Page 20 - xpress_Ausgabe 21.1
P. 20

Thema












        COVID-19-PANDEMIE
        Der Digitalisierungsschub






        In der aktuellen Krise profitieren sowohl Ärzte als auch Patienten von den digitalen Diensten im Gesundheits-
        wesen. Einige Anwendungen werden als besonders nützlich empfunden, andere warten noch auf ihren Einsatz.
        Zeit für eine erste Zwischenbilanz.



             esinfektionsspender im Eingangsbe-  bilanz weisen die Ärzte weiter darauf hin, dass  sonders hervor. Bis zum Auftreten der Pandemie
             reich, Abstandsmarkierungen auf dem  auch das Telemonitoring bei der Betreuung von  nutzten die Ärzte die 2017 eingeführte Vi-
       D Boden und Plexiglas-Thekenschutz – die  Schwangeren oder psychisch erkrankten Men-  deosprechstunde eher zurückhaltend. Nach
        deutschen Arztpraxen haben im vergangenen  schen schnell ausgeweitet wurde.  einer Erhebung des health innovation hub (des
        Frühjahr schnell mit Hygienemaßnahmen auf   In der Krise treten aber auch die noch be-  Bundesgesundheitsministeriums) und der
        die Covid-19-Pandemie reagiert. Unterstützend  stehenden Defizite bei der Digitalisierung deut-    Stiftung Gesundheit nutzten Ende 2017 nur 1,8
        kamen Sonderregelungen und Erleichterungen  lich hervor. Die Ärztevertreter bemängeln zum  Prozent der Niedergelassenen diesen neuen
        von KBV und G-BA hinzu, um eine zusätzliche  Beispiel, dass es kein flächendeckendes, digi-  Kommunikationsweg, fast 60 Prozent lehnten
        Ausbreitung des Virus über die Praxen zu ver-  tales sensorbasiertes Monitoring von Patienten  ihn damals strikt ab. Dass die Zahl der Vi-
        hindern. Einige der getroffenen Maßnahmen  in häuslicher Quarantäne oder in Pflegeein-  deosprechstunden in der Pandemie stark zuge-
        haben in den Arztpraxen zu einem Digitalisie-  richtungen gibt. Mit einem kontinuierlichen  nommen hat, hängt nicht nur mit dem Infekti-
        rungsschub geführt. In einer ersten Zwischen-  Monitoring könnte eine Verschlechterung des  onsgeschehen zusammen. Zum einen haben
        bilanz urteilt die Bundesärztekammer: „Die                             viele Anbieter von Videosprechstundenlösun-
        zum Teil kurzfristig implementierten digitalen   Bundesärztekammer     gen ihr Angebot vorübergehend kostenfrei zur
        Angebote sind auf positive Resonanz gestoßen                           Verfügung gestellt.  Zum anderen haben KBV
        und sollten nicht nur nach der Pandemie nutz-  vermisst sicheren       und Krankenkassen für eine befristete Zeit die
        bar bleiben, sondern nicht zuletzt im Sinne der                        abrechnungsbezogenen „Fesseln“ der Vi-
        Pandemie-Prävention zügig weiterentwickelt   Messengerdienst           deosprechstunde gelockert: Vor der Pandemie
                                                     für alle Ärzte
        werden."                                                               war die Anzahl der abrechenbaren Videosprech-
                                                                               stunden auf 20 Prozent der Patientenkontakte
        Die Maßnahmen zu Beginn der Pandemie                                   begrenzt. Die Selbstverwaltung hat aber nicht
        Aus Sicht der Ärzteschaft hat die telefonische  Gesundheitszustands bei ambulanten chroni-  nur diese Limitierung aufgehoben, sondern die
        Krankschreibung nicht nur die Praxen entlas-  schen Patienten frühzeitig erkannt werden.  Videosprechstunde bei allen Indikationen er-
        tet, sondern auch die Patienten geschützt. Be-  Kritisiert wird außerdem, dass ein Messenger-  laubt. Auch Patienten, die zuvor noch nicht beim
        währt haben sich der Bundesärztekammer  dienst, über den Ärzte sicher kommunizieren  Arzt in Behandlung waren, dürfen seither mit-
        zufolge auch die Nutzung von Videokonferenz-  können, nicht allen Ärzten zur Verfügung steht.  tels Videosprechstunde untersucht werden.
        systemen und der intersektorale Austausch  Interessanterweise schlägt die Bundesärzte-  Am häufigsten finden Videosprechstunden
        über Telekonsile. Den Patienten sei auch zugu-  kammer auch vor, eine feste Test- und Erpro-  im psychotherapeutischen Umfeld statt. Der
        tegekommen, dass sich die Ärzte durch die von  bungsregion zu etablieren, in der alle zukünf-  Erhebung von health innovation hub und
        der Industrie zeitweise kostenlos ermöglichte  tigen digitalen Dienste vor dem Roll-out getes-    Stiftung Gesundheit zufolge setzten 86,1 Pro-
        Nutzung von meist digitalen Zeitschriften und  tet werden können. Die aufwendige Suche nach  zent der psychotherapeutisch tätigen Ärzte
        Wissensdatenbanken schnell über die neuesten  jeweils neuen Testregionen entfiele, und digi-  und Therapeuten im Mai 2020 die Videosprech-
        Forschungsergebnisse zu Covid-19 informieren  tale Anwendungen könnten so beschleunigt in  stunde entweder bereits ein oder wollten sie
        konnten. Positiv sieht die Bundesärztekammer  die Praxen kommen.       kurzfristig einrichten. Gepusht wurde die Nut-
        auch die offen geführten Diskussionen über                             zung weiter durch die Entscheidung, dass ärzt-
                                           Boom bei Videosprechstunden                                                  Abb.: Adobestock.com © ANR Production
        Datenschutz  und -sicherheit in digitalen me-                          liche und psychologische Psychotherapeuten
        dizinischen Anwendungen, beispielsweise bei  Von allen digitalen Anwendungen, die nieder-  bestimmte Leistungen wie zum Beispiel Ein-
        den Corona-Apps zur Nachverfolgung oder  gelassenen Ärzten in der Pandemie zur Verfü-  zeltherapiesitzungen, psychotherapeutische
        Erfassung des Immunstatus. In ihrer Zwischen-  gung stehen, sticht die Videosprechstunde be-  Sprechstunden und probatorische Sitzungen

    20   x.press 21.1
   15   16   17   18   19   20   21   22   23   24   25