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Titelgeschichte
INTERVIEW „MEHR MUT!“
Wohin steuert das Bundesgesundheitsministerium bei der E-Health-Politik? Wir haben nachgefragt bei
Gottfried Ludewig, Leiter der neu geschaffenen Abteilung für Digitalisierung im Bundesgesundheitsministerium.
Î ÎSie leiten seit gut einem Jahr die von Jens Spahn damals neu TI flächendeckend aufgebaut ist, wird auch das GOTTFRIED LUDEWIG
geschaffene Abteilung Digitalisierung im Bundesgesundheitsministerium. E-Rezept über die TI abgewickelt. Kurz und ist seit April 2018 Leiter der Abb.: Dirk Hasskarl
Was schlägt Ihnen aus der Branche entgegen? knapp: Wir schaffen Raum für Innovation. Da- Abteilung Digitalisierung des
Gesundheitswesens im Bundes-
Zum einen Freude, dass es endlich nicht nur in Round-Table-Gesprächen, mit nicht am Schreibtisch auf einem weißen ministerium für Gesundheit.
sondern auch gesetzlich vorangeht – und gleichzeitig der Wunsch, dass es Blatt eine Spezifikation geschrieben wird, die Davor saß er für die CDU im
Berliner Abgeordnetenhaus.
bitte noch schneller vorangehen möge! Es gibt viele enthusiastische Leute, dann in der Realität nicht funktioniert.
die zeigen wollen, dass Digitalisierung – auch und vor allem für das Ge-
sundheitswesen – etwas Gutes ist. Das freut uns. Î ÎGesucht wären demnach Pilotprojekte in den nächsten 12 Monaten.
Die gibt es ja schon in vielen Bereichen – bei der Medikation, bei den Hilfs-
Î ÎDas TSVG trat im Mai in Kraft und bringt eine ganze Reihe von mitteln. Es wird weitere geben, die Apotheker sind sehr engagiert. Warum
Neuerungen im Bereich Digitalisierung. Was wollen Sie als neuer Mehr- soll ein Regulator am Anfang schon die Weisheit der Erkenntnis haben?
heitsgesellschafter der gematik ändern? Warum im ersten Schritt sagen, so und nicht anders sieht das Deutsch-
Ohne Vorwurf an einzelne Gesellschafter – aber das bestehende Konstrukt land-Rezept aus? Warum nicht mal den Mut haben, ein wenig Verschieden-
der organisierten Verantwortungslosigkeit mussten wir beenden. Fast 15 heit zuzulassen und dann daraus lernen und endgültig regulieren?
Jahre mit geringen Erfolgen haben deutlich gezeigt, dass diese Struktur kei-
ne Zukunft hat. Wir übernehmen jetzt bewusst die Verantwortung. Einfach Î ÎStichwort Telemedizin: Die meisten Ärztekammern haben den Ärzte-
weiter am Spielfeldrand zuschauen und kommentieren, warum die anderen tagsbeschluss zur ausschließlichen Fernbehandlung umgesetzt. Trotzdem
alles falsch gemacht haben – das ist für uns bei einem so passiert wenig, und das liegt an der fehlenden Honorie-
zentralen Zukunftsthema keine Option mehr. Wir wollen Innovation rung. Welche Spielräume hat die Politik hier?
künftig schneller zu Entscheidungen kommen. Die Mehr- zulassen, aus Eine erfolgreiche Telemedizin hat drei Pfeiler. Der eine ist
werte für Versicherte und Leistungserbringer müssen in den die regulatorische Ebene. Der zweite ist die Vergütung.
Mittelpunkt. Genau in diesen Bereichen müssen wir drama- Erfahrung lernen, Und der dritte und entscheidende ist der Mehrwert für die
tisch an Geschwindigkeit aufnehmen. Versicherten. Regulatorisch sind mit dem TSVG erste Än-
Vorschriften derungen erfolgt, die Rezepte aus telemedizinischen Kons-
Î ÎMit dem TSVG hat das Bundesgesundheitsministerium festsetzen tellationen heraus ermöglichen. Aber warum soll ich ein
die Einführung elektronischer Patientenakten geregelt. telemedizinisches Arztgespräch führen, wenn daraus nicht
Außerdem haben Sie in einem anderen Gesetz dafür gesorgt, dass die einmal ein Rezept entstehen kann? Dieser Punkt ist Bestandteil des GSAV.
elektronische Gesundheitskarte ab Ende 2019 auf Wunsch ähnlich wie Kre- Und wenn die Selbstverwaltung keine adäquate Vergütung für die aus-
ditkarten mit Near Field Communication (NFC) ausgestattet werden muss. schließliche Fernbehandlung findet, werden wir auch bei der Vergütung An-
Was versprechen Sie sich davon? passungen vorschlagen, um den Bereich umfassender zu öffnen und zu stär-
Das kann eine sehr wichtige Komponente werden, eine Zugangsmöglichkeit ken. Auch hier werden wir nicht länger zuschauen. Damit Telemedizin in
zur Telematikinfrastruktur unter mehreren. Das Ziel ist, über ein Mobiltele- Deutschland Fuß fassen kann!
fon unter Einsatz der NFC-Technologie die eGK weiter als sicheres Identifika-
tionsmerkmal zu nutzen. Um das möglich zu machen, haben wir die Î ÎEs gibt ein Negativbeispiel, die Videosprechstunde, für die es eine
NFC-Schnittstellenfähigkeit der eGK gesetzlich vorgeschrieben. EBM-Ziffer gibt, die nur für rund 1 Prozent aller durchgeführten Video-
sprechstunden tatsächlich abgerechnet wird, weil sie so lächerlich dotiert
Î ÎDas Bundesgesundheitsministerium betont immer wieder, auch im ist, dass es sich nicht lohnt. Wie wollen Sie so etwas beim telemedizini-
Zusammenhang mit den Patientenakten, die zentrale Rolle der Telematik- schen Erstkontakt vermeiden?
infrastruktur (TI). Gleichzeitig sagen Sie aber im Zusammenhang mit dem Wir werden verhindern, dass sich das wiederholt. Warum müssen wir alle
im GSAV-Gesetz angelegten E-Rezept, dass nicht immer alles sofort über im Dezember, Januar und Februar mit Husten und Schnupfen in eine Arzt-
die TI laufen müsse. Widerspricht sich das nicht? praxis laufen und uns gegenseitig anhusten – statt uns digital beraten zu
Einer der Glaubenssätze der letzten 10 bis 15 Jahre lautete: „Wenn die Tele- lassen und digital ein Rezept und eine Krankschreibung zu erhalten? Ein-
matikinfrastruktur aufgebaut ist, setzen wir XYZ flächendeckend ein.“ Die- schränkungen wären denkbar, zum Beispiel dass das nur einmal im Quartal
ser Glaubenssatz entspricht nicht unserer Philosophie. Ziel ist vielmehr das möglich ist oder nur für eine bestimmte Zeit. Darüber kann man reden.
umgekehrte Vorgehen: Wir wollen Innovationen zulassen – und wenn die TI Aber: Es gibt keinerlei Beleg dafür – nirgends – dass diese Art der Telemedi-
aufgebaut ist, muss klar sein, dass die TI dann auch für diese Innovationen zin in irgendeiner Weise schädlich ist. Insofern rate ich uns allen zu ein biss-
genutzt werden muss. Ich freue mich, dass wir diesen Weg beim GSAV-Ent- chen mehr Mut, damit wir uns nicht mehr im Wartezimmer gegenseitig an-
wurf zum E-Rezept so umgesetzt haben. Erst Innovation zulassen, aus den stecken. Unsere Erwartung ist, dass dieser Mehrwert sich auch ausreichend
Erfahrungen lernen, dann Vorschriften endgültig festsetzen – und wenn die beim Thema Fernbehandlung in der EBM-Ziffer abbildet.<
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