Page 18 - xpress_Ausgabe 20.1
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Porträt




                                                                               das er auf einer seiner Reisen nach Indien ken-
                                                                               nenlernte. Der Leitsatz, dem dieses Konzept
                                                                               folgt, lautet: „Wenn der Patient nicht zum Arzt
                                                                               kommt, kommt der Arzt zum Patienten.“
                                                                               Trabert wendet diese Grundidee in der Gesund-
                                                                               heitsversorgung von wohnungslosen Men-
                                                                               schen an.
                                                                                 Die Arbeit mit seinen Patienten verlangt
                                                                               dem Mediziner viel ab. Aber sie gibt ihm auch
                                                                               viel zurück, weil er Menschen sehr authentisch
                                                                               begegnet, sagt er. „Früher dachte ich, ich brin-
                                                                               ge diesen Menschen Würde und Respekt. Das
                                                                               stimmt auch, aber auch sie schenken mir Wür-
                                                                               de und Respekt durch diese Form der ehrlichen
                                                                               zwischenmenschlichen Begegnung.“ Das hat
                                                                               er immer wieder erlebt, in Deutschland und
                                                                               auch in seinen zahlreichen Auslandseinsätzen
                                                                               in Indien, Bangladesch und den USA. Er enga-
                                                                               giert sich darüber hinaus in der Seenotrettung
                                                                             Abb.: Andreas Reeg   im Mittelmeer und kümmerte sich in Syrien
                                                                               um Kriegsflüchtlinge.
         PROF. DR. GERHARD TRABERT                                             Erfahrung im Krankenhaus

                                                                               Die ärztliche Profession war nicht seine erste
                                                                               Berufswahl. Nach dem Abitur studierte der
                                                                               gebürtige Mainzer zunächst Soziale Arbeit und
                                                                               begann seine Tätigkeit in der Obdachlosenhil-
                                                                               fe. Dabei fiel ihm auf, wie schwer es sein Klien-
                                                                               tel hatte, Zugang zu medizinischer Versorgung
                                                                               zu erhalten. 1983 beschloss Trabert darum,
                                                                               Medizin zu studieren. Nach dem Studium ar-
                                             Der
               enn der Arzt Professor Dr. Gerhard                              beitete er zehn Jahre im Krankenhaus, auch in
                                                                               der Onkologie. Hier beschäftigte er sich viel
               Trabert zur Arbeit geht, dann geht er                           mit den sozialen Aspekten der Medizin, unter-
        Wnicht etwa in eine Praxis oder ein                                    richtete autogenes Training und führte Ge-
        Krankenhaus, nein, er geht auf die Straße, denn
        hier findet er seine Patienten. Trabert behandelt
        Obdachlose und Arme in Mainz. Seine Praxis   Sozialarbeiter
        ist ein zum Arztmobil umgebauter Mercedes
        Sprinter. Als erster Arzt in Deutschland bekam
        er für diese Form der mobilen Praxis eine Kas-                         sprächskreise. „Ich hatte viele Patienten, die
                                              Professor Dr. Gerhard Trabert
        senzulassung. Jeden Tag fährt der Allgemein-                           sehr verunsichert waren, wie sie mit ihren
                                              hat Sozialarbeit und Medizin
        mediziner zu seinen Patienten, versorgt sie mit                        Kindern über ihre Krebserkrankung reden
        Medikamenten, behandelt Erkältungen, ver-  studiert. In Mainz hat er die   sollten“, erinnert er sich. Damals gab es keine
                                              medizinische Versorgung der
        stauchte Gliedmaßen und psychische Erkran-                             Anlaufstellen für diese psychosozialen „Neben-
                                              Obdachlosen und Mittellosen
        kungen.                                                                wirkungen“ einer Krebserkrankung. Daher
                                              übernommen.
          Was seine Patienten aber am meisten brau-                            gründete er 2003 gemeinsam mit einer enga-
        chen, ist Zuwendung und auf Augenhöhe wahr-                            gierten Sozialpädagogin „Flüsterpost“, einen
        genommen zu werden. Das tut Trabert, wenn                              Verein, der sich um die Kinder von an Krebs
        er sich zum Beispiel zu seinen Patienten auf                           erkrankten Menschen kümmert.
        den Boden setzt, sie auch einmal umarmt und                              Trabert ließ sich auch zum Notarzt ausbil-
        sie nicht zu seinem Arztmobil kommen lässt,                            den und fuhr viele Noteinsätze. Die Arbeit mit
        sondern sich mit seiner mobilen Praxis zu ih-                          den Patienten gefiel ihm. Was ihm jedoch nicht
        nen begibt. Damit folgt er dem Prinzip des                             sonderlich gefiel, war das hierarchische System
        „aufsuchenden Gesundheitsversorgungskon-                               mit der fachlichen Schwerpunktsetzung in ei-
        zepts“, eine Art medizinisches Streetworking,                          nem Krankenhaus, in dem die psychosoziale

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