Page 12 - xpress_Ausgabe 20.1
P. 12

Titelgeschichte




      INTERVIEW         „WIR SEHEN GROSSEN NACHHOLBEDARF“

        Dr. Klaus Strömer, Präsident des Berufsverbands der deutschen Dermatologen, begrüßt einerseits, dass die
        Politik die Digitalisierung vorantreibt. Andererseits hat er am DVG einiges zu beanstanden, so etwa die Rolle,
        die das BfArM bei den digitalen Gesundheitsanwendungen spielt.

                                                                                             DR. KLAUS STRÖMER
        Î ÎWie wird das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) in der Dermatologie   aus Juristerei, Bundesärztekammer und Technik.   Präsident des Berufsverbands
        wahrgenommen?                                       Zum einen verfügen wir als Berufsverband schon   der Deutschen Dermatologen
                                                                                             (BVDD) und langjähriger Vor-
        Bei der Digitalisierung gibt es in der Ärzteschaft einerseits Fortschrittsfreun-  seit Längerem über eine Tele-Guidance, die wir   reiter in Sachen Telemedizin   Abb.: ANGELIKA BUENO ROMAN/BVDD
        de, andererseits aber auch viele etwas konservativere Ärzte, die als Hüter   gerade aktualisieren und die technische, juristi-  in der ambulanten Arztpraxis.
        der Qualität und des Datenschutzes zurückhaltend sind bei allem Digitalen.   sche, berufsrechtliche und inhaltliche Standards für teledermatologische An-
        Beides, Qualität und Datenschutz/Datensicherheit, werden im DVG nicht ad-  wendungen beschreibt. Zusätzlich arbeiten wir derzeit unter meiner Koordi-
        äquat angesprochen. Da sehen wir großen Nachholbedarf. Daneben erken-  nation an einer S2k-Leitlinie zur Telemedizin in der Dermatologie, mit der wir
        nen die Dermatologen sicherlich das Bemühen an, den Zug in Fahrt zu brin-  bis zum Karneval 2020 an die Öffentlichkeit gehen wollen. Es gibt auch eine
        gen. Das sehen wir mehrheitlich positiv. Kritisieren am DVG würde ich die   laufende Dissertation, die sich mit der Qualität von dermatologischen Apps
        neue Rolle des BfArM. Zum einen halte ich die Zeit für den Nachweis eines   beschäftigt und die auch in die Leitlinie einfließen wird.
        Versorgungsnutzens für völlig illusorisch. Eine andere Frage ist auch, ob die
        Expertise des BfArM ausreicht. Digitale Gesundheitsanwendungen sind ein   Î ÎWas wünschen Sie sich von der Politik?
        Teil der Medizin, und den zu gestalten ohne Medizinmänner und Medizin-  Vor allem würden wir uns wünschen, dass die Verantwortung für den Daten-
        frauen halte ich für nicht sachgerecht.             schutz ein Stück weit aus der Endstrecke beim Arzt entfernt wird und dahin
                                                            kommt, wo der Rahmen geschaffen wird. Die gematik muss für die Sicher-
        Î ÎDigitales Medizinprodukt ist nicht gleich digitales Medizinprodukt.    heit der Daten eine Verantwortung übernehmen. Es kann nicht sein, dass
        Das BfArM soll ja vor allem für Niedrigrisikoprodukte zuständig sein.  bei der Telematikinfrastruktur die komplette Verantwortung beim Arzt
        Sicher gibt es unterschiedliche Anforderungen an die Sicherheit und die   liegt, zumal wenn er gesetzlich unter Androhung von Honorareinbußen ver-
        Qualität. Aber wenn es in einem doch chronisch unterfinanzierten gesetzli-  pflichtet wird, online zu gehen.
        chen Versicherungssystem um die Finanzierung geht, muss die Frage er-
        laubt sein, wo das zusätzliche Geld herkommen soll. Ich schätze vor diesem   Î ÎEs gibt ja seit September die Stellungnahme der Konferenz der Daten-
        Hintergrund übrigens auch die Motivation der Hersteller als eher überschau-  schützer des Bundes und der Länder, die besagt, dass es eine gemeinsame
        bar ein. Dass die Krankenkassen jetzt mit an sich treuhänderisch gedachten   Verantwortung von Arzt und gematik gibt und dass der Gesetzgeber das
        Geldern der Versicherten zum Venture-Capital-Geber werden, halte ich aus   noch einmal präzisieren muss. Das wäre das, was Sie sich vorstellen?
        demselben Grund auch für etwas überambitioniert.    Genau. Salopp formuliert sollte das wie beim Telefon sein: Der Telekommu-
                                                            nikationsdienstleister ist zuständig für den Hausanschluss, für alles, was da-
        Î ÎSie haben das Stichwort Qualität genannt. Was tut die deutsche    nach kommt, bin ich zuständig. So würde ich mir das vorstellen. Der Gesetz-
        Dermatologie, was kann die ambulante Medizin tun, um digitale Qualität   geber hat die KBV ja im DVG verpflichtet, Vorgaben für die Datensicherheit
        zu fördern?                                         in Arztpraxen zu machen. Das wäre dann der Teil, für den die Ärzte verant-
        Als BVDD bemühen wir uns auf mehreren verschiedenen Ebenen, fachärztli-  wortlich sind. Aber alles, was mit Anschluss an die TI und mit Spezifikatio-
        che Standards zu setzen, im Schulterschluss mit unserer wissenschaftlichen   nen von Konnektor und Lesegeräten zu tun hat, dafür ist die gematik verant-
        Fachgesellschaft, aber auch mit Patientenverbänden und externen Experten   wortlich, und nicht der Arzt.<





        Gesundheitsanwendungen oder „DiGA“ der  engeren Sinne der Diagnose oder Therapie die-  Positivliste von digitalen Anwendungen, die
        zweite wesentliche Schwerpunkt des DVG mit  nen. Als Beispiele immer wieder genannt wer-  von der GKV erstattet werden. Nach welchen
        Relevanz für den niedergelassenen Arzt. Da-  den Chroniker-Apps, etwa tagebuchartige  Kriterien die Listung erfolgt, wird eine Rechts-
        rauf deutet schon der griffige Slogan der „App  Anwendungen für Migräne oder Diabetes, aber  verordnung regeln, die im ersten Halbjahr 2020
        auf Rezept“ hin, den Gesundheitspolitiker im  auch diverse digitale Tools für das Patienten-  erwartet werden kann. Klar ist aber, dass ein
        Zusammenhang mit den DVG-Plänen gern be-  selbstmanagement, etwa Anwendungen für  positiver Versorgungsnutzen – den definiert
        mühen. Erreicht werden soll, kurz gesagt, dass  Patienten, die stottern.  das DVG als „entweder medizinischer Nutzen
        digitale Gesundheitsanwendungen – ob    Das Entscheidende an dem neuen  oder patientenrelevante Struktur- und Verfah-
        browserbasierte Anwendungen oder Apps –  Fast-Track-Verfahren für digitale Gesundheits-  rensverbesserung“ – nachgewiesen sein muss
        schneller in die reguläre Versorgung kommen,  anwendungen ist, dass das Bundesinstitut für  oder – bei vorläufiger Listung – innerhalb eines
        sofern sie ein niedriges Risiko aufweisen. Die-  Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)  Jahres nachzuweisen ist.
        ses niedrige Risiko ist im Gesetz definiert als  den Hut aufbekommt. Das BfArM, so will es das   „Ein entscheidender Unterschied zu Hilfs-
        Medizinprodukte der Klassen I und IIa, also  DVG, führt das Verzeichnis digitaler Gesund-  mitteln besteht darin, dass der Hersteller den
        solche digitalen Anwendungen, die nicht im  heitsanwendungen nach § 139e SGB V, eine Art  Antrag auf Aufnahme in die BfArM-Liste stellt“,

    12   x.press 20.1
   7   8   9   10   11   12   13   14   15   16   17