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Titelgeschichte




        Kapazität hängt jedoch von der Größe ab, wes- Datenschutz verbessert sich  ner zentralen Datenbank zusammengeführt,
        halb die zunehmende Miniaturisierung alter-  Wearables standen in der Vergangenheit oft in  die idealerweise eine Ergänzung zur elektro-
        native Energiekonzepte erfordert. Weltweit  der Kritik, weil sie die Informationsrechte ih-  nischen Patientenakte ist, sagt Amft. Die For-
        arbeiten Wissenschaftler daran, die Energie  rer Nutzer missachtet haben. Personenbezo-  schung entwickelt zurzeit Marker für die Mess-
        zum Betreiben der Wearables aus der Umge-  gene Daten wurden beispielsweise „zu Marke-  daten der Wearables, die dem Arzt ein ge-
        bung zu gewinnen. Die gebräuchlichsten „Ener-  ting- und Forschungszwecken“ an Dritte wei-  schlossenes Bild liefern, ohne dass er dazu
        gy-Harvesting-Technologien“ sind Sonnenener-  tergegeben, ohne dass die Nutzer erfahren  Hunderte von Messwerten durchgehen muss.
        gie, Wärmeumwandlung und Bewegungsener-  hätten, wer ihre Daten erhält. Seit Einführung  Diese Verdichtung der Daten erfolgt mithilfe
        gie. Solarenergie allein sei problematisch, da  der Datenschutz-Grundverordnung (EU-  von künstlicher Intelligenz.
        sie nur bei Tageslicht für Strom sorgt, gibt  DSGVO) dürfen die Anbieter den Umgang mit   In vielen Fällen ist es überhaupt nicht nötig,
        Stammel zu bedenken. Bei der Wärmeumwand-  personenbezogenen Daten nicht mehr so lasch  den Arzt zu informieren. Das starre Asthma-
        lung wird der Seebeck-Effekt genutzt: Zwischen  handhaben. Immerhin drohen Bußgelder in  pflaster vibriert im Notfall, die App des Diabe-
        einer kalten und warmen Stelle entsteht eine  Höhe von bis zu 20 Millionen Euro bei Verstö-  tespflasters sendet dem Patienten eine Nach-
        elektrische Spannung, die proportional zur  ßen gegen die EU-DSGVO. Personenbezogene  richt. „In Zukunft übernimmt künstliche Intel-
        Temperaturdifferenz ist. Die Energiemenge, die  Daten von Wearables dürfen grundsätzlich nur  ligenz diese Aufgabe und vereinbart bei Bedarf
        sich aus der Differenz zwischen der Raumtem-                           automatisch einen Arzttermin“, prophezeit
        peratur und der Körpertemperatur gewinnen                              Stammel.
                                               In Zukunft alarmiert KI
        lässt, sei jedoch sehr gering im Verhältnis zum                          Weil kontinuierlich gemessene Parameter
        Mehraufwand für das Tragen, bemängelt Amft.                            aussagekräftiger sind als eine Momentaufnah-
                                               den Patienten und ver-
        Auch die Bewegungsenergie ist nicht unpro-                             me in der Praxis, können Ärzte in Zukunft ver-
        blematisch. Um sie zu nutzen, beispielsweise   einbart einen Arzttermin.  lässlichere Informationen über den Zustand
        mittels Sensoren in den Schuhen, darf der Nut-                         ihrer chronisch kranken Patienten erhalten.
        zer nicht im Ruhezustand verharren.                                    Algorithmen halten den Arzt auf dem Laufen-
          Energy-Harvesting-Technologien kommen                                den. Dadurch können sich die Patienten den
        trotzdem schon heute zum Einsatz. So wird  mit Einwilligung des Betroffenen verarbeitet  Weg in die Praxis sparen, nur um ihre Mess-
        zum Beispiel eine neue Smartwatch, die auf der  werden. Außerdem gilt ein Kopplungsverbot.  werte am Empfang abzugeben. Dies wird die
        Elektronikmesse CES in Las Vegas vorgestellt  Die Einwilligung zur Verarbeitung personen-  Praxen zusätzlich entlasten.
        wurde, durch eine Kombination aus Solarener-  bezogener Daten darf nicht kombiniert werden   Darüber hinaus können auch Ärzte Wea-
        gie und Wärmewandlung angetrieben. Die Uhr  mit einer Einwilligung zur Verwendung der  rables nutzen, beispielsweise für die Therapie.
        muss allerdings nur deshalb nicht mehr an die  Daten für andere Zwecke. Ein weiterer Knack-  Mit einer intelligenten Pille kann der Arzt die
        Steckdose, weil sich die Entwickler auf einige  punkt: Bei einigen kommerziellen Systemen  Therapietreue seines Patienten überprüfen.
        wesentliche Funktionen beschränkt haben.  müssen die Daten zuerst in der Cloud des An-  Dazu wird die Tablette, die der Patient einneh-
        „Manchmal ist weniger mehr“, so Stammel.   bieters gespeichert werden, bevor eine Verar-  men soll, mit einer Elektronik bedruckt. Kurz
          Neben dem Einsammeln von Energie aus  beitung möglich ist. App-Entwickler und Wis-  vor dem Auflösen durch die Magensäure setzt
        der Umgebung besteht die Möglichkeit, Ener-  senschaftler kommen oftmals nicht an die  die Tablette ein Signal ab, das von einem am
        gie direkt auf Wearables zu übertragen. Auf  Rohdaten, um eine alleinige Auswertung auf  Magen aufgeklebten intelligenten Pflaster
        der WT | Wearable Technologies  Conference  dem Smartphone vornehmen zu können. „Es  empfangen wird. Inzwischen geht die Entwick-
        in San Francisco (Juli 2019) haben Entwickler  existiert kein durchgängiges Konzept für Wea-  lung sogar so weit, dass Pillen einen Monat im
        einen Sensor in Form eines winzigen Implan-  rables“, konstatiert Amft, der auf eine gesetz-  Magen bleiben können und der über das Smart-
        tats gezeigt, der ohne eigene Energieversor-  liche Regelung nach dem Vorbild des Digitale  phone gesteuerte Wirkstoff in der gewünsch-
        gung auskommt. Das ursprünglich für die  Versorgung Gesetzes hofft.    ten Dosis abgegeben wird.
        Tiermedizin entwickelte Implantat wird mit-                              Zusammenfassend kann gesagt werden:
                                           Blick in die Glaskugel
        tels einer kleinen Kanüle und einer speziellen                         Wearables werden die Diagnose durch zeitna-
        Vorrichtung in den Körper „geschossen“. Über  Weltweit entsteht gerade ein Universum von  he, umfassendere und präzisere Daten opti-
        ein NFC-fähiges Smartphone kann der Nutzer  medizinischen Wearables. Patienten werden  mieren und dadurch die Datengrundlage für
        den Sensor „aufwecken“ und sofort die Kör-  in Zukunft verschiedene tragbare Geräte nut-  die Therapieentscheidung revolutionieren. Sie
        pertemperatur und die Herzfrequenz auslesen.  zen, die sie sowohl bei der Prävention als auch  werden zu einer verbesserten Prävention bei-
        Die Energieversorgung erfolgt über die elek-  bei der Therapie unterstützen. Dem Smartpho-  tragen und zunehmend auch in der Therapie
        tromagnetische Strahlung, die zur Kommuni-  ne oder der Smartwatch fällt dabei die Rolle  selbst eingesetzt werden. Zudem werden sie
        kation verwendet wird. Das Smartphone fun-  des „Digital Hub“ zu, einer Anlaufstelle für alle  vermehrt telemedizinische Anwendungen er-
        giert dabei als Sender, der Sensor als Empfän-  gemessenen Daten. Je nach Anwendung erfolgt  möglichen. Sie werden wahrscheinlich schon
        ger. „Solche Energieübertragungen lassen sich  die Auswertung der Daten direkt auf dem  bald Teil des Medizineralltags sein. Ähnlich wie
        sehr gut für einzelne Messungen nutzen“, sagt  Smartphone oder – in verschlüsselter Form – in  seinerzeit nach der Erfindung des Stethoskops,
        Amft. „Kontinuierliche Messungen sind aber  einer Cloud des Anbieters.  als schon bald kein Arzt mehr seinen Patienten
        auf absehbare Zeit nach wie vor auf Batterien   Der Patient steuert, auf welche Daten sein  abhörte, indem er ihm das Ohr auf die Brust
        angewiesen.“                       Arzt zugreifen darf. Seine Daten werden in ei-  legte.<     $ DR. MICHAEL LANG

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