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Titelgeschichte




        INTERVIEW         DIE NEUE BUNDESREGIERUNG MUSS DIE ePA WEITERENTWICKELN

          Wie soll es weitergehen mit der elektronischen Patientenakte? Was sagen die Experten? Der Allgemeinmediziner
          Prof. Dr. Ferdinand Gerlach, Goethe-Universität Frankfurt, ist Vorsitzender des Sachverständigenrats Gesundheit (SVR).
          Er gibt der neuen Bundesregierung mutige Empfehlungen mit auf den Weg.



          Î ÎIn den Wahlprogrammen der Parteien für die Bundestagswahl kommt   Nur eine vollständige ePA wird letztlich   PROF. DR. FERDINAND GERLACH
                                                                                         Vorsitzender des Sachverständigenrats
          die elektronische Patientenakte (ePA) kaum vor (siehe Seite 20 ff.), im   zu einem zuverlässigen Versorgungstool   Gesundheit (SVR)  Abb.: Stiftung Gesundheitswissen
          SVR-Gutachten nimmt sie eine zentrale Stellung ein. Was wünschen Sie   mit Mehrwert werden. Wenn Leistungs-
          sich von der neuen Bundesregierung in Sachen ePA?  erbringer wegen fehlender automatischer Echtzeit-Synchronisation und
          Der neue Deutsche Bundestag sollte eine nüchterne Debatte über die ge-  selektiver Löschung davon ausgehen müssen, dass eine ePA nicht vollstän-
          setzlichen Regelungen zur ePA und deren Weiterentwicklung führen. Dabei   dig oder nicht aktuell ist, können und dürfen sie sich nicht darauf verlassen.
          sollten Aspekte wie der konkrete Nutzen, ein funktionierendes Arzt-Patien-  So werden etwa überflüssige Doppeluntersuchungen nicht vermieden, son-
          ten-Verhältnis und eine patientenwohldienliche Ausgestaltung Berücksichti-  dern möglicherweise geradezu provoziert.
          gung finden. Was uns vorschwebt, ist eine Art „Gesundheitsdatennutzungs-
          gesetz“, das die Regelungen im SGB V weiterentwickelt und auf der europäi-  Î ÎDer SVR plädiert im Zusammenhang mit der ePA für ein doppeltes
          schen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) aufsetzt.  Opt-out. Wie sähe das konkret aus?
                                                             Jeder Bürger bekommt bei Geburt oder Zuzug automatisch eine ePA, auf die
          Î ÎAb 2022 sollen Patienten die Datensätze und Dokumente in ihrer ePA   – außer ihm selbst – nur die jeweils behandelnden Leistungserbringer zugrei-
          mithilfe eines sogenannten feingranularen Rechtemanagements verwal-  fen dürfen. Alle Einträge und Zugriffe werden unlöschbar protokolliert und
          ten und zugänglich machen können, sofern sie das wollen. Das haben sich   bleiben damit nachvollziehbar. Der Patient kann der Einrichtung der ePA wi-
          auch die Datenschützer ziemlich genau so gewünscht. Was stört Sie daran?  dersprechen. Wenn er nicht pauschal widerspricht, hat er die Möglichkeit,
          Wir befürchten, dass eine solch komplizierte ePA eine optimale Gesundheits-  einzelne Informationen zu verschatten, sodass nicht jeder Leistungserbringer
          versorgung in vielen Fällen nicht fördert, in Einzelfällen vielleicht sogar ge-  darauf zugreifen kann. Diese Verschattung wäre als solche erkennbar.
          fährdet. Aufgrund eines vom Patientenwohl abgekoppelten Verständnisses
          von Datenschutz wird eine umständliche und ineffektive Lösung implemen-  Î ÎIst ein solches Konzept mit der DSGVO vereinbar? Gibt es Beispiele aus
          tiert. Wir schützen in Deutschland Gesundheitsdaten zu Tode, während viele   anderen Ländern?
          Menschen gleichzeitig ihre Gesundheitsdaten bei Unternehmen aus den USA   Die DSGVO ermöglicht solche Szenarien. Die positiven Erfahrungen in ande-
          oder China ungeschützt zu Markte tragen. Der Rat ist sehr für eine vollständi-  ren europäischen Ländern waren sogar eine wesentliche Inspirationsquelle
          ge, in Echtzeit aktualisierte ePA, wie sie in vielen EU-Ländern bereits seit Lan-  für die Vorschläge im SVR-Gutachten. Wir haben uns das konkret in Däne-
          gem etabliert ist. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die neue Bundesregierung  mark und Estland vor Ort angesehen. Dort sind vollständige ePAs seit rund
          die bisher geplante ePA deutscher Prägung allerdings weiterentwickeln.  15 Jahren eine Selbstverständlichkeit. 98 Prozent der Hausärzte in Däne-
                                                             mark sind vom Nutzen der dortigen ePA überzeugt, weniger als 1 Prozent
          Î ÎWas würden Sie konkret ändern?                  der Bevölkerung verzichtet freiwillig darauf. Frankreich ist ein anderes inte-
          Das Recht auf eine unwiederbringliche Löschung von Daten beispielsweise   ressantes Beispiel: Dort wurde 2006 eine ePA eingeführt, die ähnlich konzi-
          ist lebensfremd und basiert auf einem missverstandenen Arzt-Patien-  piert war wie die, die jetzt in Deutschland eingeführt wird. Bis 2019 hatten
          ten-Verhältnis. Wir empfehlen stattdessen ein „Verschatten“: Es verhindert,   nur 20 Prozent der Franzosen eine ePA angelegt, jetzt soll es doch ein Opt-
          dass die ePA unvollständig wird und gibt dem Arzt oder der Ärztin die Mög-  out-Konzept geben. Wir sollten uns unnötige Irrwege ersparen und als digi-
          lichkeit, gezielt um Einsicht zu bitten, wenn dies einmal sinnvoll erscheint.   tal Spätgeborene zumindest aus den Erfahrungen anderer Länder lernen.<





        ePA  übertragen und so dem behandelnden Arzt  Optionen für die Kommunikation mit weiteren  sierter digitaler Identitäten für Versicherte und
        digital an dem Ort verfügbar machen, an dem  Behandlern und dem Patienten, und baut auf  Leistungserbringer auf der politischen Agenda,
        auch alle anderen relevanten Informationen  Erfahrungen nicht zuletzt aus der Corona-Kri-  also Identitäten, die unabhängig sind von Chip-
        stehen. Die eAU soll ebenfalls ab 2023 in die  se auf, die nicht nur einen Boom bei den Vi-  karten wie der Gesundheitskarte oder dem
        ePA integriert werden. Patienten haben dann  deosprechstunden mit Patienten, sondern auch  HBA. Das wird es erleichtern, Versicherte zum
        die Möglichkeit, ihre Daten zu Forschungszwe-  einen Boom bei den innerärztlichen sicheren  Beispiel bei Videosprechstunden zweifelsfrei
        cken zur Verfügung zu stellen.     Messengern gebracht haben. Die im DVPMG  zu identifizieren. Solche digitalen Identitäten
          Das DVPMG beinhaltet darüber hinaus in-  angelegte Anbindung von Messenger-Funkti-  könnten auch zur Anmeldung bei einer DiGA
        teressante neue Funktionen für Leistungser-  onen an KIM erleichtert diese Art der „Dok-  genutzt werden. Es geht also weiter, und nach
        bringer, unter anderem eine Erweiterung des  tor-zu-Doktor-Kommunikation“, weil sie direkt  vielen Jahren des digitalen Trödelns stimmt
        KIM-E-Mail-Dienstes um eine Videofunktion  aus der Praxissoftware heraus erfolgen kann.  jetzt endlich die Richtung. Bleiben Sie dabei,
        und einen Messenger, genannt „TIM“ („TI-Mes-  Daneben und abschließend steht gemäß  auch wenn es manchmal nervt. Auf Dauer wird
        senger“). Dies eröffnet zusätzliche, sichere  DVPMG ab 2023 die Einführung softwareba-  es sich für Sie lohnen.<     $ PHILIPP GRÄTZEL

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