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Thema
INFO FORSCHUNGSPRAXENNETZE IN DEUTSCHLAND Patienten, sondern durch jahrelangen Kontakt
oft auch deren häusliches Umfeld und äußere
Im ersten Halbjahr 2020 haben sechs vom BMBF geförderte Netzwerkverbünde sowie eine Faktoren, wie Physiotherapeuten, Pflegedienst
zentrale Koordinierungsstelle ihre Arbeit aufgenommen. Niedergelassene Ärzte können sich oder Psychologen. Dieses Wissen um die thera-
mit einer Datenspende an einem Projekt eines Forschungsnetzes in ihrer Region beteiligen. piebegleitenden Umstände beeinflusst die Be-
handlung und fließt in die medizinische Doku-
BAYFONET – BAYERISCHES FORSCHUNGSNETZ IN DER ALLGEMEINMEDIZIN mentation ein. Das allein macht die Arbeit – und
Vier Institute für Allgemeinmedizin (Universitätskliniken Würzburg, München LMU, München insbesondere die Daten – der niedergelassenen
TUM und Erlangen) bauen ein bayernweites Forschungspraxennetz auf. 240 allgemeinmedizi- Ärzte interessant für die Forschung. Hinzu
nische Praxen sollen als Forschungspartner gewonnen werden. Geplant ist unter anderem kommt, dass über 80 Prozent der Patienten
eine klinische Pilotstudie zur Diagnostik des akuten Harnweginfekts. Eine weitere Studie un- zuerst zu ihrem Hausarzt oder einem Facharzt
tersucht die Machbarkeit und Akzeptanz von Pilotstudien durch Hausärzte und Patienten. gehen, bevor sie mit einem Krankenhaus in Be-
FOPRANET-BW – HAUSÄRZTLICHES FORSCHUNGSNETZWERK IN BADEN-WÜRTTEMBERG rührung kommen. Im Vergleich zur klinischen
Drei Einrichtungen für Allgemeinmedizin (Tübingen, Heidelberg und Freiburg) bauen ein stehen der ambulanten Versorgungsforschung
überregionales, hausärztliches Netz mit 150 Forschungspraxen auf. Die Implementierung somit Informationen über Behandlung und The-
einer IT-Infrastruktur und das Datenmanagement übernimmt die Hochschule Reutlingen. rapie deutlich früher im Krankheitsverlauf und
Geplant sind Pilotstudien zu Herzinsuffizienz, Depression beziehungsweise Polymyalgia in einem weitaus größeren Umfang zur Verfü-
rheumatica sowie eine Interventionsstudie zum Thema Intermittierendes Fasten. gung. Auch die Anzahl der unterschiedlichen
Krankheitsbilder ist deutlich höher.
NRW-GPRN – ALLGEMEINMEDIZINISCHES FORSCHUNGSPRAXENNETZ NORDRHEIN- Um diese ambulanten Informationsquellen
WESTFALEN
zu nutzen, setzt die Versorgungsforschung
Acht universitäre allgemeinmedizinische Einrichtungen (Düsseldorf, Bochum, Aachen, Bonn,
bislang überwiegend unkonventionelle Studi-
Köln, Duisburg-Essen, Münster und Witten/Herdecke) sollen 520 Hausarztpraxen in NRW für
ein Forschungspraxennetz gewinnen. Die Implementierung einer IT-Infrastruktur und das en ein und führt zeitintensive Beobachtungs-
Datenmanagement übernimmt das Universitätsklinikum Bonn. In einer Pilotstudie soll die studien sowie Interviews mit Patienten durch.
Wirksamkeit eines Konzepts für eine Kurzberatung zur Raucherentwöhnung und zur Nikotin- Zwar stehen der Versorgungsforschung auch
zugriffsbeschränkte Datenbanken wie das
ersatztherapie in der deutschen Allgemeinmedizin untersucht werden.
Krebsregister zur Verfügung, allerdings ist die
RAPHAEL – FORSCHUNGSPRAXEN HALLE-LEIPZIG Verwendung dieser Register eingeschränkt,
Die beiden Einrichtungen für Allgemeinmedizin in Leipzig und Halle wollen ein gemeinsames weil sich viele Informationen aufgrund unter-
Forschungspraxennetzwerk aufbauen. Zusammen mit der Medizinischen Hochschule Hanno- schiedlicher Datenstrukturen nicht zusam-
ver soll eine randomisierte kontrollierte Studie durchgeführt werden mit dem Ziel, die Über-, menführen lassen.
Unter- oder Fehlversorgung mit Arzneimitteln bei älteren multimorbiden Patienten zu redu-
zieren. Forscher kommen noch nicht an alle Daten
RESPONSE – FORSCHUNGSPRAXENNETZ SÜD-OST Aufgrund dieser hohen Hürden, nutzbare Daten
Die beiden allgemeinmedizinischen Einrichtungen der Charité Berlin und des Uniklinikums zu erhalten, fand die ambulante Versorgungs-
Jena wollen 500 Praxen der Allgemeinmedizin in Berlin, Brandenburg und Thüringen akqui- forschung in der Vergangenheit kaum statt und
rieren, um ein hausärztliches Forschungspraxennetz aufzubauen. Geplant sind zunächst zwei ist bis heute eine riesige Blackbox. Da Digita-
Pilotstudien: Die erste untersucht die Akzeptanz eines ausgeweiteten Einsatzes Medizinischer lisierung und Vernetzung des ambulanten Sek-
Fachangestellter (MFAs), die zweite prüft die Durchführung eines erweiterten geriatrischen tors vor allem in den letzten Jahren an Fahrt
Basis-Assessments durch MFAs. Dabei wird die Intervention als delegierbare Tätigkeit geprüft. aufgenommen haben, sind heute niedergelas-
sene Ärzte technisch durchaus in der Lage, ihre
SAXOFORN – TRANSREGIONALES FORSCHUNGSPRAXENNETZ
elektronischen Behandlungsinformationen der
Dieses Netzwerk besteht aus zwei unterschiedlichen Versorgungsregionen. In der Region
Versorgungsforschung zu überlassen. Aller-
Dresden soll ein neues Netz mit 50 Praxen aufgebaut werden. Das in Frankfurt am Main beste-
hende Forschungspraxennetz soll auf 200 Praxen ausgebaut werden. Geplant sind zwei ge- dings müssen die Voraussetzungen geschaffen
meinsame Pilotstudien. In der ersten Studie soll eine komplexe Intervention zur Verbesserung werden, die Daten inhaltlich, datenschutz-
der Arzneimitteltherapie bei Patienten mit Multimedikation entwickelt werden. Die andere rechtlich und technisch austauschbar und
Studie überprüft, inwiefern Daten zu Langzeitüberlebenden von Krebs in der Hausarztpraxis nutzbar zu machen.
erfasst werden können und welche Informationen für die hausärztliche Nachsorge nötig sind. In Zeiten papierbasierter Krankenakten
wäre eine solche Zusammenarbeit mit einem
DESAM FORNET – KOORDINIERUNGSSTELLE FÜR FORSCHUNGSPRAXENNETZE sehr hohen Aufwand verbunden gewesen. In-
Die Koordinierungsstelle soll die Vernetzungsprozesse der sechs Forschungspraxennetze er-
formationen aus elektronischen Akten können
leichtern. Auf der Agenda stehen der Aufbau einer Netzwerkinfrastruktur nach internationa-
hingegen vergleichsweise einfach extrahiert
len Standards für Forschung im hausärztlichen Bereich und die Entwicklung standardisierter
und als Datenspende den universitären Ver-
Prozesse und Vorgehensweisen. Zudem sollen Forschungskompetenzen in dieser Disziplin
sorgungsforschern zur Verfügung gestellt wer-
umfassend auf- und ausgebaut werden.<
den. Die Datenweitergabe ist jedoch nicht ohne
Weiteres möglich. Es fehlen oft die technischen
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