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Titelgeschichte




        INTERVIEW         GLEICHE SORGFALT WIE IN DER ARZTPRAXIS

          Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg hat als erste KV die ausschließliche Fernbehandlung im Modellprojekt
          „docdirekt“ für Kassenpatienten und in Kooperation mit TeleClinic für Privatpatienten erprobt. Dr. Johannes Fechner äußert
          sich zu den Erfahrungen der KVBW mit der Telemedizin.
                                                                                                                  Abb.: KVBW

          Î ÎBaden-Württemberg war Vorreiter bei der ausschließlichen Fernbe-  hat Grenzen: Das persönliche Gespräch, die   DR. MED. JOHANNES FECHNER
                                                                                             stellvertretender Vorstandsvorsit-
          handlung. Wie beurteilen Sie die bisherige Entwicklung der Telemedi-  emotionale Nähe und die körperliche Unter-  zender der Kassenärztlichen Verei-
          zin-Plattformen, insbesondere in der Pandemie?     suchung kann sie nicht ersetzen.  nigung Baden-Württemberg
          Zwar können Online-Sprechstunden bereits seit Längerem angeboten und
          abgerechnet werden, jedoch hat die Corona-Pandemie zu einer breiten Ak-  Î ÎWelche Rückmeldungen erhalten Sie von Ärzten, die Patienten über
          zeptanz der Videosprechstunden bei Patienten und Ärzten geführt. Waren es  ein Telemedizinportal behandeln?
          bis Ende 2019 nur 27 Arztpraxen in Baden-Württemberg, die eine Video-   Unsere Erfahrungen aus dem Modellprojekt docdirekt zeigen sehr deut-
          sprechstunde angeboten haben, so nutzten bis Ende Juni 2020 bereits über   lich, dass diese Art der Versorgung eine gute Ergänzung zum normalen
          3 100 Ärztinnen und Ärzte diese Möglichkeit der Patientenversorgung.  Praxisbetrieb darstellt. Ungefähr 80 Prozent der Patienten von docdirekt
                                                             können per Videoanruf abschließend behandelt werden. Die Tele-Ärzte
          Î ÎTrägt die Telemedizin in Baden-Württemberg bereits zu einer besse-  führen mit der gleichen Sorgfalt wie in der Arztpraxis ein Anamnesege-
          ren Versorgung auf dem Land bei oder wird sie zurzeit eher von beque-  spräch und stellen eine Diagnose. Sie wissen aber auch ganz genau,
          men Großstädtern genutzt?                          wann sie an ihre Grenzen stoßen, weil sie keine gesicherte Diagnose
          Inzwischen kann jede Arztpraxis telemedizinische Sprechstunden anbieten   stellen können, und verweisen dann die Patientinnen und Patienten an
          und abrechnen – und zwar sowohl für bereits bekannte als auch für fremde  eine Praxis vor Ort.
          Patientinnen und Patienten. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten. Chro-
          nisch kranke Menschen können engmaschig betreut werden, auch wenn   Î ÎHat die Einführung der Telemedizin zu einer Zunahme der Behandlungen
          die Praxis nicht direkt vor Ort ist. Vieles lässt sich auf die Entfernung ma-  geführt?
          chen, wofür ein Besuch in der Praxis nicht zwingend notwendig ist. Da-  Diese Tendenz haben wir nicht beobachtet. Es ist wohl eher so, dass die
          durch kann Telemedizin einiges auffangen, wenn die Praxis vor Ort weg-  Option der Videosprechstunden bekannter geworden ist und nun auch zu-
          fällt und sich die ärztliche Versorgung zentralisiert. Aber die Telemedizin   nehmend genutzt wird.<




                                                   Kassenpatienten
        Anbieter wird der behandelnde Arzt vom An-                             eine telemedizinische Konsultation ausreicht,
        bieter ausgewählt, bei anderen sucht sich der                          und Erstabklärungsgespräche werden in den
        Patient den Arzt aus. Auf dem Portal von jame-  können zurzeit         Fernbehandlungsportalen stattfinden. Ein
                                                  nur elektronische
        da, dessen Kerngeschäft die Arztvermittlung                            solches Angebot neben der Präsenzsprech-
        ist, können die Patienten gezielt nach einem                           stunde und der Videosprechstunde für die
                                               Privatrezepte erhalten.
        Arzt suchen. Das ist praktisch für Patienten,                          eigenen Patienten auch für fremde Patienten
        die zum Beispiel neu in einer Stadt sind und                           zu etablieren, kann für niedergelassene Ärz-
        noch keinen Haus- oder Facharzt haben. Über                            te eine interessante Ergänzung ihres Leis-
        die Telemedizin besteht die Möglichkeit, den  einer Videosprechstunde einen Hausbesuch  tungsangebotes darstellen. Die Registrierung
        Arzt kennenzulernen, ohne für einen ersten  wünschen, können dies direkt bei dem Arzt  bei einem Telemedizin-Anbieter schafft bei
        Besuch in der Praxis erscheinen zu müssen.  erwähnen. Medlanes kümmert sich dann um  Bedarf eine bessere Auslastung der Ressour-
        Auch bei ZAVA können Patienten die Profile der  die Ausführung. „Uns liegt diese End-to-end-  cen und bietet – falls nötig – eine gute Mög-
        akkreditierten Ärzte einsehen und den Arzt  Versorgung am Herzen“, sagt Linke. Bei ZAVA  lichkeit, neue Patienten zu gewinnen. Solange
        aussuchen. Zufriedene Patienten haben die  kommt es übrigens auch vor, dass chronisch  der Gesetzgeber die Zulassung zur kassen-
        Möglichkeit, bei einer neuen Behandlung wie-  kranke Patienten mehrere Termine im Voraus  ärztlichen Tätigkeit als Bedingung für die
        der einen Termin bei „ihrem“ Arzt zu buchen.  buchen. Ein Patient soll sogar einmal einen  telemedizinische Behandlung von GKV-Pati-
        „Wir haben vor, eine Funktion einzurichten,  Monat im Voraus einen Termin vereinbart ha-  enten bestehen lässt, sind telemedizinische
        mit der die Patienten ihren ‚Lieblingsarzt‘ so-  ben, damit er seine Medikamente zum benö-  Call-Center nicht möglich.
        gar speichern können“, kündigt Dr. Claudia  tigten Zeitpunkt sicher erhält.  Es ist zu erwarten, dass die Telemedi-
        Linke, Geschäftsführerin von ZAVA Deutsch-                             zin-Anbieter ihre Prozesse und Konditionen
                                           Ausblick
        land, an.                                                              weiterentwickeln und ihre IT-Systeme in die
          ZAVA geht noch einen Schritt weiter. Das  Perspektivisch wird sich das Angebot der aus-  in den Praxen installierte Praxissoftware in-
        Unternehmen bietet über seine Tochter  schließlichen Fernbehandlung in Ergänzung  tegrieren, um Doppelerfassungen und Work-
          Medlanes in über 20 Städten Hausbesuche rund  zur ambulanten Versorgung vor Ort etablie-  flow-Unterbrechungen zu vermeiden.<
        um die Uhr an. Patienten, die im Nachgang zu  ren. Vor allem akute, leichtere Fälle, bei denen      $ DR. MICHAEL LANG

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