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Porträt
das er auf einer seiner Reisen nach Indien ken-
nenlernte. Der Leitsatz, dem dieses Konzept
folgt, lautet: „Wenn der Patient nicht zum Arzt
kommt, kommt der Arzt zum Patienten.“
Trabert wendet diese Grundidee in der Gesund-
heitsversorgung von wohnungslosen Men-
schen an.
Die Arbeit mit seinen Patienten verlangt
dem Mediziner viel ab. Aber sie gibt ihm auch
viel zurück, weil er Menschen sehr authentisch
begegnet, sagt er. „Früher dachte ich, ich brin-
ge diesen Menschen Würde und Respekt. Das
stimmt auch, aber auch sie schenken mir Wür-
de und Respekt durch diese Form der ehrlichen
zwischenmenschlichen Begegnung.“ Das hat
er immer wieder erlebt, in Deutschland und
auch in seinen zahlreichen Auslandseinsätzen
in Indien, Bangladesch und den USA. Er enga-
giert sich darüber hinaus in der Seenotrettung
Abb.: Andreas Reeg im Mittelmeer und kümmerte sich in Syrien
um Kriegsflüchtlinge.
PROF. DR. GERHARD TRABERT Erfahrung im Krankenhaus
Die ärztliche Profession war nicht seine erste
Berufswahl. Nach dem Abitur studierte der
gebürtige Mainzer zunächst Soziale Arbeit und
begann seine Tätigkeit in der Obdachlosenhil-
fe. Dabei fiel ihm auf, wie schwer es sein Klien-
tel hatte, Zugang zu medizinischer Versorgung
zu erhalten. 1983 beschloss Trabert darum,
Medizin zu studieren. Nach dem Studium ar-
Der
enn der Arzt Professor Dr. Gerhard beitete er zehn Jahre im Krankenhaus, auch in
der Onkologie. Hier beschäftigte er sich viel
Trabert zur Arbeit geht, dann geht er mit den sozialen Aspekten der Medizin, unter-
Wnicht etwa in eine Praxis oder ein richtete autogenes Training und führte Ge-
Krankenhaus, nein, er geht auf die Straße, denn
hier findet er seine Patienten. Trabert behandelt
Obdachlose und Arme in Mainz. Seine Praxis Sozialarbeiter
ist ein zum Arztmobil umgebauter Mercedes
Sprinter. Als erster Arzt in Deutschland bekam
er für diese Form der mobilen Praxis eine Kas- sprächskreise. „Ich hatte viele Patienten, die
Professor Dr. Gerhard Trabert
senzulassung. Jeden Tag fährt der Allgemein- sehr verunsichert waren, wie sie mit ihren
hat Sozialarbeit und Medizin
mediziner zu seinen Patienten, versorgt sie mit Kindern über ihre Krebserkrankung reden
Medikamenten, behandelt Erkältungen, ver- studiert. In Mainz hat er die sollten“, erinnert er sich. Damals gab es keine
medizinische Versorgung der
stauchte Gliedmaßen und psychische Erkran- Anlaufstellen für diese psychosozialen „Neben-
Obdachlosen und Mittellosen
kungen. wirkungen“ einer Krebserkrankung. Daher
übernommen.
Was seine Patienten aber am meisten brau- gründete er 2003 gemeinsam mit einer enga-
chen, ist Zuwendung und auf Augenhöhe wahr- gierten Sozialpädagogin „Flüsterpost“, einen
genommen zu werden. Das tut Trabert, wenn Verein, der sich um die Kinder von an Krebs
er sich zum Beispiel zu seinen Patienten auf erkrankten Menschen kümmert.
den Boden setzt, sie auch einmal umarmt und Trabert ließ sich auch zum Notarzt ausbil-
sie nicht zu seinem Arztmobil kommen lässt, den und fuhr viele Noteinsätze. Die Arbeit mit
sondern sich mit seiner mobilen Praxis zu ih- den Patienten gefiel ihm. Was ihm jedoch nicht
nen begibt. Damit folgt er dem Prinzip des sonderlich gefiel, war das hierarchische System
„aufsuchenden Gesundheitsversorgungskon- mit der fachlichen Schwerpunktsetzung in ei-
zepts“, eine Art medizinisches Streetworking, nem Krankenhaus, in dem die psychosoziale
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