aber noch ein ganz anderes,
        Einer, der es wissen könnte, ist Dr. Jens Baas,  sich an der Zurückhaltung bei den Versicher-  eher konzeptionelles Problem. Wer Beobachter
        ehemals Chirurg und heute Vorstandsvorsitzen-  ten nichts wesentlich geändert. Die neue Ver-  des deutschen Gesundheitswesens nach einer
        der der Techniker Krankenkasse (TK). An der  sion erlaubt  das individuelle Management der  Vision für eine patientenzentrierte Digitalisie-
        TK kommt in Sachen ePA niemand vorbei: Von  Zugriffsrechte bis hinab auf die Ebene einzel-  rung fragt, der hört sehr schnell von der ePA
        den 400 000 aktivierten ePAs in Deutschland  ner Dokumente. Die Attraktivität der ePA hat  als digitaler Versorgungsplattform, als verbin-
        (Stand:  Anfang  März)  kamen  alleine  knapp  das jedoch nicht messbar gesteigert, was Baas  dendes Element und quasi One-Stop-Shop für
        300 000 aus dem Hause TK, die bei dieser An-  nicht überrascht hat: „Ich halte es für richtig  alle digitalen Anwendungen, die Patientin oder
        wendung, wie auch die Barmer, auf technischer  und wichtig, dass das möglich ist. Aber dass  Patient so brauchen.
        Seite mit IBM kooperiert. Die beiden anderen  das ein großes Thema wird, glaube ich nicht.
                                                                               eRezept bleibt außen vor
        großen „ePA-Blöcke“ sind Betriebskrankenkas-  Das werden einige wenige Patienten nutzen.
        sen und DAK, die auf den Dienstleister  BITMARCK  Die meisten werden ihren A� rzten aber Zugang  Die Realität ist eine etwas andere, wie unter
        setzen, sowie die AOK-Welt, die in Sachen ePA  zu allen Dokumenten gestatten, und das ist in  anderem das elektronische Rezept gezeigt hat.
        mit dem Unternehmen ITSG kooperiert.   der Regel auch sinnvoll.“       Die gematik hat dafür eine eigene Rezept-App
           Bei der TK werden derzeit pro Tag etwa 400   Die noch geringe Akzeptanz der ePA liegt  entwickelt, die komplett unabhängig ist von den
        ePAs neu angelegt: „Die Gesamtzahl steigt kon-  Baas zufolge im Wesentlichen daran, dass die  ePA-Apps und keine Schnittstelle hat, die einen
        tinuierlich – nicht schnell, aber sie steigt“, so  Anbindung der medizinischen Einrichtungen  problemlosen digitalen U� bertrag von eRezep-
        Baas. Woran liegt es, dass die TK anderen Kran-  – Krankenhäuser wie Arztpraxen – nur sehr  ten in die ePA erlauben würde. TK-Vorstand
        kenkassen deutlich voraus ist? Baas weist da-  zögerlich vorangeht. Das sei auch der Haupt-  Baas ist darüber immer noch erbost: „Das eRe-
        rauf hin, dass die TK die ePAs ihrer Versicher-  grund dafür, warum es aufseiten der Kranken-  zept wird komplett abgekoppelt von anderen
        ten mit all jenen Informationen vorab befüllt,                         digitalen Gesundheitsanwendungen – mit einer
        die der Krankenkasse ohnehin zur Verfügung                               extra App, die auch noch einen aufwendigen
        stehen: „Die Versicherten starten nicht mit ei-                        Anmeldeprozess mit sich bringt. Das Ergebnis
        ner leeren Akte, das sehe ich schon als einen   „Im Moment ist die     ist, dass die sogenannten digitalen eRezepte
                                                ePA für die Arztpraxis
        großen Vorteil.“ Hilfreich sei auch gewesen,                           reihenweise ausgedruckt werden müssen.“
        dass die TK sehr früh auf ein kundenfreundli-                             Baas und vielen anderen schwebt etwas
        ches Online-Identifikationsverfahren für die   in weiten Teilen        mehr digitale Einheitlichkeit vor: Eine einma-
        Aktivierung der ePA gesetzt habe. Mittlerwei-  eher anstrengend.“      lige Anmeldung der Patientinnen und Patienten
        le bieten das fast alle Krankenkassen an, aber                         könnte Zugriff auf alle relevanten digitalen
        anfangs gab es viele Kassen, die ihre Versicher-                       Funktionen schaffen, von der ePA über das
        ten extra in die Geschäftsstelle kommen ließen                           eRezept und die eAU bis zur digitalen Kommu-
        – was für viele während der Pandemie keine  kassen bisher keine großangelegten Informa-  nikation mit der Arztpraxis. „Wenn nun nach
        Option war.                         tionskampagnen zur ePA gebe: „Wenn wir eine  und nach die Prozesse im Gesundheitswesen
           Der dritte und vielleicht entscheidende  Fernsehkampagne starten und beim Arzt funk-  digitalisiert werden, dann sollten die Anwen-
        Punkt ist der Nutzerkomfort. Die TK-Akte gilt  tioniert es dann nicht, ist der Akzeptanz der  dungen auch digital gedacht werden. Die ePA
        als vergleichsweise nah an den Bedürfnissen  ePA sicher nicht geholfen“, so Baas.  muss der zentrale Absprungpunkt für alle
        der Versicherten. Sie bekommt bessere Noten   Leicht zu lösen sei dieses Problem nicht, so  Tools sein. Es ist nicht sinnvoll, wenn Versi-
        als die anderen ePAs, Funktionen wie die Stell-  der TK-Chef: „Ich habe da schon Verständnis.  cherte sich für jede Anwendung eine andere
        vertreterregelung gelten als ausgereifter. Die  Im Moment ist die ePA für die Arztpraxis in  App herunterladen müssen.“
        TK-ePA bietet zudem Zusatzfunktionen an, die  weiten Teilen eher anstrengend. Und solange   Die Frage ist natürlich: Wie kommt das
        den Versicherten einen Mehrwert bringen, da-  es nicht eine gewisse kritische Menge an Ein-  deutsche Gesundheitswesen aus dieser eini-
        runter ein Unterstützungs-Tool für Impfungen  richtungen gibt, die mitmachen, haben wir ein  germaßen verfahrenen Situation wieder her-
        und ein weiteres für Vorsorgeuntersuchungen.  Henne-Ei-Problem.“ Die konsequente Anbin-  aus? Wenn es Ärzte wie den Allgemeinmedizi-
        Dabei soll es nicht bleiben: „Warten ist keine  dung der Krankenhäuser wäre hier ein wich-  ner Nicolas Kahl in Nürnberg gibt, die einem
        Option. Wir wollen und wir werden weitere  tiger Schritt nach vorn. Dass er damit voran-  funktionierenden digitalen Gesundheitswesen
        Funktionen zur Verfügung stellen, bei denen  kommen möchte, hat auch der neue Bundesge-  (siehe Interview) geradezu entgegenfiebern:
        es um die individuelle Unterstützung von Pa-  sundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sig-  Wie kann erreicht werden, dass es nicht noch
        tientinnen und Patienten mit bestimmten  nalisiert, der sich Anfang März im PraxisCheck  mal zehn Jahre dauert, bis dieser Zustand er-
        Krankheitsbildern gehen wird.“      der Kassenärztlichen Bundesvereinigung  reicht wird?
                                            (KBV) den Fragen der ärztlichen Basis stellte.
        Zurückhaltung in Praxen und Kliniken  Helfen würde auch eine bessere Abbildung der   Politische Änderungen
        Trotzdem: Auch die TK-ePA ist bisher kein  ePA in den Praxis-IT-Systemen. Zwar hätten  Gewisse Hoffnungen ruhen aktuell auf dem
        Bestseller. Knapp 300 000 angelegte Akten  die Praxis-IT-Hersteller ihre Verpflichtung,  neuen Gesundheitsminister Karl Lauterbach,
        sind nicht einmal 5 Prozent der TK-Versicher-  eine ePA-Anbindung zur Verfügung zu stellen,  der zum 1. April dieses Jahres die Leitung der
        ten. Mit dem zum Jahreswechsel vollzogenen  überwiegend erfüllt, so Baas. Die Integration  Abteilung Digitalisierung neu vergeben hat.
        Update von der bisher genutzten Version 1.0  sei aber nicht überall gleich gut gelungen.   Wo früher Gottfried Ludewig (CDU) dafür

                                                                                                             x.press 22.3   13
   8   9   10   11   12   13   14   15   16   17   18