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Kompakt
INTERVIEW „AUTOMATISCH ZUGESCHNITTENE EMPFEHLUNGEN“
Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) hat angekündigt, alle
medizinischen Leitlinien zu digitalisieren, um sie über Systemgrenzen hinweg nutzbar zu machen. Die Leitlinien sollen
künftig in Praxissoftware, Lernplattformen, Informationsportalen und medizinischen Apps zur Verfügung stehen.
DR.-ING. DR.MED.UNIV.
Î ÎUm was geht es bei Ihrem aktuellen Digitalisierungsprojekt? Î ÎWie weit sind Sie bei der Suche nach der JOHANNES STARLINGER Abb.: Dr. Johannes Starlinger
Wir wollen die Inhalte der Leitlinien in eine strukturierte Form übertragen. digitalen Struktur für die Leitlinien? ist in der AWMF aktiv und forscht
Nutzer sollen so in die Lage versetzt werden, die in einem bestimmten Be- Wir haben uns auf dem Markt und in der inter- an der Klinik für Anästhesiologie
mit Schwerpunkt operative In-
handlungskontext relevanten Inhalte der Leitlinien zu identifizieren oder auch nationalen Gemeinschaft im Bereich von Leitlini- tensivmedizin der Charité über
gleichzeitig Inhalte über verschiedene Leitlinien hinweg zu suchen. Gleichzei- en umgesehen und sind auf das MAGIC Project Gesundheits-IT. Er ist selbststän-
diger Softwareentwickler und
tig geht es ganz allgemein um die Möglichkeit, Leitlinienwissen differenzier- in Norwegen (www.magicproject.org) gestoßen, IT-Berater mit Fokus auf Daten
ter und punktgenauer darstellbar zu machen, um den gezielten Abgleich von das aus einem größeren EU-Projekt hervorge- im Gesundheitswesen.
Leitlinieninhalten mit tatsächlich stattfindenden Behandlungspfaden und gangen ist. Es bietet Anwendungen zum Verfas-
-ergebnissen und um die Vereinfachung und Beschleunigung von Leitlinienak- sen von Leitlinien in einer digitalen Struktur. Darüber hinaus ist das Daten-
tualisierungen. Kurz: um die Unterstützung des gesamten Lebenszyklus modell, in dem diese Leitlinien gespeichert werden, unabhängig von der An-
klinischer Leitlinien von der Erstellung bis zur Evaluierung. wendung quelloffen verfügbar. Das bedeutet, dass wir das Datenmodell ko-
pieren und an die Bedürfnisse der Fachgesellschaften anpassen können. Da-
Î ÎWie gehen Sie vor, welches sind die ersten Schritte? bei behalten wir insbesondere Entwicklungen von Standardisierungsorgani-
Wir wollen im ersten Schritt die digitale Struktur für die Leitlinien finden. sationen – wie beispielsweise EBMonFHIR – im Auge, wie auch bestehende
Bislang werden die Leitlinien überwiegend noch mit Textverarbeitungspro- Strukturen in den Fachgesellschaften.
grammen verfasst und als Textdokumente abgespeichert und weitergege-
ben, was eine Identifikation und Verarbeitung von Empfehlungen und ihrer Î ÎWie sollen die digitalisierten Leitlinien später einmal zur Verfügung
Komponenten durch Computer sehr schwer bis unmöglich macht. Hier muss gestellt werden?
zunächst ein neues Format gefunden werden, welches die Leitlinieninhalte Wir werden die Leitlinien nicht mehr ausschließlich als PDF-Dokument, son-
passgenau abbildet. Im nächsten Schritt geht es darum, Fachgesellschaften dern als computerverwertbares Leitliniendokument zur Verfügung stellen.
und Leitlinienautoren vom erheblichen Mehrwert der digitalen Struktur zu Und dies idealerweise über automatisierte Programmierschnittstellen. Dies
überzeugen, auch wenn sie durch geänderte Arbeitsprozesse zu einem ers- ermöglicht es, dass Anwendungen dynamisch mit Leitlinieninhalten inter-
ten Mehraufwand bei der Erstellung der Leitlinien führt. Das strukturierte agieren können und sowohl vollständige Leitlinien als auch einzelne Empfeh-
Modell beschleunigt künftige Aktualisierungen, weil zum Beispiel Suchan- lungen abgerufen werden können. Es wird dann zum Beispiel auch möglich
fragen in wissenschaftlichen Publikationsindices wie PubMed bei der Leitli- sein, mittels Patientenparametern eine Leitliniensuche durchzuführen. Ähn-
nienerstellung automatisch im Hintergrund durchgeführt werden können. lich wie bei Navigationssystemen im Auto soll es die Möglichkeit geben, die
So kann zum Beispiel der Publikationsstand mit der letzten Leitlinienaktuali- Leitlinien herunterzuladen und sie offline zu benutzen oder als cloudbasierte
sierung verglichen werden. Anwendung stets mit der neuesten Onlineversion zu arbeiten.<
PARKINSON
Fortlaufende telemedizinische Überwachung
Abb.: Uniklinkum Dresden / Marc Eisele von Patienten mit fortgeschrittenem jekt teil. Sie erhalten spezielle Sen-
Im Projekt „TelePark – Vernetzung ten aus Ostsachsen nehmen am Pro-
Parkinson-Syndrom und Parkinson- sor-Gangsocken, Bewegungssenso-
spezialisten durch Telemedizin und ren zur Befestigung am Arm sowie
moderne Sensorik“ sollen die bei Smartphone-Apps. Die erzeugten
Daten aus dem Alltag der Patienten
Parkinsonpatienten therapierelevan-
ten Symptome wie Gangunsicherheit, ermöglichen den betreuenden Ärz-
Schluckbeschwerden, Verhaltensstö- ten, zeitnah zu intervenieren oder die
rungen oder Psychosen kontinuier- Therapien laufend anzupassen oder
lich telemedizinisch erfasst werden. zu ändern. In Studien sollen die ver-
Dies geschieht mittels Sensorik-Arm- schiedenen Möglichkeiten zu Inter-
bändern, Ganganalyse-Strümpfen aktion und Monitoring der Patienten
MESSUNG: Der Arzt kann sich auf einem Tablet die von den Sensoren der Gangsocken oder der Einschätzung der Patienten verglichen und bewertet werden.<
aufgezeichneten Belastungen des Fußes seiner Patienten visualisieren lassen.
durch ihre Angehörigen. 198 Patien- C TELEPARK-SACHSEN.DE
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