Page 12 - xpress_Ausgabe 20.3
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Titelgeschichte




        INTERVIEW         FIKTIVES INTERVIEW MIT DEM PATIENTEN TIM WOLLNY



          Î ÎHerr Wollny, wie geht es Ihnen heute?           zählt, dass ich ihm regelmäßig meine wichtigsten vita-
          Vielen Dank, mir geht es gut. Die Wunde ist verheilt, aber es hat doch lan-  len Daten zukommen lasse, aber eben nur die nötigsten,
          ge gedauert.                                       damit er meinen Gesundheitszustand im Blick hat und
                                                             möglichst schon im Vorfeld intervenieren kann. Bei unse-
          Î ÎHat Ihnen die Digitalisierung geholfen?         rem letzten Gespräch teilte er mir mit, dass ich gut eingestellt sei.
          Der ständige Kontakt zu meinem Arzt, der durch den Datenaustausch über   Ach ja, meine Ernährungs-App findet er nicht so gut. Er hat mir eine    Abb.: iStock.com © DrAfter123
          die elektronische Patientenakte, die Überwachung meiner Herz-Kreislauf-  andere empfohlen, die mir aber nicht gefällt. Ist eben alles
          Werte und nicht zuletzt die Videosprechstunden erheblich intensiver war als   Geschmackssache.
          in der Vergangenheit, hat sicher dazu beigetragen, dass es mir heute besser
          geht. Diese kontinuierliche Betreuung aus der Ferne gibt mir außerdem ein   Î ÎSie haben in letzter Zeit sehr intensiv die Videosprechstunde genutzt.
          gutes Gefühl, ich fühle mich bei meinem Arzt sehr gut aufgehoben.   Vermissen Sie den persönlichen Kontakt zu Ihrem Arzt?
                                                             Natürlich ist eine persönliche Begegnung schöner. Während der Corona-
          Î ÎHaben Sie noch den Überblick über die vielen Gesundheits-Apps auf    Krise damals war ich froh, nicht in die Praxis kommen zu müssen. Ich ge-
          Ihrem Smartphone?                                  höre schließlich zu einer Risikogruppe. Heute habe ich immer noch ein
          Aber sicher. Ich habe mir die Apps nach und nach zugelegt, und ich benutze   ungutes Gefühl, wenn ich im Wartezimmer sitze und ein anderer Patient
          ja nicht alle zur gleichen Zeit.                   zu husten beginnt. Der Nutzen von Videosprechstunden, wo sie möglich
                                                             sind, überwiegt ganz klar. Ich habe eine lange Anfahrt zum Arzt und bin
          Î ÎWas sagt Ihr Arzt zu Ihren Apps?                froh, dass ich die eine oder andere Sprechstunde virtuell wahrnehmen
          Er kennt nicht alle, die ich auf dem Smartphone habe. Wie ich meine   kann. Ich lege aber schon Wert darauf, meinem Arzt auch persönlich ge-
          Gesundheit digital manage, interessiert ihn nur am Rande. Für ihn   genüberzusitzen.<





        Der Transmitter, der auf der Haut direkt über  Programm für Diabetiker teil. Ohne die regel-  die Sensoren seiner Smartwatch rund um die
        dem Sensor angebracht ist, empfängt die Mess-  mäßige Übermittlung seiner Daten könnte die  Uhr sammeln. Die Software erkennt mithilfe
        werte. Der Sensor hält mehrere Monate, ehe ihn  Behandlung nicht in der Qualität und Effizienz  künstlicher Intelligenz (KI), ob er mit der
        der Patient erneuern muss.         erfolgen, die eine Verschlechterung seines  U-Bahn oder dem Fahrrad unterwegs gewesen
          Der Transmitter warnt den Diabetiker bei  Gesundheitszustands verhindert.  ist oder ob er eine längere Strecke im Auto ver-
        zu hohen oder zu niedrigen Blutzuckerwerten   Wollny kontrolliert nicht nur seine Blutzu-  bracht hat. Auch die typischen Armbewegun-
        durch starkes Vibrieren. Alle erfassten Mess-  ckerwerte mittels einer App, sondern auch  gen beim Essen bleiben der App nicht verbor-
        werte überträgt der Transmitter an eine App  seinen Bluthochdruck. Mit seiner Smartwatch  gen. Es geht allerdings nicht darum, den Pati-
        auf dem Smartphone. Wollny verwendet nicht  kann er Blutdruck und Puls messen, ein EKG  enten mit seinen Heißhungerattacken zu
        die App des Pflasterherstellers, sondern eine  aufzeichnen und – mittels SpO2-Sensor – die  konfrontieren, sondern ihn rechtzeitig vor
        Stand-alone-Anwendung. Dr. Jan Schwerdtfe-  Sauerstoffsättigung im Blut bestimmen. Sein  einer drohenden Unterzuckerung zu warnen.
        ger, sein Hausarzt, hat ihm eine erstattungs-  Arzt legt Wert darauf, dass er diese Funktion  Hierzu erstellt die App kontinuierlich Bewe-
        fähige App verschrieben, die im Verzeichnis  nutzt, um mögliche Schlafaussetzer zu erken-  gungsmuster des Patienten. Wollny betrachtet
        für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA)  nen. Früher hatte Wollny seinen Blutdruck mit  die App mittlerweile wie einen digitalen Ge-
        des Bundesinstituts für Arzneimittel und Me-  einer Oberarmmanschette gemessen und die  sundheitsassistenten, der sich rund um die Uhr
        dizinprodukte (BfArM) gelistet ist. Um die  Werte von Hand in eine App eingegeben. Dabei  um ihn kümmert.
        App für den Patienten herauszusuchen, muss-  hatten sich immer wieder Übertragungsfehler   Wollny, der im nächsten Jahr 60 Jahre alt
        te der Arzt nicht das DiGA-Verzeichnis durch-  eingeschlichen. Heute überträgt die intelligen-  wird, fürchtet sich davor, im Alter an Demenz
        stöbern – seine Praxissoftware übernimmt  te Uhr alle Gesundheitsdaten automatisch in  zu erkranken. Der schleichende Hörverlust sei-
        diese Aufgabe für ihn und schlägt ihm die für  eine zentrale Smartphone-App des Herstellers.  ner Mutter hat erheblich zur Demenz der alten
        den Patienten individuell passende App vor.  Eine spezielle Blutdruck-App extrahiert die  Dame beigetragen. Damit ihm nicht das Gleiche
        Die ausgewählte DiGA empfängt die Daten na-  Daten und bereitet sie zur regelmäßigen Über-  passiert, kontrolliert er regelmäßig mit einer
        hezu in Echtzeit. Sie zeigt dem Patienten alle  mittlung an den Hausarzt auf.   speziellen Smartphone-App sein Hörvermögen.
        gemessenen Blutzuckerwerte der letzten 24                              Für den Hörtest, der nur wenige Minuten dau-
                                           3. Prävention
        Stunden grafisch an und informiert auch über                           ert, muss er einen Kopfhörer an das Mobilgerät
        den geschätzten HbA1c-Wert. Der Patient  Der Patient überwacht aber nicht nur seine  anschließen. Gemessen wird der leiseste Ton,
        übernimmt diese Werte in seine elektronische  „Baustellen“ im Körper. Er kümmert sich auch  den der Nutzer in lauter Umgebung noch hören
        Patientenakte, sodass sie seinem Arzt beim  um die Prävention. Eine auf seinem Smartphone  kann. Die App erzeugt ein Hintergrundrau-
        nächsten Praxisbesuch vorliegen. Wollny  installierte App wertet zum Beispiel die Be-  schen und blendet Pieptöne in verschiedenen
        nimmt auch an einem Disease- Management-  schleunigungs- und Bewegungsdaten aus, die  Lautstärken und mit unterschiedlichen Fre-

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