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Titelgeschichte




        INTERVIEW         „WIR BRAUCHEN KLARE REGELN“

          Der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. med. Klaus Reinhardt, befürwortet das neue Gesundheitsdatennutzungsgesetz. Die
          Nutzung der Daten sollte nach klaren Kriterien erfolgen.


          Î 	Das GDNG will Gesundheitsdaten in Deutschland für alle, die daran ein   legitime Forschungsinteressen, zum Beispiel
          berechtigtes Interesse haben, nutzbar machen. Brauchen wir das?  auch von Privatunternehmen. Das muss dann   DR. MED. KLAUS REINHARDT
          Klares Ja. Wir haben die Defizite in Deutschland in diesem Bereich während   aber rechtlich sauber geregelt werden. Und na-  Präsident der Bundesärztekammer  Abb.: Die Hoffotografen
          der Corona-Pandemie gesehen, als wir im Wesentlichen auf Daten aus zum   türlich sollen Patientinnen und Patienten das Recht haben, die Nutzung ihrer
          Beispiel Israel und Großbritannien angewiesen waren. Das muss sich ändern.  Daten für Forschungszwecke abzulehnen; also auch hier gilt das Opt-out-
          Wissenschaftliche Forschung in der Medizin ist heute in erheblichem Maße   Prinzip.
          abhängig von großen Datenmengen, und entsprechend müssen wir Daten
          strukturiert erheben und auswerten können. Ich bin ein großer Fan des Kon-  Î 	Das GDNG sieht ein relativ staatsbürokratielastiges Konzept für die Ge-
          zepts der freiwilligen Datenspende, ich glaube auch, dass sich die Menschen   sundheitsdatenforschung vor. Glauben Sie, dass wir das, was Israel in der
          damit leichter tun als bei der Organspende.        Pandemie geleistet hat, mit Datenspenden aus der ePA erreichen können?
                                                             Ich denke schon, dass das gehen kann. Es muss das grundsätzliche Commit-
          Î 	Keine Sorge, dass das den Datenschutz unterläuft?  ment geben, dass wir Datennutzung gangbar machen wollen, auch mit Hilfe
          Datenschutz ist natürlich wichtig, aber die Nutzung von Daten für eine besse-  von Datenplattformen. Wenn das im Vordergrund steht, dann finde ich eine
          re Versorgung oder mehr Patientensicherheit ist genauso wichtig. Daten-  staatliche Institution, die die Daten abgibt, richtig. Es ist natürlich immer auch
          schutz um seiner selbst willen bringt uns nicht weiter. Übertriebener Daten-  eine Frage der Umsetzung. Zu viel Bürokratie oder zu lange Bearbeitungszeiten
          schutz kann sogar schaden. Wichtig ist, dass ganz klare Kriterien für die for-  können wir uns in der medizinischen Forschung nicht erlauben. Wir brauchen
          schende Datennutzung festgeschrieben werden. Wir sollten nicht alles erlau-  für die Datenabgabe klare Regeln und effiziente Prozeduren. Dann können so-
          ben, aber gleichzeitig sollten wir auch nicht alles verbieten. Natürlich gibt es   wohl Patientinnen und Patienten als auch Wissenschaft davon profitieren.<




        mit Gesundheitsdaten aus unterschiedlichen  Verknüpfung  der  Registerdaten  mit  den  bisherigen ePA, die von nicht einmal einem
        Quellen forschen möchten. Zugang erhalten  FDZ-Daten genehmigen, und sie ist auch dafür  Prozent der GKV-Versicherten überhaupt an-
        sollen akademische wie privatwirtschaftliche  zuständig, die Genehmigungen der originalen  gelegt wurde, vergessen machen.
        Forscherinnen und Forscher. Auch das ist ein  Datenhalter einzuholen.    Die neue ePA soll gemäß aktueller Planung
        Novum des GDNG.                       Zur Verfügung gestellt werden die Daten  Anfang  2025  kommen  und  dann  für  alle
          Weil das mit dem privatwirtschaftlichen  pseudonymisiert mit einer „anlassbezogen zu  GKV-Versicherten automatisch angelegt wer-
        Zugang zu Gesundheitsdaten einigen ein Dorn  erstellenden Forschungskennziffer“ auf Basis  den, sofern diese nicht aktiv widersprechen.
        im Auge ist, enthält der GDNG-Entwurf klare  der Krankenversichertennummer. An der Pseu-  Es braucht in der Grundeinstellung keine Pass-
        Aussagen dahingehend, welche Arten der Ver-  donymisierung wirkt eine schon existierende  wörter auf Patientenseite, und es braucht auch
        arbeitung von Daten verboten sind, nämlich  Vertrauensstelle am Robert Koch-Institut mit.  keine ePA-App. Desgleichen sollen behandeln-
        unter anderem:                     Wie sie technisch umgesetzt wird, ist noch un-  de medizinische Einrichtungen zunächst ein-
            Auswertungen, die auf Abschluss oder Aus-  klar. Es wird dazu eine eigene Rechtsverord-  mal frei auf die ePA ihrer jeweiligen Patientin-
          gestaltung von Versicherungsverträgen  nung geben. Das alles klingt einerseits ehrgei-  nen und Patienten zugreifen dürfen. Die Ge-
          zielen                           zig, andererseits nicht so, als ob es schnell  sundheitseinrichtungen sollen außerdem
            Datenabfragen, die auf die Entwicklung  gehen würde. Umso ärgerlicher, dass Lauter-  verpflichtet werden, bestimmte Arten von
          schädlicher Produkte oder Dienstleistun-  bach anderthalb Jahre hat verstreichen lassen,  Daten und Dokumenten in die ePA einzustellen.
          gen zielen                       bevor er mit dem GDNG-Entwurf aus der De-  Den Anfang macht eine elektronische Medika-
            Datennutzung zu Marktforschung, Werbung  ckung kam.                tionsliste inklusive Medikationsplan, falls vor-
          und Vertriebszwecken.                                                handen.
                                           Und was ist mit den Daten aus der ePA?  Für die Forschung mit den ePA-Daten ist
        Datenverknüpfung à la GDNG         Bei der Datenverknüpfung zwischen Abrech-  ebenfalls ein Opt-out geplant: Die Forschung

        Konzeptionell spannend wird das GDNG vor  nungsdaten und Krebsregisterdaten soll es  mit ePA-Inhalten soll also der Normalfall sein,
        allem durch die für Deutschland völlig neue  nicht bleiben. Ein weiterer Use Case aus dem  sofern der ePA-Besitzer nicht aktiv wider-
        Verknüpfung der (Abrechnungs-)Daten des  GDNG bereitet vielen in Berlin Kopfzerbre-  spricht. Dazu sollen die ePA-Daten automatisch
        FDZ  mit  Daten  anderer  Datenquellen.  Das  chen: nämlich die von Lauterbach vehement  an das FDZ transferiert werden. Ganz so ein-
        klingt zunächst trivial, ist es aber nicht. Um-  gewünschte Forschung mit Inhalten der elek-  fach wird es allerdings in der Praxis nicht.
        gesetzt werden soll diese Verknüpfung zu-  tronischen Patientenakte. Relevant wird das  Denn aus technischen Gründen ist dieser Da-
        nächst beispielhaft für das FDZ und die klini-  erst mit der neuen ePA – vom Minister „ePA für  tentransfer  nur  dann  möglich,  wenn  der
        schen Krebsregister der Bundesländer. Die  alle“, in der restlichen Branche „Opt-out-ePA“  ePA-Besitzer auch eine ePA-App nutzt. Ob und
        DZKS soll jede individuelle Anfrage für eine  genannt. Diese neue ePA soll den Misserfolg der  wann sich das ändert, steht in den Sternen.

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