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Kompakt Hilfe im Alltag Abb.: © Kzenon - Fotolia.com
Interview Ärztenetze Das Projekt GlycoRec entwickelt ein System,
das Diabetiker bei Entscheidungen unterstützt.
Dr. med. Veit Wambach
Schätzungen zufolge ist jeder Zehnte in
Dr. med. Veit Wambach ist Vorsitzender der Agentur Deutschland an Diabetes mellitus er-
Deutscher Arztnetze e.V. Der Allgemeinmediziner krankt, Tendenz steigend. Um Folgeerkran-
betreibt in Nürnberg eine eigene Praxis. kungen zu vermeiden, müssen Diabetiker
täglich viele Entscheidungen treffen, die
Sie sind mit dem Vorwurf an die Öffentlichkeit gegangen, dass Ärztenetze ihren Lebensstil, ihre Ernährungsgewohn-
zurzeit nicht ausreichend gefördert werden. Was muss sich ändern? heiten oder den Blutzuckerspiegel betref-
Ich habe keinen Vorwurf erhoben, sondern den Ist-Zustand beschrieben. Im Mo- fen. Das jetzt gestartete Forschungsprojekt
ment fördern einige Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) Ärztenetze konse- GlycoRec – die Abkürzung von Glycose Re-
quent und sehr konstruktiv, andere nicht. Dies hängt mit dem föderalen Aufbau commendation (deutsch: Empfehlung) – soll
der Bundesrepublik und den unterschiedlichen Strukturen und Interessen in den in den nächsten drei Jahren ein System
verschiedenen Regionen zusammen. Gefördert werden Ärztenetze aktuell nur von entwickeln, das den Diabetiker bei diesen
vier KVen sowie in Hessen vom Sozialministerium. Alle anderen Länder haben Entscheidungen unterstützt. Das Bundes-
noch nichts umgesetzt. Dabei ist nach dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz die ministerium für Bildung und Forschung
Förderung von Ärztenetzen nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend. fördert das Projekt mit 1,4 Millionen Euro.
GlycoRec sammelt mit physiologischen Sen-
Wie beurteilen Sie den Feldtest zur Erprobung des eArztbriefes? soren fortlaufend Vitaldaten wie etwa Blut-
Der elektronische Arztbrief ist eine einfache Möglichkeit, um Daten sicher zucker, Körpergewicht oder Blutdruck und
auszutauschen. Ich konnte bereits in meiner eigenen Praxis erste Erfahrungen da-
mit sammeln. Voraussetzung für die Teilnahme am Feldtest ist KV-CONNECT, was Hilfreich: GlycoRec hilft dem Diabetiker bei Entscheidungen.
wiederum einen KV-SafeNet-Zugang voraussetzt. In Bayern haben wir hierfür eine
Incentivierung. Wer bislang noch keinen KV-SafeNet-Zugang hatte und innerhalb hält dabei fest, zu welcher Uhrzeit und wo
des ersten Quartals einen solchen Zugang implementiert hat, erhielt eine Zahlung die Messungen erfolgt sind, etwa zu Hause
von 1 000 Euro. Und wer den Zugang schon implementiert hatte, bekam 600 Euro. oder im Supermarkt. Auf der Basis dieser
Für die niedergelassenen Ärzte in Bayern war es also ein interessanter Zeitpunkt, Daten sollen individuelle Benutzermodelle
um einzusteigen und Arztbriefe auszutauschen. erstellt werden, die die Patienten unterstüt-
zen. Diese haben die Möglichkeit, sich über
Welche Bedeutung haben E-Health-Anwendungen für die Ärztenetze? eine Smartphone-App oder zu Hause über
Ich gehe davon aus, dass E-Health enorm an Bedeutung gewinnen wird. Es gibt in einen am Internet angeschlossenen Fernse-
Deutschland bereits Ärztenetze, die in diesem Bereich weit fortgeschritten sind und her interaktiv beraten zu lassen, zum Bei-
netzeigene elektronische Patientenakten eingeführt haben. Telemedizin zum Beispiel spiel bei Alternativen für die Ernährung
gehört für mich zu den zentralen Punkten, um aus gut versorgten Regionen heraus oder Bewegung. Falls der Patient bestimmte
unterversorgte Regionen zumindest mitversorgen zu können. Gerade im fachärztli- Toleranzwerte innerhalb des Benutzermo-
chen Bereich ist Telemedizin eine interessante und spannende Angelegenheit. dells überschreitet, kann das System den
Patienten darauf aufmerksam machen. Er
Was beschäftigt aktuell die Mitglieder in den Ärztenetzen? kann dann verschiedene Handlungsoptio-
Ein großer Trend ist die individualisierte Kommunikation mit den Patienten, nen gegeneinander abwägen. GlycoRec
und zwar nicht in einem technischen Sinne. Weltweit liegt die Adherence, die frü- wird von der PFH Private Hochschule Göt-
her als Compliance bezeichnet wurde, zurzeit bei nur 50 Prozent. Das bedeutet, tingen koordiniert.
dass Verordnungen oder Empfehlungen der Ärzte nur in der Hälfte aller Fälle von
den Patienten eingehalten werden. Wenn der Arzt den Patienten erreichen möch- www.pfh.de/aktuelles/450-projektstart-interaktive-
te, muss er dessen Hintergrund berücksichtigen. Mit einer Seniorin aus Nürnberg hilfe-fuer-diabetiker-mit-glycorec.html
muss ich beispielsweise anders sprechen als mit einem Existenzgründer aus den
neuen Bundesländern oder einer Migrantin aus der Türkei. Das wird in den nächs-
ten Jahren noch ein großes Thema werden.
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