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Thema
KLINISCHE ENTSCHEIDUNGSUNTERSTÜTZUNGSSYSTEME
Schlaue Helfer
Entscheidungsunterstützungssysteme für Ärzte auf der Basis künstlicher Intelligenz sind heute in vielen
Krankenhäusern und vereinzelt bei Fachärzten im Einsatz. Entwickler arbeiten bereits auch an Diagnosetools
für Hausärzte.
rren ist menschlich“. So lautet der Titel einer bei ihren Entscheidungen die Vitaldaten ihrer hand der Benutzungsaktivitäten das Kompe-
312 Seiten starken Publikation des Institute Patienten, die die vielen verschiedenen Mess- tenzniveau des Anwenders einschätzt. Die
I of Medicine (heute National Academy of Me- geräte liefern, ständig im Auge behalten. Die einzelnen Handlungsempfehlungen fallen dann
dicine) aus dem Jahr 2000, die auch bei uns die Warnmeldungen der Geräte führen allerdings entsprechend ausführlich oder knapp aus.
Fachwelt für Patientensicherheit sensibilisiert mitunter zu Verwirrung. Entscheidungsunter- Entscheidungsunterstützungssysteme wer-
hat. Dem Bericht zufolge belegen zwei Studien, stützungssysteme, die in die Software zur den auch zur Erstellung von Diagnosen genutzt.
dass damals in den USA jährlich mehr Men- Überwachung von Intensivpatienten integriert Diese DDSS (Diagnostic Decision Support Sys-
schen durch Behandlungsfehler als im Straßen- sind, kanalisieren die Informationen für das tem) kommen zum Beispiel für die Diagnose
verkehr ums Leben kamen. In den Folgejahren medizinische Personal und ermöglichen so eine von seltenen Erkrankungen zum Einsatz. Da
forcierten Industrie und Universitätskliniken bessere Entscheidungsgrundlage für den Arzt. die Ärzte kaum mit seltenen Erkrankungen
die Entwicklung von Systemen zur klinischen konfrontiert werden, erkennen sie häufig nicht
Entscheidungsunterstützung. Fortschritte auf auf Anhieb die Symptome und erstellen unge-
dem Gebiet der künstlichen Intelligenz (KI) naue Diagnosen. Deshalb stürzen sich die
bewirkten einen zusätzlichen Schub für diese KI-basierte Systeme zur DDSS-Entwickler gerne auf die seltenen Er-
IT-Systeme. Experten gehen davon aus, dass klinischen Entschei- krankungen. IBM zum Beispiel hat seine
Ärzte in Zukunft klinische Entscheidungsun- KI-Plattform „Watson“ auch auf das Erkennen
dungsunterstützung sind
terstützungssysteme verstärkt einsetzen wer- dieser Krankheiten trainiert. 2016 ging Watson
den, auch weil die durch Symptom-Checker zurzeit eher in Kranken- am Zentrum für unerkannte und seltene Er-
geschulten Patienten das von ihnen verlangen krankungen (ZusE) des zu den Rhön-Kliniken
häusern verbreitet.
werden. Noch ist es jedoch nicht so weit. gehörenden Universitätsklinikums Marburg
Die meisten der heute verfügbaren CDSS an den Start. Allerdings stellten die Röhn-Kli-
(Clinical Decision Support System) sind in niken nach dem Ende des Pilotprojekts die
Krankenhäusern im Einsatz. Ärzte können da- Zusammenarbeit ein. Wie das Magazin „Der
mit sehr schnell sehr viele Entscheidungen Viele Notaufnahmen setzen ebenfalls auf Spiegel“ erfahren haben will, soll Watson zu-
treffen. So zum Beispiel in der Radiologie, wo CDSS, beispielsweise für die Triage. Einen in- weilen bereits bei einfachen Symptomen ver-
Forscher aufgrund der hohen Datenqualität der teressanten Ansatz verfolgt das vom Bundes- sagt haben und zum Beispiel bei Brustschmer-
digitalen Aufnahmen Algorithmen zur Bildaus- ministerium für Bildung und Forschung geför- zen eine seltene Infektionskrankheit diagnos-
wertung entwickeln konnten. Vor Kurzem hat derte Projekt A.L.I.N.A. (Intelligente Assistenz- tiziert haben – anstatt eine der wahrscheinli-
beispielsweise Siemens eine KI-basierte Soft- dienste zur Wissens- und Handlungsunterstüt- chen Diagnosen wie Herzinfarkt oder Angina
ware vorgestellt, die CT-Bilder des Thorax zung in der Interdisziplinären Notaufnahme), pectoris. Dennoch sollte man die Watson-KI
automatisch auswerten und pathologische bei dem künstliche Intelligenz die Rettungssa- nicht voreilig abschreiben. In der Onkologie
Auffälligkeiten kennzeichnen kann. Der Algo- nitäter, präklinischen Notärzte und Mitarbei- konnte Watson neben Misserfolgen auch mess-
rithmus wurde mit entsprechend vielen klini- ter in der Aufnahme unterstützt. Die an der und sichtbare Erfolge verzeichnen. Medienbe-
schen Datensätzen trainiert. Hierzu haben die Versorgung Beteiligten können über eine mo- richten zufolge diagnostizierte Watson bei
Forscher eine Plattform entwickelt, die auch bile App die Maßnahmen abrufen, die sie ab- einer 60-jährigen Patientin in Japan eine sel- Abb.: iStock.com © Composing K. Doering
die CT-Aufnahmen anderer Hersteller auswer- hängig vom Leitsymptom ergreifen sollen. Die tene Form der Leukämie, indem das System die
ten kann. Diese Plattform soll zukünftig von App leitet sie dabei nicht nur durch alle not- genetische Information der Patientin mit den
Algorithmen für andere Organe genutzt wer- wendigen Schritte, sondern geht „intelli- Daten aus 20 Millionen klinischen Krebsstudi-
den. Auch auf Intensivstationen müssen Ärzte gent-adaptiv“ vor. Das bedeutet, dass sie an- en verglich.
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