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Titelgeschichte
INTERVIEW DIGITALE PROZESSE WERDEN STANDARD
Dr. med. Veit Wambach ist Allgemeinmediziner und langjähriger Vorsitzender, mittlerweile Ehrenvorsitzender des
QuE Gesundheitsnetzes Nürnberg. Er ist außerdem stellvertretender Vorsitzender des Virchowbunds.
Î ÎSie sind als niedergelassener Arzt seit vielen Jahren gesundheitspoli- tungsangebote nach dem Billstedter Kon-
tisch und vor allem auch netzpolitisch unterwegs. Was sind die Themen zept* mit Gesundheitskiosken und Ähnli- DR. MED. VEIT WAMBACH Abb.: Dr. Veit Wambach
Allgemeinmediziner und langjäh-
der ambulanten Versorgung der kommenden Jahre? chem ist ebenfalls positiv. In anderen Berei- riger Vorsitzender, mittlerweile
Das wird Sie jetzt vielleicht überraschen, aber ich glaube, uns erwartet eini- chen ist es ein bisschen schwammig, vor al- Ehrenvorsitzender des
ges im Bereich Klimawandel. Das gewinnt ganz klar an Bedeutung, und die lem bei der Finanzierung: eine regelmäßige QuE Gesundheitsnetzes Nürnberg
Ärzteschaft hatte das bisher wenig im Fokus. Denken Sie an Hitzewellen, Al- Dynamisierung des Bundeszuschusses? Da
lergien und vektorbedingte Erkrankungen. Ich glaube, jede Arztpraxis wird weiß kein Mensch, was damit gemeint ist. Ob wir unbedingt staatliche
künftig einen Hitzeaktionsplan benötigen – für das Personal und für Risiko- Strukturen und speziell die Landesbehörden stärken müssen, wenn es um
patienten. Der ökologische Fußabdruck von Einrichtungen im Gesundheits- die Weiterentwicklung sektorenübergreifender Versorgungsplanung geht,
wesen ist klar verbesserungsfähig, denken Sie an Dienstfahrräder oder auch da bin ich mir auch nicht so sicher.
an die Massen an Müll, die wir produzieren. Ich sehe da dringenden Hand-
lungsbedarf und glaube, die neue Regierung tut uns da ganz gut. Î ÎKommen wir zur Digitalisierung. Was ist Ihre Bilanz nach vier Jahren
Spahnschem Powerplay?
Î ÎWie sieht es mit den traditionellen gesundheitspolitischen Digitalisierung funktioniert, wenn sie niedrigschwellig und anwenderbezo-
Herausforderungen aus? gen ist. Wenn die IT-Lösungen im Gesundheitswesen so einfach funktionie-
Der Fachkräftemangel im ärztlichen Bereich und bei den MFAs ist ein großes ren würden, wie, sagen wir, eine Apple Watch, dann hätten wir weniger Pro-
Thema und wird es auch noch eine Weile bleiben. Die finanzielle Benachteili- bleme. Solange wir über Anwendungen reden, die keinen offensichtlichen
gung der MFA gegenüber anderen Gesundheitsberufen muss dringend aus- Nutzen haben und dann auch noch schwierig einzusetzen sind, kommt Digi-
geglichen werden. Da sehe ich eventuell auch die Krankenkassen in der talisierung nicht einmal dann zum Fliegen, wenn die Politik alles optimal vor-
Pflicht, angemessene Tarifsteigerungen zu refinanzieren und Imagekampag- bereitet. Da ist noch was zu tun, trotz Jens Spahn.
nen zu unterstützen. Und dann gibt es natürlich die beiden Großbaustellen
GOÄ-Reform und Verbesserung des Übergangs zwischen ambulantem und Î ÎKarl Lauterbachs erste digitalpolitische Amtshandlung war die
stationärem Sektor. Mal sehen. Verschiebung des eRezepts auf unbestimmte Zeit. Richtig oder falsch?
Das eRezept wird kommen, aber der Minister hat erkannt, dass ein paar an-
Î ÎWie beurteilen Sie vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen dere Dinge in der Pandemiesituation erst mal wichtiger waren. Ich glaube
den Koalitionsvertrag? schon, dass das alles noch etwas funktionaler werden kann, wenn das ge-
Der hat Stärken und Schwächen. Dass die Aufhebung der Budgetierung im lingt, dann war die Entscheidung richtig. Ich lehne mich jetzt mal aus dem
hausärztlichen Bereich kommen soll, ist gut, wobei wir als Ärztenetz das na- Fenster: In fünf Jahren sind digitale Prozesse in der ambulanten Versorgung
türlich auch gern für Fachärzte hätten. Der Ausbau niedrigschwelliger Bera- Standard, nicht nur, aber auch das eRezept.< * C GESUNDHEIT-BH.DE
Förderung der „Ambulan-
Wie zielführend das alles ist, wird sich zei- identisch sind, egal ob die entsprechende Leis-
gen. Bis Redaktionsschluss gab es noch nichts tung ambulant oder stationär erbracht wird.
Konkreteres. Kritiker weisen auf die Gefahr tisierung“ unter anderem Hybrid-DRGs sind eine langjährige Forde-
durch Aufhebung der
hin, dass letztlich nur Verantwortlichkeiten rung der ambulanten Onkologie, dürften aber
zwischen diversen BMG-Behörden hin- und auch für Chirurgie, Rheumatologie und einige
Honorarbudgetierung im
hergeschoben würden. Der Erfolg des neuen internistische Spezialdisziplinen interessant
Bundesinstituts dürfte wesentlich davon ab- hausärztlichen Bereich. werden. Auf Ärzteseite gibt es dafür vorsich-
hängen, ob es zum einen genug finanzielle Mit- tigen Beifall: „Ich halte das für grundsätzlich
tel erhält, zum anderen jene Weisungskompe- richtig“, sagt etwa Dr. Veit Wambach, Vor-
tenz in Richtung Gesundheitsämter, die das standsmitglied beim Virchowbund. „Es gibt
RKI nie hatte, etwa bei den IT-Standards. Public eine recht unkonkrete Worthülse. Die „Ambu- Bereiche, da sind gleiche Vergütungsbedingun-
Health in Deutschland ist auch oder sogar vor lantisierung“ der Versorgung solle gefördert gen notwendig, um Verzerrungen zu vermei-
allem ein Föderalismus-Thema, neues Bundes- werden, heißt es im Koalitionsvertrag. Dies den. Ein solches System allerdings funktions-
institut hin oder her. unter anderem durch Aufhebung der Honorar- tüchtig hinzubekommen, das wird einiges an
budgetierung im hausärztlichen Bereich, au- Gehirnschmalz kosten.“
Aufhebung der Honorarbudgetierung ßerdem durch eine abrechnungstechnische Nicht völlig überzeugt ist Wambach von den
Auch die Stärkung der ambulanten und sektor- Neuerung, nämlich die Einführung von Hyb- Passagen, in denen es – vage – um die Stärkung
übergreifenden Vernetzung ist bisher noch rid-DRGs. Das sind Abrechnungsziffern, die der sektorübergreifenden Versorgung geht:
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