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Thema
diese Pop-up-Fenster fast niemand. Die Stelle, Die Aktualisierung ist jedoch nicht so ein- Wir nähern uns dem Fazit. Warum, noch mal,
an der mit einem Häkchen dafür gesorgt wer- fach, und damit sind wir wieder bei der IT: Das sind Ärzte von ihrer IT genervt? Vielleicht, weil
den kann, dass Meldungen nicht mehr auftau- digitale Handling des BMP funktioniert hinten sie Anwendungen aufoktroyiert bekommen, die
chen, findet im hektischen Praxisalltag kaum und vorne nicht. Es fängt damit an, dass kaum dann nie wieder kritisch evaluiert werden? Und
jemand. Ergebnis: Der Arzt wird ständig un- eine Praxis den nötigen Scanner besitzt, ent- vielleicht auch deswegen, weil viele der Inves-
terbewusst daran erinnert, dass irgendjemand weder aus Unkenntnis oder, wie in vielen MVZ, titionen, die in gesetzgebergewollte Digitalisie-
weil sich niemand zuständig fühlt, einen sol- rung der Praxen fließen, letztlich das zu ver-
„Wir haben jetzt drei chen Scanner anzuschaffen. Ergebnis: Arzt steuernde Einkommen der niedergelassenen
oder Ärztin tippt BMP ab. Wenn ein Bar-
Ärzte reduzieren – ohne im Gegenzug Nutzen
verschiedene Drucker für code-Scanner existiert, ist der Plan mitunter
drei verschiedene For- so schlecht ausgedruckt, dass er nicht scannbar „Ich hätte gern jeman-
ist oder eben alt und vollbeschrieben, sodass
mulare eingerichtet, die relevanten Informationen gar nicht im Bar- den, der für mich da ist,
aber das funktioniert nur code enthalten sind. Ergebnis: Arzt oder Ärztin der am besten einmal
tippt BMP ab. Es gibt auch den gar nicht so sel-
mit meinem Account.“ tenen Fall, dass in die Freitextfelder so viel die Woche kommt und
Zusatztext reingeschrieben wird, dass der BMP fragt: Ist alles gut bei
zweiseitig wird – und dann auch nicht mehr
Ihnen, kann ich noch
in seinen Kompetenzbereich hineinfunkt. Und gescannt werden kann. Ergebnis: Arzt oder
hängen bleibt dieses Unbehagen verallgemei- Ärztin tippt BMP ab. was für Sie tun?“
nert an der IT, denn die ist es, die ein neues Und was ist in den Ausnahmefällen, in denen
Fenster und damit weitere Mausklicks produ- das Scannen gelingt? „Da wird dann alles ei-
ziert. Aus Sicht der Politik sind die G-BA-Mel- gentlich noch schlechter.“ Wie bitte? „Ange- zu generieren? Insgesamt ist das alles jedenfalls
dungen in der Praxissoftware ein Beitrag zur nommen, ein Patient geht mit 12 Medikamen- nicht die bestmögliche Ausgangsposition für
Umsetzung evidenzbasierter Medizin in der ten ins Krankenhaus und kommt mit einem ärztliche Begeisterungsstürme, wenn es jetzt
Arztpraxis und damit ein Tool für mehr Ver- BMP mit 9 Medikamenten zurück, den ich an elektronische Arbeitsunfähigkeitsbeschei-
sorgungsqualität. Aus Sicht der Ärzte sind sie einscanne. Was macht die Software? Sie prä- nigungen, elektronische Rezepte und elektro-
eher nervtötende Gängelung. sentiert mir die alte und die neue Liste neben- nische Patientenakten geht.
einander in einem nicht besonders großen Gibt es denn auch ein alternatives Fazit die-
Sogar der BMP erzeugt Frust ser bisher doch etwas deprimierenden Ge-
Auf breiter Front als politische Symbolpolitik schichte? Ein digitales Happy End gar? Zur
empfunden wird auch der Bundesmedikati- „Was ich bei einem Wahrheit gehört in jedem Fall auch, dass längst
IT-Problem mache? Ich
onsplan (BMP), eine Anwendung, die eigent- nicht alles negativ gesehen wird. Online-Ter-
lich antrat, dem gesamten Gesundheitswesen minbuchungen erhalten oft gute Noten. Es gibt
schreie rum und haue
zu zeigen, warum Digitalisierung auch medi- intensive KIM-Nutzer, die die geschützte
zinisch segenstiftend sein kann. Was dabei auf den Tisch.“ E-Mail-Kommunikation sehr schätzen. Die
herauskam? „Der BMP macht mich richtig wü- schnelle Umsetzung der Impfzertifikate für die
tend“, sagt die Schmerztherapeutin – A� rztin in COVID-19-Impfung unter Nutzung der Telema-
einer Fachrichtung, die für dieses Tool zur Fenster.“ Verschiedene Strategien sind dann tikinfrastruktur bekommt ebenfalls viel posi-
Kernzielgruppe gehört, da nahezu jeder, der in möglich. Medikamente können hin- und her- tives Feedback. Und natürlich gibt es immer
eine schmerztherapeutische Praxis kommt, geschoben und gegebenenfalls gelöscht oder solche und solche IT-Systeme; die ambulante
eine Plethora an Medikamenten einnimmt. „Er modifiziert werden. Mühsame Handarbeit in IT-Welt, sie ist vielfältig. Ausruhen freilich soll-
ist politisch einfach unglaublich schlecht um- parallelen Tabellen also. te sich niemand, aber vielleicht befreien sich ja
gesetzt, und er wurde seit Einführung nicht ein Nicht optimal, findet die Ärztin: „Wir ma- alle zusammen – Ärzte, Hersteller, Politik und
einziges Mal evaluiert.“ chen es anders und übernehmen erst mal alle Körperschaften – in einem gemeinsamen
Dass der BMP Akzeptanzprobleme hat, zei- Medikamente komplett.“ Das Ergebnis ist eine Kraftakt aus der derzeitigen Lage. Das impliziert
gen schon die Nutzerzahlen. Nichts Genaues Liste von im konkreten Fall 21 Medikamen- ein Umdenken beim Service, eine stringentere
weiß man nicht, aber die Schmerztherapeutin ten, aus denen dann die Dubletten händisch Evaluation politisch induzierter IT-Innovatio-
schätzt, dass nur etwa 10 bis 20 Prozent der aussortiert und bei denen eventuell geänder- nen, eine politische Anerkennung der Tatsache,
Patienten, die dafür infrage kämen, tatsächlich te Dosierungen manuell angepasst werden. dass komplexe medizinische IT adäquat finan-
einen BMP haben. „Wer einen hat, bei dem ist Der Punkt ist: Dieser Prozess ist dermaßen ziert werden muss, und sehr viel mehr Kon-
der Plan oft komplett voll mit zusätzlichen Ein- fehleranfällig, dass die Intention des BMP, struktivität der ärztlichen Verbände und Kör-
tragungen, und häufig ist er ein Jahr oder älter, nämlich die Arzneimitteltherapiesicherheit perschaften. Fantasie? Möglich ist das allemal.
obwohl zwischendurch diverse Ärzte besucht zu verbessern, nicht nur nicht erreicht, son- Und es gibt auch auf allen Seiten genug Men-
wurden, die eine Aktualisierung hätten vor- dern unter Umständen sogar ins Gegenteil schen, die genau das wollen. Zurück zum Papier
nehmen können.“ verkehrt wird. kann die Lösung nicht sein.< $ PHILIPP GRÄTZEL
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