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Kompakt



        INTERVIEW         „KASSENAKTEN SIND NICHT ALLES“

          Kommt doch noch ein freier Wettbewerb elektronischer Akten? Das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH)
          bietet Patienten seit April eine eigene Gesundheitsakte. Ziel ist eine Aktenweiche bei Aufnahme.



          Î ÎAlle Patienten bekommen bei Ihnen jetzt kostenfrei eine elektronische  kommt. Und es stehen auch schon einige Nach-  PROF. DR.    Abb.: Soulpicture
          Gesundheitsakte. Warum?                            ahmer in den Startlöchern. Wir stellen uns Fol-  JENS SCHOLZ
                                                                                             ist Vorstandsvorsitzender des
          Wir wollen unseren Patienten die sie betreffenden Dokumente im Einklang   gendes vor: Wenn ein Patient zu uns kommt,   Universitätsklinikums Schleswig-
          mit dem Patientenrechtegesetz elektronisch zur Verfügung stellen. Dazu     lesen wir die Gesundheitskarte ein und sehen   Holstein, das derzeit nicht nur
          klären wir alle Patienten bei Aufnahme entsprechend auf und lassen uns   dann, ob eine Krankenkassenakte existiert oder   Akten einführt, sondern auch
                                                                                             noch zwei neue Kliniken baut.
          eine E-Mail-Adresse geben, über die die Patienten einen Link erhalten, mit   nicht. Im ersten Fall gehen die Dokumente in
          dem sie die Gesundheitsakte eröffnen können. Wer keine E-Mail-Adresse   die Krankenkassenakte, im zweiten Fall wird un-
          angibt, erhält vom Anbieter einen Brief, der eine Anmeldung ermöglicht.  sererseits eine Akte eröffnet. Diese Abfrage gibt es im Moment noch nicht,
                                                             aber hinter den Kulissen wird da schon intensiv diskutiert. Was wir sicher
          Î ÎSie nutzen die vitabook-Akte. Warum haben Sie einen kranken-   nicht machen werden, ist, jeden Patienten aktiv fragen, ob er irgendeine
          kassenunabhängigen Anbieter gewählt?               Akte hat.
          Wir würden auch mit Krankenkassenakten arbeiten, aber die können nicht
          die alleinige Lösung sein. Als Universitätsklinikum wollen wir allen unseren   Î ÎWird eine lebenslange Gesundheitsakte für das UKSH nicht teuer? Und:
          Patienten die Dokumente elektronisch zur Verfügung stellen, und das geht   Bauen Sie eine weitere IT-Insel?
          aktuell weder mit der TK-Safe-Akte noch mit Vivy. Natürlich würden wir die   Wir haben in die Erprobung investiert und die Schnittstelle mit entwickelt. Da-
          Dokumente auch für die Krankenkassenakte zur Verfügung stellen, wenn   rüber hinaus bezahlen wir für die Gesundheitsakten nichts. Wie hier auf Dau-
          der Patient das möchte.                            er die Refinanzierung aussieht, ist Sache von vitabook und Microsoft. Was die
                                                             IT-Insel angeht: Wir und unsere Industriepartner sind in enger Abstimmung
          Î ÎWie stellen Sie sich auf Dauer das Nebeneinander zwischen unter-  mit den Krankenkassen, um eine gemeinsame Krankenhausschnittstelle zu
          schiedlichen Akten vor?                            entwickeln. Das kann nur einheitlich funktionieren, auch die geschilderte Ab-
          Wir brauchen ein Marktmodell, um alle Patienten erreichen zu können. Ich   frage braucht eine einheitliche Schnittstelle, und zwar auf Basis von IHE-Profi-
          bin überzeugt, dass durch unseren Vorstoß Bewegung in diese Debatte   len. Sobald es sie gibt, werden wir mit dieser Schnittstelle arbeiten.<






        ALKOHOLENTZUG
        Die App für danach

        In Deutschland gelten rund 1,8 Millionen Men-                          die Patienten, ihr Suchtverlangen zu erkennen
        schen als alkoholkrank. Vor allem in den ersten                        und mit Risikosituationen umzugehen. Neben
        Monaten nach einem stationären Alkoholent-                             dieser Förderung der Abstinenzmotivation
        zug ist das Risiko eines Rückfalls besonders                           identifiziert die App mittels Telediagnostik
        hoch. Ausgerechnet in dieser Zeit nimmt nur                            Angebote für die Zeit nach einem stationären
        ein kleiner Teil der Patienten eines der vielen                        Entzug. Gemeinsam mit einem Psychothera-
        Unterstützungsangebote wahr. Das Projekt                                peuten, dem sogenannten eCoach, erarbeiten
          SmartAssistEntz der Universität Erlan-                                die Patienten dann in sechs Telefongesprä-
        gen-Nürnberg möchte dies ändern, indem                                  chen einen individuellen Plan mit Maßnah-
        es Patienten nach erfolgtem stationärem                                 men, die am besten zum jeweiligen Lebens-
        Entzug dabei unterstützt, individuell passen-                           umfeld passen. Dies können Selbsthilfegrup-
        de Anschlussmaßnahmen zu identifizieren,                               pen,  die Anbindung  an  eine klinische
        in Anspruch zu nehmen und nachhaltig zu                                Ambulanz oder Paar- und Familiengespräche
        nutzen.  Bei SmartAssistEntz handelt es sich                           sein. Das Pilotprojekt wird in der Region Fran-
        um ein Smartphone-basiertes Konzept mit ei-                            ken implementiert und evaluiert. Es soll unter
       Abb.: iStockphoto.com © natrot         erhalten die Patienten nach dem Klinikaufent-  risiko innerhalb von sechs Monaten nach Ab-
                                                                               anderem untersuchen, wie hoch das Rückfall-
        nem Psychotherapeuten. Im ersten Schritt
                                                                               schluss des Entzugs im Vergleich zu den in der
        halt eine für sie entwickelte App. Die App un-
                                                                               Regelversorgung erzielten Effekten ist. Der
        terstützt sie mit einem speziellen Training, das
                                                                               Gemeinsame Bundesausschuss fördert das
        ihnen helfen soll, dauerhaft auf Alkohol zu
        verzichten. In den Trainingseinheiten lernen
    06   x.press 19.3                                                          Projekt mit rund 2,4 Millionen Euro.<   C FAU.DE
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