Page 20 - xpress_Ausgabe 20.1
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Thema












        KLINISCHE ENTSCHEIDUNGSUNTERSTÜTZUNGSSYSTEME
        Schlaue Helfer






        Entscheidungsunterstützungssysteme für Ärzte auf der Basis künstlicher Intelligenz sind heute in vielen
        Krankenhäusern und vereinzelt bei Fachärzten im Einsatz. Entwickler arbeiten bereits auch an Diagnosetools
        für Hausärzte.



         rren ist menschlich“. So lautet der Titel einer  bei ihren Entscheidungen die Vitaldaten ihrer  hand der Benutzungsaktivitäten das Kompe-
         312 Seiten starken Publikation des Institute  Patienten, die die vielen verschiedenen Mess-  tenzniveau des Anwenders einschätzt. Die
       I of Medicine (heute National Academy of Me-  geräte liefern, ständig im Auge behalten. Die  einzelnen Handlungsempfehlungen fallen dann
        dicine) aus dem Jahr 2000, die auch bei uns die  Warnmeldungen der Geräte führen allerdings  entsprechend ausführlich oder knapp aus.
        Fachwelt für Patientensicherheit sensibilisiert  mitunter zu Verwirrung. Entscheidungsunter-  Entscheidungsunterstützungssysteme wer-
        hat. Dem Bericht zufolge belegen zwei Studien,  stützungssysteme, die in die Software zur  den auch zur Erstellung von Diagnosen genutzt.
        dass damals in den USA jährlich mehr Men-  Überwachung von Intensivpatienten integriert  Diese DDSS (Diagnostic Decision Support Sys-
        schen durch Behandlungsfehler als im Straßen-  sind, kanalisieren die Informationen für das  tem) kommen zum Beispiel für die Diagnose
        verkehr ums Leben kamen. In den Folgejahren  medizinische Personal und ermöglichen so eine  von seltenen Erkrankungen zum Einsatz. Da
        forcierten Industrie und Universitätskliniken  bessere Entscheidungsgrundlage für den Arzt. die Ärzte kaum mit seltenen Erkrankungen
        die Entwicklung von Systemen zur klinischen                            konfrontiert werden, erkennen sie häufig nicht
        Entscheidungsunterstützung. Fortschritte auf                           auf Anhieb die Symptome und erstellen unge-
        dem Gebiet der künstlichen Intelligenz (KI)                            naue Diagnosen. Deshalb stürzen sich die
        bewirkten einen zusätzlichen Schub für diese   KI-basierte Systeme zur   DDSS-Entwickler gerne auf die seltenen Er-
        IT-Systeme. Experten gehen davon aus, dass   klinischen Entschei-      krankungen. IBM zum Beispiel hat seine
        Ärzte in Zukunft klinische Entscheidungsun-                            KI-Plattform „Watson“ auch auf das Erkennen
                                              dungsunterstützung sind
        terstützungssysteme verstärkt einsetzen wer-                           dieser Krankheiten trainiert. 2016 ging Watson
        den, auch weil die durch Symptom-Checker   zurzeit eher in Kranken-    am Zentrum für unerkannte und seltene Er-
        geschulten Patienten das von ihnen verlangen                           krankungen (ZusE) des zu den Rhön-Kliniken
                                                 häusern verbreitet.
        werden. Noch ist es jedoch nicht so weit.                              gehörenden Universitätsklinikums Marburg
          Die meisten der heute verfügbaren CDSS                               an den Start. Allerdings stellten die Röhn-Kli-
        (Clinical Decision Support System) sind in                             niken nach dem Ende des Pilotprojekts die
        Krankenhäusern im Einsatz. Ärzte können da-                            Zusammenarbeit ein. Wie das Magazin „Der
        mit sehr schnell sehr viele Entscheidungen   Viele Notaufnahmen setzen ebenfalls auf  Spiegel“ erfahren haben will, soll Watson zu-
        treffen. So zum Beispiel in der Radiologie, wo  CDSS, beispielsweise für die Triage. Einen in-  weilen bereits bei einfachen Symptomen ver-
        Forscher aufgrund der hohen Datenqualität der  teressanten Ansatz verfolgt das vom Bundes-  sagt haben und zum Beispiel bei Brustschmer-
        digitalen Aufnahmen Algorithmen zur Bildaus-  ministerium für Bildung und Forschung geför-  zen eine seltene Infektionskrankheit diagnos-
        wertung entwickeln konnten. Vor Kurzem hat  derte Projekt A.L.I.N.A. (Intelligente Assistenz-  tiziert haben – anstatt eine der wahrscheinli-
        beispielsweise Siemens eine KI-basierte Soft-  dienste zur Wissens- und Handlungsunterstüt-  chen Diagnosen wie Herzinfarkt oder Angina
        ware vorgestellt, die CT-Bilder des Thorax  zung in der Interdisziplinären Notaufnahme),  pectoris. Dennoch sollte man die Watson-KI
        automatisch auswerten und pathologische  bei dem künstliche Intelligenz die Rettungssa-  nicht voreilig abschreiben. In der Onkologie
        Auffälligkeiten kennzeichnen kann. Der Algo-  nitäter, präklinischen Notärzte und Mitarbei-  konnte Watson neben Misserfolgen auch mess-
        rithmus wurde mit entsprechend vielen klini-  ter in der Aufnahme unterstützt. Die an der  und sichtbare Erfolge verzeichnen. Medienbe-
        schen Datensätzen trainiert. Hierzu haben die  Versorgung Beteiligten können über eine mo-  richten zufolge diagnostizierte Watson bei
        Forscher eine Plattform entwickelt, die auch  bile App die Maßnahmen abrufen, die sie ab-  einer 60-jährigen Patientin in Japan eine sel-   Abb.: iStock.com © Composing K. Doering
        die CT-Aufnahmen anderer Hersteller auswer-  hängig vom Leitsymptom ergreifen sollen. Die  tene Form der Leukämie, indem das System die
        ten kann. Diese Plattform soll zukünftig von  App leitet sie dabei nicht nur durch alle not-  genetische Information der Patientin mit den
        Algorithmen für andere Organe genutzt wer-  wendigen Schritte, sondern geht „intelli-  Daten aus 20 Millionen klinischen Krebsstudi-
        den. Auch auf Intensivstationen müssen Ärzte  gent-adaptiv“ vor. Das bedeutet, dass sie an-  en verglich.

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