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Thema












        FRUST AM COMPUTER
        Schon wieder Ärger mit der IT






        Digitalisierung in die medizinische Versorgung zu bringen, ist in Deutschland mühsam. Viele Ärzte bekommen
        schon beim Gedanken an IT eine Krise. Überforderte IT-Systeme, überbordende regulatorische Anforderungen
        und halbherzige Versuche, alles besser zu machen, verhageln die digitalisierungsfreundliche Grundstimmung.





             ber IT-Systeme in medizinischen Einrich-  Wir wollten es genauer wissen und haben  Lebensbereiche schon für sich genommen eine
             tungen wird viel geschrieben – natürlich  mit drei Kollegen in der ambulanten Versor-  interessante Aussage ist. Wann sie sich das letz-
       Ü auch in dem Medium, das Sie gerade le-  gung gesprochen, aus drei unterschiedlichen  te Mal über ihre Praxis-IT aufgeregt habe? „Ich
        sen, im x.press-Magazin. Meist geht es in diesen  Fachrichtungen, mit unterschiedlichen IT-Sys-  rege mich ständig darüber auf. Jede Woche.
        Artikeln um neue „Lösungen“, die irgendwelche  temen und in unterschiedlichen institutionel-  Schon wie das aussieht! Und mindestens einmal
        „Prozesse“ in Ihren Praxen „modernisieren“  len Kontexten. Alles wurde bis zur Unkennt-  die Woche stürzt das System ohne jede Vorwar-
        und/oder Sie „von Bürokratie entlasten“ wollen.  lichkeit anonymisiert, kein Anwender und kein  nung  ab.  Das  kannte  ich  sonst  nur  aus  den
        Es geht um gesetzliche Anforderungen, die in  Hersteller soll sich wiedererkennen. Gespro-  1990er-Jahren.“
        Ihre Arzneimittelverordnung, Ihre Dokumen-  chen haben wir mit einer Schmerztherapeutin   Woran es liegt, darüber kann die Ärztin nur
        tation oder Ihre Kommunikation mit Kollegen  in einer Gemeinschaftspraxis aus Deutschlands  spekulieren, und auch der Servicemitarbeiter
        eingreifen. Nichts davon geschieht mit bösar-                          des Herstellers und der Dienstleister vor Ort
        tigen Absichten, alles mit hehren Zielen wie   „Wann ich mich das letzte   konnten ihr da bisher nicht helfen. Vielleicht ist
        jenen, die „Versorgungsqualität zu verbessern“                         die Ursache, dass das System mehrere Stand-
        oder die „Patientensicherheit zu erhöhen“ –   Mal über IT aufgeregt    orte bedient, dafür aber nicht gemacht ist. Viel-
        gleichsam als seien Ihre Versorgungsleistungen                         leicht ist die Software über die (vielen) Jahre,
        zuvor von minderer Qualität und Ihre Patienten   habe? Ich rege mich   die sie jetzt installiert ist, durch immer neue
                                              ständig darüber auf. Die
        ohne IT-Lösungen stets gefährdet gewesen.                              Erweiterungen und immer neue regulatorische
          Diese wenigen einleitenden Sätze genügen                             Anforderungen zu komplex geworden und wur-
        wahrscheinlich schon, um zu illustrieren, dass   Software ist ein Quell   de nicht rechtzeitig von Grund auf erneuert. Aus
        und warum das Verhältnis zwischen Ärzten   steten Ärgernisses.“        Sicht der Ärztin ist das letztlich egal: Sie leidet.
        einerseits und IT-Systemen andererseits vie-                             Nicht jede Arztpraxis ist gleich, aber jede
        lerorts als angespannt gelten kann. Dachorga-                          hat ihre Kernprozesse, und die müssen flott
        nisationen wie die Bundesärztekammer oder  Südwesten, einem Nephrologen, der in einem  von der Hand gehen. Schmerztherapie heißt im
        die Kassenärztliche Bundesvereinigung beto-  klinikeigenen MVZ Nieren- und vor allem  Wesentlichen Arzneimitteltherapie, entspre-
        nen zwar immer wieder, dass (viele) Ärzte einst  Transplantatpatienten versorgt und einer  chend hat die Verordnung von Arzneimitteln
        digitale Vorreiter waren. Wir reden von den  HNO-Ärztin, die in eigener Praxis irgendwo in  bei der Kollegin einen hohen Stellenwert. Al-
        1980er-Jahren. Wahr ist aber auch: Die digita-  Mitteldeutschland lebt und arbeitet.   lein, die Verordnerei macht keinen Spaß, weil
        le Vorreiterschaft fußte auf administrativen                           die Software die Arzneimittelverordnung nicht
                                           Jede Woche stürzt das System ab
        IT-Systemen. Die Patientenversorgung selbst                            mit der gebührenden Priorität behandelt: „Das
        war in Deutschland nie ein digitaler Vorreiter  Hassen diese A� rzte ihre IT-Lösungen? Und wenn  Fenster, in dem ich die Verordnung mache, be-
                                                                                                                        Abb.: Adobestockphoto.com © comicstocks
        gewesen. Und weil zusätzlich der deutsche  ja, warum? Wann zerbrach die Liebe zum Com-  legt fünf Prozent der Fläche des Bildschirms,
        Staat nie ein digitaler Vorreiter war, haben sich  puter? Wir starten resigniert: „Ich weiß nicht,  und da drin muss ich dann noch scrollen.“
        auch im Grenzgebiet zwischen Administration  ob es diese Liebe je gab“, sagt die Schmerzthe-  Gleichzeitig bedeutet jede Verordnung eine
        und Versorgung, etwa beim Meldewesen, bis  rapeutin, die auf über zwei Jahrzehnte Berufser-  Unzahl an Mausklicks. Schnell durchklicken
        heute vordigitale Strukturen erhalten. Die sind  fahrung zurückblickt – zwei Jahrzehnte, in de-  sei keine Option, da das System unglaublich
        dem deutschen Gesundheitswesen in der  nen sich, wie sie findet, IT-technisch nur wenig  langsam sei: „Ich warte bei jeder Verordnung
          Corona-Pandemie  bekanntlich  wie  eine  zum Besseren verändert hat – was angesichts  mehrfach, bis das System mir den nächsten
        Fünf-Kilo-Hantel auf die Großzehe geknallt.  der enormen digitalen Veränderungen fast aller  Mausklick erlaubt. Das ist echt schlimm.“

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