Page 13 - xpress_Ausgabe 24.4
P. 13

TITEL





          drittens soll sie, und das ist neu, in einem „kontrollierten Markt-  in unterschiedlichen Codierungssystemen unterschied-
        modell“ einzelne Anwendungen ausschreiben und beschaffen          lich behandelt. So gibt es im KV-Datensatz fünf Ausprägun-
        dürfen. Auch an anderen Stellen soll die Digitalagentur als Markt-  gen von Geschlecht: männlich, weiblich, divers, unbekannt
        teilnehmer agieren: Sie soll beispielsweise für öffentlich-recht-  und unbestimmt. Im onkologischen Basisdatensatz, den vie-
        liche Stellen Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Tele-      le ambulante und stationäre IT-Systeme bedienen sollen,
        matikinfrastruktur erbringen dürfen.                              fehlt die Ausprägung „unbestimmt“. Was tun, wenn die Da-
        •  Ein zweites Schwerpunktthema des GDAG ist die Interoperabi-    ten eines „unbestimmten“ Patienten übertragen werden sol-
        lität. Hier erhält das schon mit dem DigiG etablierte Kompetenz-  len? Fehlermeldung? Auch die Repräsentation auf Software-
        zentrum für Interoperabilität im Gesundheitswesen (KIG) weite-    ebene ist im unglücklichsten Sinne des Wortes vielfältig: Mal
        re Aufgaben. Wir kommen darauf noch zurück.                       werden Großbuchstaben wie M W oder D verwendet, mal Klein-
        •  Die Digitalagentur soll künftig nicht nur Interoperabilitäts-  buchstaben, mal werden die Felder in Deutsch ausgeschrieben,
        standards definieren, die dafür sorgen, dass sich IT-Systeme im   mal in Englisch, mal mit Großbuchstaben am Anfang, mal nicht.
        deutschen Gesundheitswesen besser „verstehen“, sie soll auch      Für einen Menschen eher ärgerlich als problematisch, eine Soft-
        Standards festlegen dürfen, die auf mehr Nutzerfreundlichkeit     ware jedoch steigt im Zweifelsfall einfach aus.
        zielen. Auch darauf kommen wir noch zurück.                         Zweites Beispiel: Geburtsdatum. Angenommen, ich wurde
        •  Schließlich soll die Digitalagentur „als Partner“ bei der Di-  am 30. Juli 1974 geboren. eRezept und MIOs benötigen diese
        gitalisierung von Versorgungsprozessen des Gesundheitswe-         Information im Format 1974-07-30, diverse Qualitätssiche-
        sens und der Pflege unterstützen. Hier geht es um Kommunika-      rungs-Anwendungen und auch die Berufsgenossenschaften
        tionsdienste wie KIM, den TI-Messenger (TIM) und weitere, die     hätten gerne 30.07.1974, und im KVDT-Datensatz ist das Ge-
        vielleicht noch kommen. Solche Kommunikationsdienste sollen       burtsdatum eine bizarre Zahlenkombination. Nicht einmal bei
        künftig im Rahmen von zahlreichen Versorgungsprozessen ge-        der Medikation ist Einheitlichkeit gewährleistet: Der bundes-
        nutzt werden, wobei dafür dann jeweils eine spezifische Zulas-    einheitliche Medikationsplan (BMP) und der Medikationsplan
        sung durch die Digitalagentur nötig ist. Die Agentur erhält allein   (eMP) der eGK sind IT-technisch nicht miteinander kompatibel
        dafür drei neue Stellen.                          Seine           – obwohl teilweise dieselben Leute an der Entwicklung betei-

        Weniger Durcheinander im Standards-Zoo         Feuertaufe         ligt waren.
        Aus Sicht der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte liegt die Rele-  erleben wird   Interoperabilität soll besser werden
        vanz des GDAG nicht zuletzt in den Regelungen zur Verbesserung    Dass sich diese Zustände in einem digitalen Gesundheitswesen,
        der Interoperabilität. Hier besteht seit Jahren Handlungsbedarf,   das KIG bei    das diesen Namen verdient, ändern müssen, ist ziemlich offen-
        der auch jedem bewusst ist. Jens Naumann, Geschäftsführer von   der ePA    sichtlich: „IT-Standards werden von einigen Akteuren des Gesund-
        medatixx, fasst die Probleme kurz und knapp so zusammen: „Un-     heitswesens immer noch dafür genutzt, Claims abzustecken. Oft
        ser Problem im deutschen Gesundheitswesen sind nicht zu weni-  für alle.  wird auch einfach nicht genug nachgedacht“, so Naumann. „Was
        ge Standards, sondern zu viele.“                                  wir brauchen, sind einheitliche, konsolidierte, harmonisierte Da-
           Kostprobe gefällig? Im KV-System sind seit mittlerweile Jahr-  tenstandards auf internationaler Basis.“
        zehnten xDT-Standards im Einsatz, die ambulante Behandlungs-,       Mit seiner neuen Digitalagentur will der Gesetzgeber das er-
        Labor- und Diagnosedaten codieren und die unter anderem für       reichen, genauer mit dem KIG, das eine ganze Reihe von Aufga-
        die Abrechnung genutzt werden. Bei privatärztlichen Verrech-      ben und Rechten erhält, die die geschilderte babylonische Viel-
        nungsstellen gibt es die PAD-Standardfamilie, die ebenfalls Be-   falt schrittweise eindämmen sollen. Das KIG wurde bereits mit
        handlungsdaten codiert. Im Krankenhausumfeld und teilweise        dem DigiG etabliert, es soll jetzt mit dem GDNG nochmals mehr
        auch im MVZ-Bereich ist HL7 omnipräsent, wovon es wiederum        Kompetenzen erhalten. Die grundsätzliche Stärkung des KIG wird
        diverse Iterationen gibt. Es wird ergänzt durch die von der bishe-  in der Branche auf breiter Front begrüßt: „Zentralisierung und
        rigen gematik festgelegten ISiK-Standards, die auf einen besse-   Standardisierung sind notwendige Vorgaben für einen einheitli-
        ren, insbesondere sektoren-, aber auch anwendungsübergreifen-     chen Markt, in dem der Wettbewerb die Spielräume für den Fort-
        den Datenaustausch zielen. Es gibt FHIR, einen von HL7 neu ent-   schritt ausschöpfen kann“, schreibt etwa der IT-Verband bvitg.
        wickelten Datenübertragungsstandard, sowie auf spezifische Ver-   Und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) betont: „Der
        sorgungskontexte fokussierte, bisher so gut wie nicht genutzte    Abbau der aktuell erkennbaren Defizite in der Interoperabilität
        Medizinische Informationsobjekte (MIO) der KBV, die eine Kern-    […] ist [entscheidend] für den weiteren Erfolg der Digitalisierung
        komponente der ePA werden sollen. Im Rahmen der Medizinin-        und der ePA für alle.“
        formatik-Initiative und mit Unterstützung des Bundesministeri-      Seine Feuertaufe erleben wird das KIG bei ebendieser ePA
        ums für Bildung und Forschung (BMBF) werden außerdem for-         für alle. Die Digitalagentur darf für die ePA-Standards Quali-
        schungsassoziierte Standards entwickelt. Die Liste ließe sich noch   tätskriterien festlegen und deren Umsetzung, zum Beispiel in
        um einiges verlängern.                                            der Praxis-IT, im Rahmen der sogenannten Konformitätsbewer-
                                                                          tung überprüfen. Letztlich soll das Zertifikat der Konformitäts-
        Zwei Beispiele aus Babylon                                        bewertung zu einer notwendigen Grundlage für eine Erstat-
        Diese Vielfalt hat teilweise ihre Berechtigung, oft ist sie       tung im GKV-System werden. Das ist ein mächtiges Schwert,
        aber einfach nur ein Bremsklotz. Das Geschlecht etwa wird         das durchaus zu mehr Harmonisierung führen könnte –  weniger


                                                                                                                04  13
                                                                                                                 24
   8   9   10   11   12   13   14   15   16   17   18