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THEMA
APPS AUF REZEPT
Rückenwind für die DiGA
Endlich mal ein Bereich der Digitalisierung, bei dem Deutschland vorne dabei ist:
Seit drei Jahren übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für digitale
Gesundheitsanwendungen. Mit dem Digital-Gesetz sollen sie jetzt noch tiefer in der
Gesundheitsversorgung verankert werden.
E ine digitale Weltinnovation aus Alpenrepublik das Ganze umsetzen möchte, ist aller- Stoff-Ahnis im Januar in Berlin, als sie den DiGA-Re-
Deutschland – das hat nun wirklich nie-
dings noch offen.
port 2023 vorstellte: „Hier ist der Fast Track zu fast.“
mand erwartet“, sagt Henrik Emmert,
Außerdem seien die Verordnungszahlen weit hinter
zweiter stellvertretender Vorstandsvor-
Damit die Krankenkassen die Kosten für eine medizi-
sitzender des Spitzenverbands Digitale Gesundheits- „Fast Track“ in die Regelversorgung den immensen Erwartungen zurückgeblieben. So ha-
ben im Berichtszeitraum von September 2020 bis Sep-
versorgung. Er meint damit die „App auf Rezept“. Mit nische App übernehmen, muss sie im Verzeichnis er- tember 2023 lediglich 374 000 Versicherte eine App
dem Digitale-Versorgung-Gesetz hat der damalige stattungsfähiger digitaler Gesundheitsanwendungen auf Rezept in Anspruch genommen.
Gesundheitsminister Jens Spahn 2019 digitalen Ge- des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinpro- Allerdings haben sich die Kassen in der Vergan-
sundheitsanwendungen – kurz: DiGA – den Weg in dukte (BfArM) gelistet sein. Der Hersteller kann dies genheit nicht gerade als Unterstützer von DiGA her-
die Regelversorgung geebnet. Das gab es bis dato in beim BfArM über das sogenannte „Fast-Track-Verfah- vorgetan. So warten Patientinnen und Patienten
keinem anderen Land der Welt. ren“ beantragen. Dessen DiGA-Team prüft dann in- durchschnittlich 13 Tage, bis die Krankenkasse ihnen
„DiGA sind nicht einfach irgendwelche Apps, son- nerhalb von drei Monaten eine Reihe von Aspekten, den Freischaltcode für ihre DiGA übermittelt – ein
dern vollwertige Medizinprodukte mit therapeuti- Vorgehen, das durchaus als Verzögerungstaktik ge-
schem Anspruch“, unterstreicht Emmert. Heißt: Sie Krankenkassen dürfen deutet werden kann. Darüber hinaus häuften sich im
sammeln nicht nur Vitaldaten und geben Lifestyle- vergangenen Jahr die Berichte, dass Beschäftigte von
Empfehlungen, sie sind auch nicht dafür da, ein Ge- nicht auf eine andere Krankenkassen versucht hätten, Patientinnen und Pa-
rät auszulesen oder zu steuern. In allererster Linie ver- DiGA umsteuern. tienten die verordnete DiGA auszureden, um ihnen
folgen sie einen medizinischen Zweck: Sie sollen stattdessen eine kasseneigene Applikation ans Herz
Krankheiten erkennen, überwachen und behandeln zu legen. Das Bundesamt für Soziale Sicherung sah
– oder zumindest Diagnose, Therapie und Heilung beispielsweise ob sämtliche Datenschutzauflagen ein- sich daraufhin im Juli 2023 veranlasst, in einem Rund-
unterstützen. Im Kern beruhen sie auf digitalen Tech- gehalten werden oder ob die Nutzerinnen und Nutzer schreiben an die Krankenkassen klarzustellen, dass
nologien. Ärztinnen und Ärzte sowie Psychothera- sie sicher und effektiv bedienen können. Insbesonde- sie „bei Vorliegen einer ärztlichen Verordnung nicht
peutinnen und -therapeuten können DiGA auf Rezept re muss der Hersteller den medizinischen Nutzen der berechtigt sind, auf andere DiGA umzusteuern“. Die
verordnen. Die Kosten tragen dann die gesetzlichen DiGA belegen. Wenn er das zu diesem Zeitpunkt noch Therapiefreiheit liege grundsätzlich beim Arzt oder
Krankenkassen. Patientinnen und Patienten können nicht kann, hat er ein Jahr lang Zeit, um in einer Studie bei der Ärztin, eine Krankenkasse dürfe in diese Ver-
eine DiGA auch direkt bei ihrer Krankenkasse bean- nachzuweisen, dass seine Anwendung die Versorgung sorgungsentscheidung nicht eingreifen.
tragen, sofern sie eine ärztliche Bescheinigung über verbessert. In Ausnahmefällen kann die Erprobungs-
ihre Erkrankung vorlegen. studie auch zwei Jahre dauern. Bis Januar dieses Jah- Mangelndes Wissen hemmt Verordnung
Mittlerweile arbeiten auch andere Länder daran, res sind 53 DiGA über diesen Schnellzugang ins Ver- Eine Erhebung des Essener Forschungsinstituts für
digitalen Therapien einen festen Platz in ihrem Ge- zeichnis gekommen – 29 davon dauerhaft. Medizinmanagement (EsFoMed) führt das zurückhal-
sundheitssystem einzuräumen: Frankreich hat einen Die zügige Zulassung der DiGA ist einer der Punk- tende Verordnungsverhalten auf mangelndes Wis-
eigenen Zulassungsweg gestartet, über den Apps auf te, an denen sich der GKV-Spitzenverband stört. Dass sen über DiGA zurück. „Viele Hersteller haben zu Be-
Rezept in der Grande Nation erstattungsfähig wer- sie bis zu zwei Jahre nur zur Erprobung ins Verzeich- ginn vor allem darauf gesetzt, dass Patienten auf ih-
den. In Belgien gibt es seit 2022 Apps auf Kranken- nis aufgenommen werden können, ohne einen prak- ren Arzt zugehen und eine DiGA einfordern“, erzählt
kassenkosten. Auch Österreich hat im „Digital tischen Nutzen nachgewiesen zu haben, bemängel- Laura Wamprecht, Geschäftsführerin von Flying
Austria Act“ beschlossen, DiGA einzuführen. Wie die te GKV-Spitzenverband-Vorständin Stefanie Health *, einem Innovationsnetzwerk für Digitalisie-
* Laura Wamprecht war zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Beitrags bei Flying Health.
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